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Style: „Portrait B&W“
Talk Show/Interviews 08: Per Gessle.
Im Gespräch mit dem schwedischen Sänger, Songschreiber, Musiker Per Gessle über seine Solokarriere. Mit Sängerin Marie Frederikkson bildete Gessle ab 1986 das megaerfolgreiche Pop-Erfolgsduo Roxette.
Ich war eigentlich lange kein großer Freund der schwedischen Popfabrikanten Roxette. Wahrscheinlich allein schon deswegen nicht, weil sie mir als damals überzeugtem Indie-Fan einfach nicht cool genug und auch viel zu sehr im Hitparaden-Mainstream unterwegs waren. Und ich mir nicht eingestehen wollte, dass Per Gessle und Marie Fredriksson ihr Pophandwerk wirklich gut beherrschten. Auch wenn ich einige ihrer Radiohits wie „The Look“ oder „It Must Have Been Love“ gut leiden konnte, schimpfte ich Roxette in einer Kritik einmal als „Eurythmics für Arme“ oder so ähnlich, sehr zum Ärger ihrer Plattenfirma. Spätestens mit seinem superben 2005er Solodoppelalbum „Son Of A Plumber“, das erst im Frühjahr 2006 außerhalb Schwedens veröffentlicht wurde, stieg Per Gessle aber nicht nur als kunstfertiger Songschreiber und raffinierter Popfeinschmied in meiner Achtung, ich lernte ihn auch als so sympathischen wie gescheiten Gesprächspartner zu schätzen. Drei Jahre nachdem wir uns erstmals in Wien zu einem intensiven Gespräch getroffen hatten, führte ich am Telefon ein nicht minder interessantes Gespräch mit Gessle, der sich anno 2009 mit seinem neuen Langspieler „Party Crasher“ gerade sein eigenes 1980er-Revival gezimmert hatte, bevor er schließlich erfolgreich mit Marie Fredriksson Roxette reformieren sollte.
Klaus Winninger: Ihr letzter, sehr ambitionierter Longplayer „Son Of A Plumber“ ließ einen neuen Per Gessle hören, weit weg von Roxette. Ihr neues Album „Party Crasher“ ist wieder eine ganz andere Platte geworden.
Per Gessle: Völlig anders, ja. Ich war nach „Son Of A Plumber“ enttäuscht, dass international überhaupt nichts mit dem Album geschehen ist. Ich hatte mir sehr viel erwartet und wollte mit der Platte unbedingt auf Tournee gehen. Aber es verging ein Monat nach dem anderen, ohne dass meine Plattenfirma etwas dafür getan hätte. Also ging ich zurück ins Studio und habe noch eine weitere Platte in diesem Stil gemacht, „En Händig Man“, die ich Schwedisch gesungen habe und die in Schweden ein Riesenerfolg wurde, weshalb ich im Sommer 2007 hier auch eine große Tournee gespielt habe. Danach war ich ziemlich müde und verordnete mir selbst, dass ich eine Zeitlang gar nichts mehr machen darf. Doch plötzlich wollte ich wieder Songs schreiben – allerdings in einem anderen Stil, und auch der Prozess des Songschreibens sollte sich ändern. Ich habe angefangen mit Drumloops und Bassläufen zu arbeiten und statt dazusitzen und mit einer Gitarre oder dem Klavier an Melodien zu tüfteln, habe ich mit dem Groove begonnen. So sind sehr schnell die ersten Songs wie „Silly Really“ und „Stuck Here With Me“ entstanden. Im Jänner 2008 sind wir damit ins Studio gegangen und bei den Aufnahmen haben wir uns immer weiter vom Sound von „Son Of A Plumber“ wegbewegt, obwohl man meine Art Songs zu schreiben immer noch klar erkennt, denn letztlich geht es auch hier wieder vor allem um Melodien.
KW: Die Veränderung war also ein bewusster, vorab geplanter Schritt?
Per Gessle: Absolut. Es ist lustig, ich bin ja jetzt schon dreißig Jahre im Musikgeschäft, und ich glaube, über eine so lange Zeit ist es ein großer Vorteil, wenn man dazu fähig ist, sich zu verändern. Wenn man also zuerst ein Album wie „Son Of A Plumber“ machen kann und danach so etwas wie „Party Crasher“. Wobei ich gerade hier in Schweden dafür sehr stark kritisiert worden bin, weil man meint, dass jemand, wenn er etwas gut kann, am besten auch dabei bleiben sollte. So wie AC/DC – man soll die ganze Zeit über immer exakt gleich klingen. Aber von der Warte eines Songschreibers aus betrachtet, ist das doch sehr langweilig. Du trittst nur noch auf der Stelle und schreibst ein und denselben Song immer und immer wieder. Als Songschreiber ist es für mich entscheidend, dass ich immer wieder eine neue Herausforderung finde.
KW: Man könnte über „Party Crasher“ auch sagen, dass Per Gessle jetzt das vielleicht beste Roxette-Album überhaupt produziert hat, ohne dass der Bandname am Cover steht und Marie Frederiksson als Sängerin mit dabei war.
Per Gessle: (Lacht) Ich verstehe, was Sie meinen. Wenn man „Party Crasher“ mit irgendetwas vergleichen kann, dann muss man zu Roxette zurückgehen. Natürlich gibt es da Ähnlichkeiten, schließlich war ich Songschreiber und Teilzeitsänger der Band. Im Studio sind mir diese Ähnlichkeiten aber gar nicht so sehr bewusst geworden, erst als die fertige Platte gehört habe, dämmerte es. Vor allem im Vergleich mit den letzten Alben von Roxette, wo ich selbst ja immer mehr Gesangsparts übernommen habe.
KW: Belastet Sie es als Künstler, der sich weiter verändern und weiterentwickeln will, nicht manchmal, dass alles Neue, das Sie schaffen, immer mit Ihren früheren Werken verglichen wird?
Per Gessle: Das ist unvermeidlich. Vor allem wenn man mit etwas so viel Erfolg hatte wie ich mit Roxette. In Schweden bin ich heute mit meinen schwedischen Alben als Solokünstler nicht weniger erfolgreich als mit Roxette. Aber im Rest der Welt werde ich vor allem als Teil von Roxette gesehen und immer auch an den alten Hits gemessen. Es bleibt mir nicht erspart, dass es immer einige Leute geben wird, die sagen, 1986 war er aber viel besser! (Amüsiert sich geradezu köstlich) Als Künstler muss ich so etwas aber vergessen und einfach mit meiner Arbeit weitermachen. Wenn ich Songs schreibe, bemühe ich mich, interessiert zu bleiben. Wenn ich im Studio bin, möchte ich die bestmögliche Produktion zustande bringen. Ich will, dass die Songs fantastisch klingen, das ist mein Ziel. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Aber ich versuche die ganze Zeit über, mein Bestes zu geben.
KW: Versuchen Sie im kreativen Prozess quasi auch zu verdrängen, was Sie zuvor schon geschaffen haben? Ist so ein aktives Vergessen überhaupt möglich?
Per Gessle: (Lacht wieder) Das war einer der Gründe, dass ich ursprünglich nicht den Namen Per Gessle verwendet habe, als wir das Album „Son Of A Plumber“ gemacht haben, das ja auch unter dem Künstlernamen Son Of A Plumber veröffentlicht wurde. Einer meiner Produzentenpartner meinte, wenn ich das Album unter einem anderen Namen mache, könnten wir vortäuschen, dass es sich um ein Debütalbum handelt. Und wenn es sich um Debüt handelt, dann könnten wir auch alle Regeln brechen. Zum Beispiel auch gleich ein Doppelalbum zu machen, was wir dann auch getan haben. „Son Of A Plumber“ war eigentlich ein Debütalbum von einem neuen Künstler namens Son Of A Plumber. Daher musste ich die neuen Songs beim Schreiben und den Aufnahmen auch nicht mit „The Look“ oder „Listen To Your Heart“ vergleichen. Das war wirklich befreiend. Natürlich kann man das nicht die ganze Zeit über machen, und es ist überhaupt nur ganz schwer möglich, aber ich versuche immer soweit wie möglich zu vergessen, was ich schon alles gemacht habe.
KW: Wie war nun Ihr Ansatz beim Schreiben der Songs für den neuen Longplayer?
Per Gessle: Ich wollte eine topmoderne Platte machen, die Produktion sollte voll auf der Höhe der Zeit sein. Dieser moderne Sound war auch die besondere Herausforderung für meine beiden Produzentenkollegen Clarence und Christoffer. Clarence ist ja schon seit dem ersten Album von Roxette an meiner Seite und Christoffer seit den 1990ern, aber keiner der beiden hat vor „Party Crasher“ je eine richtige Dance-Platte aufge-nommen. Eine Produktion wie „Stuck Here With Me“ klingt in meinen Ohren jedenfalls total modern und voll nach dem Jahr 2009. Es hat uns Spaß gemacht, im Studio herumzuprobieren und so zu tun, als wären wir wieder 25 Jahre alt.
KW: Sie arbeiten nicht nur mit den Produzenten Clarence Öfwerman und Christoffer Lundqvist schon sehr lange zusammen, auch die Sängerin Helena Josefsson kennen wir schon vom Album „Son Of A Plumber“. Sind Sie, obwohl jetzt offiziell ein Solokünstler, nicht doch lieber ein Teamspieler?
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Per Gessle: Ich mag das so. Egal, in welchen Bereich meines Lebens man schaut, ich bin einfach ein Typ für lang andauernde Beziehungen, auch im Privaten. Mit meiner Plattenfirma EMI arbeite ich seit 1979 zusammen, mit meinem Finanzmanager seit 1980, mit meinem künstlerischen Manager seit 1986, und mit meiner Frau bin ich schon seit 1984 verheiratet. Marie Fredriksson habe ich auch schon lange vor Roxette in den 1970ern kennengelernt. Vielleicht ist ja gerade das Gute an mir, dass ich das Talent habe, genau jene Leute zu finden, mit denen eine lange Zusammenarbeit klappt. Clarence und Christoffer machen ja auch Produktionen mit anderen Musikern, und da sind oft Sachen darunter, die ich überhaupt nicht gut finde, jedenfalls sind sie nicht nach meinem Geschmack. Aber wir bringen gegenseitig beim Anderen etwas Gutes zum Vorschein, und das ist für jede Beziehung, auch im privaten Bereich, etwas Entscheidendes. Ich brauche Leute, die mich ein bisschen besser machen, als ich es eigentlich bin, und umgekehrt kann ich das auch bei anderen Leuten bewirken. Und wenn es funktioniert, gewinnt jeder.
KW: Das mag in der heutigen schnelllebigen Zeit für viele altmodisch wirken, für mich klingt es nur gut und vernünftig.
Per Gessle: Es ist altmodisch. Heute ist es ja so, dass an jedem neuen Album eine ganze Reihe von Produzenten und Songschreibern arbeitet. Und für das nächste Album muss gleich wieder das gesamte Team ausgewechselt werden. Die Musikindustrie ist eine unbeständige, unstete Branche geworden. Es wieder so wie in den 1950ern, in der Zeit bevor man ganze Alben aufzunehmen begann, und es nur um einzelne Songs ging, die Hits werden sollten, und alles nur ein einziger hektischer Mischmasch war. Aber mir geht es um Langlebigkeit und Ausdauer, um eine kontinuierliche Entwicklung. Darum freue ich mich jetzt auch auf meine Tournee, weil ich mit diesen Leuten einfach gerne zusammen bin. Wir haben schon so viel Spaß, wenn wir im Studio arbeiten. Jeder genießt es, wenn wir zusammen sind. Es ist ein Riesenglück, dass das so ist.
KW: Helena Josefssons starke, soulige Stimme hat auch auf „Party Crasher“ eine tragende Rolle – mitunter fast so wie früher Marie Fredriksson bei Roxette.
Per Gessle: So habe ich das am liebsten. Das ist wie bei Roxette. Als wir in den 1980ern anfingen, war die Grundidee, dass ich die Songs schreibe, und Marie diese Songs singt. Dann haben wir das geändert. Marie hat einige Songs geschrieben, ich habe einige Songs gesungen. Wenn es um Stimmen geht, finde ich es wunderbar, wenn man verschiedene Farben zusammenmischen kann. Einige meiner Lieblingsbands haben mehrere Sänger, so wie die Beatles oder Fleetwood Mac, die vielleicht ein noch besseres Beispiel dafür sind mit den starken Stimmen von Stevie Nicks, Christine McVie und Lindsay Buckingham. Mit verschiedenen Sängern hat man bei den Songs und bei der Produktion viel mehr Möglichkeiten offen. Für „Party Crasher“ war Helena praktisch von Beginn an mit dabei, als ich die Songs ihr, Clarence und Christoffer zum ersten Mal vorgespielt habe. Sie ist nicht nur einmal kurz ins Studio gekommen, um ihren Gesangspart einzusingen. Sie war den ganzen Schaffensprozess über in alles involviert. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sie gar so viel singt auf der Platte. Es gab ehrlich gesagt sogar einen Punkt, wo ich mir dachte, jetzt singt sie aber schon zu viel. Darum ist sie auch in den letzten Songs, die ich aufgenommen habe, „The Party Pleaser“ und „Gut Feeling“, überhaupt nicht mehr mit dabei. Ich musste da noch schnell einen Kontrapunkt setzen. (Lacht)
KW: Sie sollen in letzter Minute auch noch einige Songs auf dem fast fertigen Album ausgetauscht haben. Warum das? Ein unstillbarer Hang zum Perfektionismus?

Per Gessle: Das Album war mir plötzlich zu langsam vom Tempo her, es waren zu viele Balladen, die sich alle aus den anfänglichen Grooves heraus entwickelt hatten. Ich habe also einige langsamere Songs heruntergenommen und noch „The Party Pleaser“ und „Gut Feeling“ geschrieben, um mehr Tempo und Energie hineinzupacken. Vielleicht ist das auch nur eine Geschmacksfrage, aber es ist auch kein unüblicher Prozess, wenn man eine Platte macht. Man versucht immer bis zum Schluss, die richtige Temperatur hinzubekommen.
KW: Und beim Schreiben einzelner Songs, wie arbeiten Sie da?
Per Gessle: Anders als die meisten in der Pop-Branche heute. Es gibt heute ja kaum noch Songschreiber, die alleine arbeiten. Bei den Britney Spears und Kelly Clarksons dieser Welt sind ja große Songschreiberteams am Werk. Wenn man in diesem Stil arbeitet, muss zwangsläufig jede Persönlichkeit verloren gehen. So etwas funktioniert für mich nicht. Man fühlt doch selbst am besten im Bauch, wenn ein Song gut ist. Ich habe so viele Ideen für Songs herumschwirren, ob auf Papier oder auf Aufnahmegeräten, an denen ich immer wieder einmal arbeite und dann wieder liegen lasse, weil nichts Gutes herauskommen will. Und ein anderes Mal wird plötzlich etwas daraus. Obwohl ich schon zugeben muss, dass ich früher praktisch die ganze Zeit über neue Songs geschrieben habe. Heute schreibe ich eigentlich nur noch, wenn ich an einem neuen Projekt arbeite. Als bei „Party Crasher“ klar war, dass die Ausgangsbasis die Grooves sein sollen, habe ich ziemlich schnell 16, 17 neue Songs geschrieben, von denen wir die meisten auch aufgenommen haben. Seit dem letzten Sommer habe ich aber noch kein einziges neues Lied gemacht.
KW: Ihre Musikerkarriere läuft jetzt schon an die dreißig Jahre. Sie selbst sind im Jänner fünfzig Jahre alt geworden. Welche Zwischenbilanz können Sie ziehen? Von außen betrachtet sieht man ein zufriedenes, erfülltes Leben und einen überhaupt nicht abgehobenen, stark verwurzelten Menschen und Musiker. Täuscht dieser Eindruck?
Per Gessle: Ich hatte sehr viel Glück in meiner Karriere, es ist alles wunderbar gelaufen, und ich versuche daher bescheiden zu bleiben. Ich nehme auch nicht alles als garantiert hin für die Zukunft. Ich bin einfach stolz auf meinen Katalog an Songs aus all den Jahren. Überall auf der Welt gibt es Leute, die sich immer noch „It Must Have Been Love“ und „Listen To Your Heart“ anhören oder welches meiner Lieder auch immer. Ich denke da aber nicht zu viel darüber nach, ich möchte meine Arbeit weiterführen, ich will nicht an der Vergangenheit festkleben. Ich habe auch schon wieder neue Pläne für die Zeit nach der kommenden Tournee, die jetzt im April startet.
KW: Wie wird die Tournee laufen?
Per Gessle: Es wird eine kleine Club-Tournee, wir beginnen am 16. April in Finnland und spielen Konzerte in 14 europäischen Städten. Ich habe mir diese Tournee quasi selbst zum 50. Geburtstag geschenkt. Passend zum neuen internationalen Album „Party Crasher“ möchte ich die größten Hits unter meinen englischsprachigen Songs spielen. Ich werde daher auch viele Songs von Roxette bringen, aber auch Stücke von den Soloplatten „Son Of A Plumber“, „The World According To Gessle“ und natürlich „Party Crasher“. Es gibt ja viele Songs wie „Listen To Your Heart“, die ich bei Roxette für Marie geschrieben und bis jetzt noch nie gesungen habe, jedenfalls nicht auf der Bühne und meist überhaupt nur auf den ersten Demobändern. Jetzt werde ich sie endlich einmal selbst live singen, und es wird eine gitarrengetriebene Powerpopshow werden mit vielen guten alten und neuen Stücken.
KW: Hat es für Sie in all den Jahren eine echte Alternative zum Musikerdasein gegeben?
Per Gessle: Nein. (Lacht) Wenn ich dazu gezwungen gewesen wäre, hätte es mich schon irgendwo hin verschlagen. Aber einen richtigen Plan B hat es nie gegeben. Ich hatte meinen ersten Hit im Frühjahr 1980, als ich gerade 21 Jahre alt geworden bin. Dann haben wir [mit seiner ersten Band Gyllene Tider] unser erstes Album veröffentlicht, das ein großer Erfolg wurde, und wir sind gleich auf Tournee gegangen und haben über 130 Konzerte gespielt in einem Jahr. Und so ist es weiter gelaufen, es gab für mich daher nie einen Grund, mir eine Alternative zu überlegen oder irgendetwas zu verändern. Ich konnte machen, was ich am meisten liebe. Mein Vater war von Beruf ja Installateur, daher auch der Name „Son Of A Plumber“. (Lacht) Ich selbst wollte als Schüler gerne Architekt werden und habe auch zu studieren begonnen, aber es nie zu Ende gebracht. Ich habe also gar keinen richtigen Beruf erlernt.
KW: Würden Sie heute, wenn Sie noch einmal zwanzig Jahre jung wären, wieder Musiker werden? In einer Zeit, in der die Musikindustrie zusammenkracht, und man als Musiker sich seinen Lebensunterhalt noch viel schwerer verdienen muss als früher, als es noch nicht die Möglichkeit gab, im Internet jedes Musikstück herunter zu laden, ohne dafür die Plattenfirmen und Musiker bezahlen zu müssen.
Per Gessle: Nein, ich glaube nicht. Heute ist Pop- oder Rockmusik für einen 20-Jährigen auch gar nicht mehr so interessant und lebensnotwendig, wie sie es damals für mich war. Ich sehe das ja bei meinem 11-jährigen Sohn. Wenn ich seine musikalischen Ambitionen und seinen musikalischen Geschmack mit mir als 11-Jährigem vergleiche, dann sind das zwei verschiedene Welten. Heute haben die Kids so viele verschiedene Möglichkeiten, um Spaß zu haben, vom Computer und der Playstation bis was auch immer. Für mich gab es nur die Musik und nur die Musik allein. Ich habe mein ganzes Leben mit der Musik identifiziert. Ich brauchte die Musik, wenn ich glücklich war, und ich brauchte sie, wenn ich traurig war. Wenn ich mich verliebt habe und auch wieder, wenn eine Liebe zerbrochen ist. Die Musik war immer da für mich. Aber die Leute halten das heute nicht mehr so. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, die Zeiten haben sich nur stark verändert. Vielleicht würde ich heute als 20-Jähriger auch viel lieber etwas Kreatives mit dem Computer machen als Musiker zu werden.
Per Gessle Party Crasher, EMI, 2009
(Veröffentlicht in: now! ° 77, April 2009, komplett überarbeitet im Jänner 2020)