My Videos of the Year: Lieblingspopvideos 2016

2016 ist vorbei, aber mein Lieblingspopvideo 2016 habe ich mir erst gerade gestern wieder angeschaut. Mit den positiven Vibes, die es ausschickt, ist nachgerade ideal für den Start in Neues. Eigentlich sehe ich mir ja kaum noch neue Popvideos an, auch wenn es mit YouTube ein Leichtes wäre. Aber die Arschwackelclips zum Arschwackelpop von Rihanna & Co. sind ebenso wenig mein Bier wie die Technostarwarsblitzer der neuesten Hits der Electronic Dance Music Szene. 2016 aber haben mich doch wieder einige neue kunstvoll gestylte, wunderbare Popvideos erreicht, die zwar wie aus der Zeit gefallen wirken, zugleich aber für mich gut ins Hier und Jetzt passen.

Mein Lieblingsvideo 2016 und darüber hinaus ist „Grazing in the Grass“ von den Dexys (früher: Dexys Midnight Runners), die der von mir höchstgeschätzte Kevin Rowland 2016 einmal mehr für ein formidables Album, Let The Record Show: Dexys Do Irish and Country Soul, aktivierte (mehr zu Kevin Rowland und den Dexys demnächst in diesem Blog). Warum gerade „Grazing in the Grass“? Weil a) häufig angeguckt, b) unglaublich positiv und aufbauend, c) unwiderstehlich gute Laune verbreitend und d) mit seiner kongenialen, kunterbunten und modisch retro topgestylten, visuellen Inszenierung schöne Farben ins triste Alltagsgrau bringend. Mit einer wundervollen Ästhetik, die sehr an die frühen 1980er erinnert, damit aber trefflich in die gegenwärtige Düsternis passt.

1.Dexys: Grazing in the Grass

Stilistisch ähnlich, wenn auch eines passend zu den Songs in Schwarzweiß gehalten, kreierten die Dexys drei weitere stimmungsvolle Videos, die die prächtigen Songs visuell praktisch perfekt umsetzen.

2. Dexys Both Sides Now

3. Dexys Carrickfergus

4. Dexys Curragh of Kildare

Gerne und 2016 ebenfalls öfter gesehen: Die französischen New-Beat-Videos von Popincourt, „The First Flower of Spring“ im edlen Sixties Design, sowie French Boutik, „Le Casse“, ein witzig-trashiger, punky Do-It-Yourself-Clip in Schwarzweiß.

5. Popincourt The First Flower of Spring

6. French Boutik Le Casse

Werbung

My records of the year: Meine 44 Lieblingsplatten 2016

popincourt-cover-a-new-dimension-to-modern-lovefrench-boutik-cover-front-pop-lpjochen-distelmeyer-cover-songs-from-the-bottom-vol-1udo-lindenberg-cover-staerker-als-die-zeitthe-rolling-stones-cover-blue-and-lonesomedexys-cover-let-the-record-show-frontmarius-mueller-westernhagen-cover-mtv-unpluggedbruce-springsteen-cover-live-boston-2016the-beatles-cover-live-at-the-hollywood-bowl

Also, jetzt mal doch wieder eine richtige Alben des Jahres-Liste, mache ich gern in diesem Seuchen-Jahr, in dem die Musik aber richtig gut war. Ausnahmsweise mal wieder mit – höchst subjektiver! – Reihung. Meine fünf Lieblingsplatten 2016 sind diese dreizehn. Die weiteren einunddreißig Nennungen sind alphabetisch gelistet.

  1. PopincourtA New Dimension to Modern Love

From Paris with Love: Keine Platte vermochte mich 2016 mehr zu berühren, mehr zu begeistern als das Debütalbum der Pariser Pop-Combo Popincourt mit einem unglaublich bezaubernden Mix aus Blue Note Jazz, Sixties Beat und britischem 1980er Indie-Pop. Mastermind, Sänger, Songschreiber und Multiinstrumentalist Olivier Popincourt  singt seine beseelten, wohltuenden, wunderhübsch melodiösen Songs wie „The First Flower of Spring“, „The Things That Last“ oder das funkelnde Titellied mit einem wunderbaren Schmelz in der Stimme, und seine Lyrics in Englisch, mit einem leichten, sehr charmanten französischen Akzent, dass einem das Herz  übergeht.

  1. French BoutikFront Pop

The new French Beat from Paris: Wer Ja zu Popincourt sagt, sollte auch nicht Nein zu French Boutik sagen. Eine hinreißende Combo, die nicht nur dem Beat, Soul und Mod-Feeling  der 1960er huldigt, sondern auch dem Spirit des Punk und der New Wave der 1970er und 1980er.  Wie Popincourt zelebrieren auch French Boutik eine sympathische, an Paul Wellers 1980er Band The Style Council erinnernde, pro-europäische Internationalität. Sie singen meist in Französisch und covern erfrischend fetzig Françoise Hardys „Je Ne Suis La Pour Personne“, haben aber auch famose eigene Songs wie „Le Mac“ oder „Costard Italien“ oder die englisch gesungenen „Hitch A Ride“ und „The Rent“. Sängerin Gabriela Giacoman gastiert bei Popincourt, Olivier Popincourt bei French Boutik an der Hammond Orgel. Absolutely French!

  1. Jochen DistelmeyerSongs From The Bottom Vol. 1

Der frühere Sänger und Songschreiber der Hamburger Indierock-Combo Blumfeld singt auf „Songs From The Bottom Vol. 1“ statt Deutsch nun alles in Englisch, mit seiner irgendwie immer stoisch ungerührten, aber dann doch anrührenden Stimme, allein zur Gitarrenbegleitung und ein wenig Orgel und Klavier. Ein höchst obskurer, aber doch wunderbar stimmiger Coverversionen-Cocktail. Mit grandios interpretierten Songs von Lana Del Rey, Britney Spears, Nick Lowe, The Verve, The Byrds, Joni Mitchell oder Al Green. Eine so überraschende wie beglückende Offenbarung.

  1. DexysLet the Record Show: Dexys Do Irish and Country Soul

Kevin Rowland arbeitet weiter an seiner Vision der Dexys. Top gestylt, mit trefflich ausgewählten, top instrumentierten, von Rowland fantastisch gut gesungenen Coverversionen wunderbar melodiöser und hochemotionaler älterer Songs, die nicht immer irisch oder Country sind, sondern einfach Pop. Zu einigen gibt es brillante, durchgestylte Videos, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat.

  1. Udo LindenbergStärker als die Zeit

Drei in einer Reihe: Nach den supersupernen Alben Stark Wie Zwei (2008) und MTV Unplugged (2013) setzt Dr. Feeel Good die allerbeste Zeit seiner Karriere ungebremst fort, stärker und besser denn je. Was für eine coole Socke!

  1. The Rolling StonesBlue & Lonesome

Reif fürs Altersheim? In Würde altern? Wiederbelebt? Ihr bestes Album seit Jahren? Geschenkt. Die Rolling Stones spielen doch seit Jahren in prächtiger Kondition kraftvolle Konzerte mit ihren größten Hits. Diese zwölf hochoktanigen Coverversionen alter Bluessongs, die sie in drei Tagen in einem Londoner Studio aufgenommen haben, sind so elektrisierend, scharf und relevant wie nur was.

  1. Michael KiwanukaLove and Hate

Beyoncè? Kanye West? Rihanna? Drake? Alle nicht meine Tasse Tee. Meine liebsten Rhythm & Blues- und Soul-Longplayer des Jahres sind zum einen die strictly old school Scheiben der viel zu früh verstorbenen Sharon Jones und von Charles Bradley. Zum anderen Michael Kiwanukas zweites Album, das noch mal um Klassen besser ist als sein über Gebühr gelobtes 2012er Debütalbum Home Again. Kiwanuka mixt Otis Redding, Jimi Hendrix, Marvin Gaye und auch Pink Floyd zu seinem eigenständigen, zeitgemäßen, modernen Soul.

  1. Leonard CohenYou Want it Darker

Zu viele Tote in diesem Musikjahr, aber sind es das nicht immer, und werden es leider nicht immer mehr? Anders als im Fall von David Bowies Blackstar, das ich 2016 kaum mal hören wollte bzw. einfach nicht hören konnte, geht es mir mit Leonard Cohens finalem Album besser, ich höre es gern und oft, als Feier seiner Poesie und seines erfüllten Lebens.

  1. Ben WattFever Dream

Auf seinem dritten Soloalbum, dem zweiten kurz aufeinanderfolgenden, verzaubert der Ex-Everything But The Girl-Musiker erneut mit seinen tief berührenden, empfindsamen Folkrock-Songs, die das Wunder bewirken, sich in durchgeknallten, horriblen Zeiten wie den unseren, Momente lang wieder wie ein richtiger Mensch zu fühlen. Eine guttuende Atempause in der allgegenwärtigen zerstörerischen Beschleunigung.

  1. Mathilde Santing Both Sides Now: Matilde Santing Sings Joni Mitchell

Ehrlich, ohne Twitter hätte ich wohl das superbe neue Album dieser wunderbaren holländischen Sängerin verpasst, die ich seit ihrer 1982er Debüt-EP Introducing überaus schätze. Zuletzt von meinem persönlichen Radar verschwunden, zelebriert Mathilde Santing hier zwölf der größten Songs von Joni Mitchell, live aufgenommen im North Sea Jazz Club in Amsterdam. Unwiderstehlich schön. Und zurzeit nur via Mathilde Santings Website https://mathildesanting.com erhältlich.

  1. Marius Müller-WesternhagenMTV Unplugged

Wie bei Udo Lindenberg bin ich auch zu Marius Müller-Westernhagen wieder zurückgekehrt durch die neuen faszinanten Schriften von Benjamin von Stuckrad-Barre. MTV Unplugged ist auf vier LPs eine piekfein inszenierte, instrumentierte und gesungene Best-of-Werkschau von hoher Qualität, mit viel Emotion, Seele und großer Wirkung.

  1. The BeatlesLive at the Hollywood Bowl

Schon die Erstauflage dieser hinreißenden Konzertplatte, die 1964 und 1965 bei zwei Konzerten in der legendären Hollywood Bowl in Los Angeles mitgeschnitten wurde, überraschte mit ihrem Mix, der die super Performance der Fab Four vom Beatlemania-Gekreische befreite. Die Neuauflage mit vier Bonustracks setzt noch einmal einen drauf.

  1. Bruce Springsteen and the E Street BandLive at the TD Garden, Boston, MA, February 4th 2016 / Bruce Springsteen – Chapter and Verse

Nie hatten die Songs von Bruce Springsteens grandiosem Doppelalbum The River mehr Wirkung, nie machten sie als Ganzes mehr Sinn, nie klangen sie besser als bei den US-Konzerten der The River-Tournee. In Boston etwa, Anfang Februar 2016, sind der Boss und die E Street Band auf dem Gipfel ihrer Mission angekommen, dokumentiert auf drei unverzichtbaren CDs. Und Chapter and Verse, die erste wirklich geglückte Compilation von Springsteens Schaffen, begleitet seine großartige Autobiografie Born to Run.

 

Nennungen ehrenhalber:

 ABCLexicon of Love II

AirTwentyears

Karl BlauIntroducing Karl Blau

Bon Iver22, A Million

David BowieBlackstar

Charles BradleyChanges

Billy Bragg & Joe HenryShine a Light: Field Recordings from the Great American Railroad

Eric ClaptonI Still Do

David CrosbyLighthouse

Betty DavisThe Columbia Years 1968-1969

DionNew York Is My Home

Bob DylanFallen Angels

The Last Shadow PuppetsEverything You’ve Come to Expect

Mayer HawthorneMan About Town

Norah JonesDay Breaks

Sharon JonesOriginal Motion Picture Soundtrack: Miss Sharon Jones!

The MonkeesGood Times!

Van MorrisonKeep Me Singing

NenaOld School

The PretendersAlone

Nada SurfYou Know Who You Are

Pet Shop BoysSuper

SantanaSantana IV

Paul SimonStranger to Stranger

Kandace SpringsSoul Eyes

Sting57th & 9th

Teenage FanclubHere

WaldeckGran Paradiso

WilcoSchmilco

YelloToy

 

2015 in 33 Alben & 25 Songs

blur_cover_the_magic_whip_blog_01leon-bridges_cover_coming_hometame-impala_cover_currents

Die wichtigste Musik des Jahres? Damit kann ich nicht dienen. Was ich hier (rein alphabetisch) auflisten will und nennen kann, ist das: 30 neue Alben, die 2015 meine Umlaufbahn kreuzten und mir im besten Fall ans Herz wuchsen oder zumindest mein Interesse weckten und wachhalten konnten. Dazu drei immens erweiterte rock- und pophistorische Albumneuauflagen von Bruce Springsteen, Led Zeppelin und den Beatles, also für mich unverzichtbarer Stoff. Sowie 25 meiner Lieblingssongs von 2015, die es nirgendwo im Radio hintereinander zu hören gibt, weshalb ich immer wieder mal meine aktuelle Singles-Playlist mit Songneuheiten update, was mir ein steter Quell der Freude ist. Okay, erwischt, es sind mehr als 25 Songs, weil ich mehrere selbstgebastelte fantastische Doppel-A-Seiten-Singles wie bei Jamie XX, The Weeknd, New Order, Blur, Adele, Bilderbuch oder Wanda dazwischen gemogelt habe. Apropos Lieblingssongs: Sie wissen hoffentlich, es gibt keine peinlichen Lieblingssongs. Es gibt nur Lieblingssongs, für die man sich weder zu genieren, noch zu entschuldigen hat, sondern sich ausgiebig daran erfreuen sollte. Let it play.

 

33 neue, vielleicht gar nicht mal so wichtige, aber meist gern gehörte Alben

ryan_adams_cover_1989Ryan Adams – 1989

Adele – 25

Alabama Shakes – Sound & Color

The Arcs – Yours, Dreamily

The Beatles – 1+

Bilderbuch – Schick Schock

Blur – The Magic Whip

Leon Bridges – Coming Home

leonard-cohen_cover_cant-forgetLeonard Cohen – Can’t Forget: A Souvenir Of The Grand Tour

Sarah Cracknell – Red Kite

Lana Del Rey – Honeymoon

Destroyer – Poison

Bob Dylan – Shadows In The Night

ELO – Alone In The Universe

Richard Hawley – Hollow Meadows

Don Henly – Cass County

jamie-xx_cover_in-colourJamie XX – In Colour

Kid Rock – First Kiss

Mark Knopfler – Tracker

Diana Krall – Wallflower

Led Zeppelin – Coda (3 CD Deluxe Edition)

Darlene Love – Introducing Darlene Love

Ashley Monroe – The Blade

New Order – Music Complete

Graham Parker & The Rumour – Mystery Glue

Keith Richards – Crosseyed Heart

mark-ronson_cover_uptownMark Ronson – Uptown Special

Boz Scaggs – A Fool To Care

Bruce Springsteen – The Ties That Bind: The River Collection

Tame Impala – Currents

Wanda – Bologna (2014) / Bussi (2015)

Paul Weller – Saturns Pattern

Brian Wilson – No Pier Pressure

 

25 Lieblingssongs, und ein paar mehr

adele_cover_single_helloAdele – Hello / When We Were Young

The Arcs – Out Of My Mind

Bilderbuch – Willkommen im Dschungel / Softdrink

Blur – Lonesome Street / Ong Ong

Lana Del Rey – High By The Beach / Honeymoon

dawes_cover_all_your_favoriteDawes – All Your Favorite Bands

Dion & Paul Simon – New York Is My Home

Chic – I’ll Be There

Duffy – Whole Lot Of Love

ELO – When I Was A Boy

ellie-goulding_cover_love-me-likeEllie Goulding – Love Me Like You Do

Jamie XX – Loud Places (A) / I Know There’s Gonna Be (Good Times)

Annie Lennox – I Put A Spell On You

 

Darlene Love – Forbidden Nights

rihanna_cover_FourFiveSecondsCharlie Puth – Marvin Gaye

Rihanna, Kanye West, Paul McCartney – FourFiveSeconds

Kid Rock – First Kiss

New Order – Restless / Tutti Frutti

Keith Richards – Trouble / Love Overdue

mark-ronson_cover_uptown-funk-single

Mark Ronson – Uptown Funk

Tame Impala – Cause I’m A Man

Wanda – Bologna / Bussi Baby

 

The Weeknd – Can’t Feel My Face / Earned It

the-weeknd_cover_cant-feel-my-faceWhiz Kalifa – See You Again

Paul Weller – Pick It Up / I’m Where I Should Be

 

Ist der Hitparadenpop heute wirklich schlechter als früher?

bay_city_rollers_02

Warum verteufeln eigentlich dieselben Leute, die gerne mal den Pop früherer Tage verherrlichen, praktisch jeden aktuellen neuen Hit? Heute wollen einem ja sogar schon die Feuilletonredakteure der Qualitätsmedien weismachen wie famos irgendwelche Hits von anno dazumal eigentlich waren. Songs, die sie damals, als sie laufend im Radio gespielt wurden, unter Garantie schrecklich gefunden und gnadenlos niedergemacht hätten. Aber sie waren damals ja noch gar nicht geboren oder höchstens gerade im Kindergarten. Dafür lassen sie heute ihren Unmut genüsslich am jüngsten Hit von Rihanna, Lady Gaga oder One Direction aus. Und rehabilitieren – nur mal so als Beispiel – lieber den Schottenkaro-Pop der Bay City Rollers, der in den frühen 1970ern für ein paar Jahre vor allem Teenagermädchenherzen rasen ließ. Vor ein paar Tagen las ich ein Feature auf Spiegel Online über die eben erst wiederveröffentlichten ersten fünf Langspieler der schottischen Teeniepopband und konnte die posthume Seligsprechung nicht so recht glauben. Wenn mich meine Erinnerung und meine Plattensammlung nicht trügen, dann waren die Bay City Rollers nun wirklich nicht so toll. Sie haben zwar ein paar zündende Radiohits wie „Shang A Lang“, „Bye Bye Baby“, „Saturday Night“ oder „Give A Little Love“ fabriziert, die fast weltweiten Erfolg hatten. Aber nichts dermaßen Großartiges, als dass man ihren „herrlichen Bubblegum-Pop“ („Spiegel Online“) im Nachhinein durch den Nebel der Nostalgie jetzt zum Kult verklären müsste. Wer damals schon Radio hörte und sich seine ersten Vinylsingles kaufte, also zum Beispiel ich, weiß: The Sweet, Slade oder T.Rex konnten hinreißenden rockigen Pop, drei Minuten lang dein Teenagerleben aufpeppende Hits um vieles besser. ABBA sowieso. Doch selbst ABBA mussten schließlich eine Ewigkeit warten, bis sie von der Popkritik plötzlich für „gut“, „brillant“ oder gar „genial“ befunden wurden. Nachdem sie zur Zeit ihrer Hits in den 1970ern allen Erfolgen und Superlativen zum Trotz als seelenlose Fließbandpopfabrikanten geschimpft wurden, gelten ABBA heute fast jedem als kreative Popgenies. Und die Bay City Rollers? Ich meine, ich habe nichts gegen die Band. Frühere Neuauflagen ihrer ersten paar Alben finden sich auch in einer der vielen Schachteln mit meiner CD-Sammlung. „Rollermanic. Mein Leben als Teen-Pop-Idol“ (im Original „Shang A Lang“ betitelt), die – immerhin – mit einem Vorwort von Irvine Welsh versehene Autobiografie von Bay-City-Rollers-Sänger Les McKeown, die man als Popfreund angeblich unbedingt gelesen haben sollte, steht auch bei mir fein säuberlich im Regal. Immer noch ungelesen. Das muss nichts heißen, das tut „Licht und Schatten. ABBA – Die wahre Geschichte“, der ultimative dicke Wälzer über ABBA von Carl Magnus Palm, ja auch. Was ich aber nicht verstehe, was ich bedenklich finde: Warum denunziert fast jeder als clever, hip, geschmackssicher gelten wollende Popexperte quasi automatisch jeden brandneuen angesagten Hit, selbst wenn er noch so gut ist? Und völlig egal, ob es sich um „Gangnam Style“ von Psy, „We Are Young“ (Fun.), Diamonds“ (Rihanna), „Scream & Shout“ (Will.I.Am), „We’re Never Getting Back Together“ (Taylor Swift), „Locked Out Of Heaven” (Bruno Mars), „I Love It“ (Icona Pop), „Thrift Shop“ (Macklemore & Ryan Lewis) oder „Mirrors“ von Justin Timberlake handelt. Warum glorifiziert man lieber im Rückspiegel die Bay City Rollers oder irgendeine andere Hitfabrik? Weil man die eigene Reputation als Popkenner nicht aufs Spiel setzen will? Weil man die Songs, die man mag und gut findet, nicht mit – sehr vielen – anderen teilen will? Weil man halt doch lieber etwas Besonderes wäre und nicht nur Teil der Masse, des Massengeschmacks? Es bringt doch nichts, immer erst viele Jahre später draufzukommen, dass der Pop von damals ja eigentlich doch ganz gut war. „Pop“ kam und kommt immer noch von „populär“. Das ist seine Essenz. Die vielen jungen Mädchen und manche Jungs, sie wissen das. Damals, und heute auch.