Talk Show/Interviews 09: Mayer Hawthorne, Soul-Sänger, DJ, Beat-Produzent.
Mayer Hawthorne startete als HipHop-DJ und Beat-Produzent. Aber mit seinem ersten Album „A Strange Arrangement“ fabrizierte der knapp Dreißigjährige, der wie ein um Jahre jüngerer Computer-Nerd oder Sixties Mod aussieht, ein brillantes, modernes Soul-Album. Der Musiker, der aus Ann Arbor nahe der Motown-Stadt Detroit stammt und heute in Los Angeles lebt, heißt eigentlich Andrew Mayer Cohen. Aber er wollte einen Künstlernamen, mit dem man auch in einem Pornofilm mitspielen könnte, sagt er.
Klaus Winninger: Sie haben als HipHop-DJ und HipHop-Produzent in der Musikszene angefangen, jetzt machen Sie quasi modernen Neo-Soul. Ist Ihnen der HipHop mit all seinen Klischees zu langweilig geworden?
Mayer Hawthorne: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich ja selbst immer bemüht, guten HipHop zu machen. Und Mayer Hawthorne war erst einmal auch nur ein Nebenprojekt für einen Song. Aber dadurch habe ich in Los Angeles Peanut Butter Wolf kennengelernt, den Chef von Stones Throw Records. Er war mehr an meiner Soul-Musik interessiert als an meinen HipHop-Beats. Als ich den Vertrag mit ihm unterschrieben habe, hätte ich nicht daran gedacht, gleich ein ganzes Soul-Album aufzunehmen. Ich wollte weiter HipHop machen.
KW: Aber ist HipHop nicht durch die Bank heute stinklangweilig? Überhaupt nicht mehr innovativ?
Mayer Hawthorne: Was immer man tut, man muss versuchen, dabei innovativ zu bleiben. Auch wenn man klassischen Soul macht.
KW: Auf dem Cover der Promo-CD Ihres Debütalbums A Strange Arrangement sagen Sie: „Es ist alter Soul. Aber es ist neu.“ Können Sie uns diesen Gegensatz erklären?
Mayer Hawthorne: Als ich angefangen habe, an der Platte zu arbeiten, wollte ich, dass sie ein zeitloses, klassisches Feeling hat. Zugleich war es mir wichtig, etwas Neues zu machen. Ich will ja eine neue Generation von Kids damit ansprechen, die nicht mit dem Motown Soul aufgewachsen sind. Und daher ist es wichtig, dass sie fühlen, dass das eine neue zeitgemäße Musik ist, die ihnen etwas zu sagen hat. Dass es ihre Musik ist und nicht die Musik ihrer Eltern. Und weil ich aus einer HipHop-DJ und HipHop-Produzenten-Perspektive heraus an meiner Musik arbeite, gibt es auch eine Menge moderner Einflüsse auf dem Album. Es ist eine Soul-Platte für Leute, die auch HipHop lieben.
KW: Hat es Sie Überwindung gekostet, als Sänger, Songschreiber und Musiker so sehr in den Vordergrund zu treten? Als HipHop-Produzent können Sie ja mehr im Hintergrund agieren.
Mayer Hawthorne: Das war eine große Herausforderung für mich. Ich musste dafür auch total umdenken, auch was mein musikalisches Handwerkszeug und die Art der Produktion anlangt. Auch dass ich jetzt auch singe, ist nicht so leicht für mich. Ich musste dafür ja erst einmal lernen, wie ich meine Stimme als Instrument einsetzen kann. Und ich lerne gerade als Sänger jeden Tag wieder etwas dazu.
KW: Sie spielen auf A Strange Arrangement ja nicht nur die meisten Instrumente selbst, Sie singen neben der Lead-Stimme auch noch die Background Vocals. Warum alles im Alleingang? Sind sie nicht teamtauglich?
Mayer Hawthorne: Wenn ich einen Song schreibe, höre ich üblicherweise schon den ganzen Song in meinem Kopf. Ich höre das Schlagzeug, den Bass, das Klavierpart, die Gesangsharmonien, die Streicher etc. – also ist es für mich am bequemsten, alles gleich selbst zu spielen und zu singen, bevor ich lange einem anderen Musiker erklären muss, wie ich es haben will.
KW: Wie ist es gekommen, dass Sie so ein musikalisches Multitalent sind?
Mayer Hawthorne: Mein Vater spielt Bassgitarre in einer Band in Detroit, auch heute noch. Meine Mutter spielt Klavier. Und die beiden haben mir einiges beigebracht. Ich hatte sogar Schlagzeug- und Klavierunterricht, als ich klein war. Aber ich habe das nicht sonderlich gemocht. Ich habe mir das meiste dann lieber selbst beigebracht und auf den Instrumenten einfach mal herumprobiert.
KW: Sie sind also in einem total musikbegeisterten Umfeld groß geworden?
Mayer Hawthorne: Klar, bei uns zu Hause haben wir immer irgendwelche Platten angehört. Meine Eltern haben mir viel neue Musik nähergebracht, da hatte ich großes Glück.
KW: Als Sie älter wurden und pubertierten, haben Sie da nicht auch einmal gegen die Musik Ihrer Eltern zu rebellieren begonnen?
Mayer Hawthorne: Das passierte, ja. Als ich Anfang der 1990er auf die High School ging und anfing, HipHop zu hören. LL Cool J, Public Enemy, NWA und Ice Cube. Das war richtig rebellische Musik für mich, das war meine Musik, sie gehörte mir und nicht meinen Eltern. Aber insgeheim habe ich auch die Musik meiner alten Leute weiter gemocht.
KW: Waren Alternative Rock oder Grunge nie ein Thema für Sie? Das ist doch typischer amerikanischer Teenager-Rock-Sound.
Mayer Hawthorne: Ich habe früher auch viel Heavy Metal gehört. Iron Maiden, Ministry und Helmet. Die Smashing Pumpkins sind immer noch eine meiner Lieblingsbands.
KW: Sonderlich beeinflusst hat das Ihre eigene Musik aber nicht, oder?
Mayer Hawthorne: Ich glaube schon, dass man das ein wenig auch auf meinem Album hören kann. Das deutlichste Beispiel ist vielleicht das klagende Gitarrensolo in Green Eyed Love – so etwas hört man auf einem normalen Soul-Album sicher nicht.
KW: Da Sie auf Strange Arrangements fast alles selbst musizieren und singen, ist es umso rätselhafter, dass Sie sich dafür einen Künstlernamen zugelegt haben. Warum haben Sie die Platte nicht unter Ihrem richtigen Namen Andrew Mayer Cohen veröffentlicht?
Mayer Hawthorne: Als ich angefangen habe, die ersten Demos für Mayer Hawthorne aufzunehmen, hab ich das wie gesagt nur so nebenbei gemacht und es als Spaß und Zeitvertreib betrachtet. Es war nichts Wichtiges für mich. Also habe ich mir einen Spaßnamen ausgedacht, mit dem ich auch in einem Pornofilm mitmachen könnte. Mayer ist mein zweiter Vorname und Hawthorne ist die Straße, in der ich aufgewachsen bin. Meine Eltern leben noch dort.
KW: Aus dem Spaß ist inzwischen Ernst geworden. Mayer Hawthorne ist ein Erfolg. Wie wird es mit ihm weitergehen? Was sind Ihre Pläne für ihn?
Mayer Hawthorne: Stimmt, es ist eine richtige Karriere geworden. Aber ich möchte auch weiter meinen Spaß damit haben. Ich nehme zwar meine Musik sehr ernst, aber mich selbst als Person weit weniger. Wenn ich mit Mayer Hawthorne einmal an einem Punkt ankomme, an dem es mir keinen Spaß mehr macht, dann muss ich etwas anderes anfangen. Momentan schreibe ich aber schon Songs für ein neues Mayer-Hawthorne-Album. Und ich habe auch einige neue Tracks für Snoop Dogg und für Ghostface Killah produziert.
KW: Mayer Hawthorne ist ein Künstlername. Ist der Typ vorne auf der Plattenhülle, diese Mischung aus Computer-Nerd und Sixties-Mod eine Kunstfigur oder echt? Ist das der wahre Andrew Mayer Cohen?
Mayer Hawthorne: (Lacht) Das bin wirklich ich. Ich habe schon in der Schule viel mit Computern gearbeitet und Informatik studiert. Ich bin auch im wahren Leben ein Sonderling. Aber einer, der viel Spaß hat.
(Veröffentlicht in: now! N° 82, November 2009, komplett überarbeitet im April 2020)