Sharon Jones: Gegangen, aber noch da

sharon_jones_dap_kings_cover_100_days_100_nights(In diesem Jahr hat man’s als Musik- und Popkultur-Fan nicht leicht, nicht nur wegen dem ganzen, heuer leider unterwältigenden Hitparadenmatsch, der alles auffressenden Streaming-Malaise und der steigenden Vinylpreise. Seit David Bowies überraschendem Ableben anfangs des Jahres reißen die schlechten Nachrichten nicht mehr ab, man könnte laufend Nachrufe schreiben. Jetzt wieder die News, dass Leonard Cohen am Ende doch nicht mehr ganz so viel Glück hatte, wie man mutmaßte, sondern zuletzt wie Bowie an einem vermaledeiten Krebs litt und in Folge eines Sturzes in seinem Haus in der darauffolgenden Nacht – wenigstens – friedlich allem entschlafen ist. Tags darauf kam die zwar nicht unerwartete, aber traurige Meldung, dass die großartige New Yorker Soulsängerin Sharon Jones im Alter von 60 Jahren das lange heldenhafte Ringen mit der heimtückischen Krankheit um ihr Leben verloren hat.

Ich lernte Sharon Jones und ihre famose Soul-Funk-Combo The Dap-Kings erst so richtig Ende 2007 kennen, mit der Veröffentlichung ihres dritten Albums „100 Days, 100 Nights“, das mich als jahrelang geeichten Soul-Fan vollauf begeisterte. In dem Musik- und Popkulturmagazin, das ich damals herausgab, nominierten wir „100 Days, 100 Nights“ als „Album des Monats“. Zwei weitere exzellente Alben, „I Learned the Hard Way“ (2010), „Give the People What They Want“ (2014), ihre vielleicht allerbeste Platte, das klasse Christmas-Album „It’s A Holiday Soul Party” (2015) und der  gleichnamige Soundtrack zur sehenswerten biografischen Dokumentation „Miss Sharon Jones!“ (2016) folgten. Ein nicht schmales Werk für eine erst mit 46 Jahren so richtig Durchstartende. Auf „Miss Sharon Jones!“ ist zum Abschluss der  tolle, kämpferische neue Song „I’m Still Here“ zu hören. Doch jetzt ist Miss Sharon Jones gone. Aber mit ihrer mitreißenden Musik ist sie, eine der letzten großen Soulsängerinnen, immer noch da.

Man kennt den herrlich authentischen, superheiß groovenden Sound, der auf dem schon dritten Langspieler von Sharon Jones & The Dap-Kings ertönt. Doch die grandiose Band, die so hinreißend funky spielt, sie kennt man nicht. Genauso wenig prominent ist die Sängerin dieser großartigen Band aus Brooklyn, New York. Aber Sharon Jones zieht mit ihrer grandiosen Power-Soul-Stimme gleich alle Sympathien auf ihre Seite. Auch dass Frau Jones so gar nicht ins Schönheitsideal des modernen Softsex- und Plastik-R’n’B zwischen „Gott will, dass ich so sexy bin“-Beyoncé und Nicole „Ich kann zwar nicht singen, aber ich ziehe dafür weniger an“ Scherzinger passen will, sichert ihr weitere Sympathiepunkte.

Die aus dem Süden der USA stammende Sängerin hat nicht nur schon viel erlebt, sie trägt die Spuren des Lebens und auch ein paar Kilos mehr selbstbewusst zur Schau. Genau genommen hat Sharon Jones seit den 1970ern versucht, als Sängerin eine Karriere aufzubauen, sang in Gospelchören und als Backgroundvokalistin, musste nebenher aber stets Tagesjobs wie zum Beispiel den als Gefängnisaufseherin bestreiten, um die Miete bezahlen zu können. Jüngst wurde Frau Jones auch von Altmeister Lou Reed entdeckt, der sie als Vokalistin mitnahm auf seine Berlin-Tournee, und von Rufus Wainwright, für den sie auf dem Longplayer Release The Stars ihre mächtige Stimme einsetzte.

Sharon Jones ist eine starke Frau mit einer noch stärkeren Stimme, vor der selbst Sixties-Soul-Queen Aretha Franklin zur Zeit ihrer Regentschaft großen Respekt gehabt hätte. Die Dap-Kings, jene so hochkarätige wie hochoktanige Band, als deren Frontfrau Sharon Jones agiert, sind genau die Musiker, die sich Erfolgsproduzent Mark Ronson immer dann ausleiht, wenn er bei seinen Pop-Produktionen einen waschechten Soul- und Funk-Sound braucht. Die Dap-Kings veredelten für ihn schon die Hits von Amy Winehouse („Rehab“, „I’m No Good“), Lily Allen („Smile“) oder Robbie Williams („Rudebox“), gastierten auf Ronsons Soloalbum Version beim von Amy Winehouse grandios geschmetterten „Valerie“, und selbst auf Ronsons modernistischem Remix von Bob Dylans „Most Likely You Go Your Way (And I’ll Go Mine)“ liefern die Dap-Kings den ganzen Funk mit ihren bügelfaltenscharfen Bläsersätzen.

Am allerbesten, am zündendsten sind die Dap-Kings aber im Team mit der famosen Sharon Jones in ihrem Brooklyner Daptone Studio, wenn sie den legendären, superfunkigen Sixties-Soul Marke Stax, Muscle Shoals und Motown zu neuem Leben erwecken. Der Titelsong groovt gleich zu Beginn geradezu majestätisch in Motown-Manier. „Nobody’s Baby“ oder der Schlusssong „Answer Me“ huldigen Soul-Königin Aretha Franklin. „Humble Me“ ist eine Gospelpredigt im Geiste von James Brown. Und „Something’s Changed“ und „Easy Me“ leuchten mit einer schimmernder Eleganz, die an Stax-Soul-Diva Carla Thomas gemahnt. Prädikat: Kult!

Sharon Jones & The Dap-Kings, 100 Days, 100 Nights, Daptone Records, 2007

 (now! Dezember 2007 – im November 2016 überarbeitete Fassung)

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