Kris Kristofferson: „Wirklich frei ist man erst, wenn man tot ist!“

Talk Show/Interviews 03: Kris Kristofferson.

Der große amerikanische Singer/Songwriter, Country-Sänger und Schaupieler, feiert am  22. Juni 2023 seinen 87. Geburtstag. Long may the old buffalo run.

Sein Vollbart wurde aber schon grau, als anno 1970 kein Geringerer als Johnny Cash auf der Coverrückseite seiner schlicht „Kristofferson“ betitelten Debütplatte sein Talent als Songschreiber rühmte, immerhin hatte Kristofferson damals schon amtliche Songklassiker wie „Me And Bobby McGee“, „Help Me Make It Through The Night“, „For The Good Times“ oder „Sunday Mornin’ Comin’ Down“ geschrieben und mit seiner unvergleichlichen supertiefen, immer irgendwie rau vor sich hin rumpelnden Stimme gesungen. Er war Ende der 1960er eine der Leitfiguren der neuen rebellischen Generation in Nashville, der Hauptstadt der Country Music. Der Outlaw aus Überzeugung textete viel persönlicher und zugleich politischer, als es in den meisten Country Songs üblich war. Kristofferson erwies sich als einfühlsamer Poet, vortrefflicher Geschichtenerzähler und radikaler Gesellschaftskritiker. Bis heute wurden seine Songs von hunderten Künstlern mit gutem Namen aufgenommen, darunter solche Granden wie Johnny Cash, Janis Joplin oder Frank Sinatra. Neben seiner vor allem in den 1970ern erfolgreichen Plattenkarriere etablierte sich Kristofferson sich mit Filmen wie „Pat Garrett And Billy The Kid“, „A Star Is Born“, „Convoy“ oder „Blade“ auch als erfolgreicher Hollywood-Schauspieler. Sein etwa ein Jahr vor unserem Gespräch im Frühling 2007 veröffentlichtes letztes Album „This Old Road“ ist seine erste Platte mit neuen selbst geschriebenen Songs seit gut zehn Jahren und sollte ihn im März 2007 auch ins Wiener Konzerthaus führen, wo er allein zur Gitarre alte Klassiker und neue Lieder sang. Weshalb Christoph Moser, der legendäre Musikchef seines österreichischen Plattenvertriebs Hoanzl, mir für das folgende, weit über eine Stunde dauernde Interview Kris Kristoffersons private Telefonnummer auf Hawaii anvertraute. Es läutete lange, dann aber ertönte die wohlbekannte Schmirgelpapierstimme: „Hallo?“ 

Klaus Winninger: Spreche ich mit Kris Kristofferson?

Kris Kristofferson: Ja, hallo.

KW: Wie geht es Ihnen?

Kris Kristofferson: Gut, danke. Ich war draußen und habe mit meinem Traktorrasenmäher die Wiese gemäht, deshalb hat es etwas gedauert, bis ich zum Telefon gekommen bin.

KW: Sie leben mit Ihrer dritten Frau und Ihren Kindern jetzt schon viele Jahre auf Hawaii. Warum eigentlich?

Kris Kristofferson: Meine Frau und ich haben fünf Kinder, das älteste ist schon 22, das jüngste erst elf Jahre alt. Ich wollte nicht, dass meine Kinder in einer großen Stadt aufwachsen müssen, also habe ich schon vor 25 oder 30 Jahren hier Land gekauft, und wir sind hierher gezogen.

KW: Sie haben letztes Jahr mit This Old Road nach fast zehn Jahren Pause auch wieder eine Platte mit neuen selbst geschriebenen Songs aufgenommen. Wie kam das zustande?

Kris Kristofferson: Ich schreibe eigentlich immer Songs. Ich kann da gar nichts dagegen tun, sie strömen mir einfach so zu. Und mir war es nicht einmal aufgefallen, dass ich schon so lange keine Platte mehr gemacht hatte. Aber mein Produzent Don Was fragte mich, ob ich nicht doch wieder einmal etwas Neues aufnehmen wollte. Er schlug vor, mich allein mit Gitarre und Harmonika aufzunehmen und eine ganz sparsam instrumentierte Platte zu produzieren. Zuvor fand ich die Idee ein bisschen beängstigend, aber nachdem ich auch meine Konzerte schon seit einigen Jahren alleine bestreite, hatte ich schließlich doch den Nerv, es wirklich so zu machen.

KW: Hatten Sie nach dem großen Erfolg von Songs wie „Me And Bobby McGee“ nie Zweifel oder Ängste, ob Sie solche starken Lieder überhaupt noch einmal schreiben können?

Kris Kristofferson: Ich erinnere mich, dass andere Leute diese Angst hatten. (Lacht) Die einen wollten mich überreden, nur ja nicht auf Tournee zu gehen, um keine Zeit für das Songschreiben zu verlieren. Die anderen meinten, ich sollte keine Filme mehr drehen, weil mir die Arbeit als Schauspieler, nur wertvolle Zeit stehlen würde. Aber ich wollte immer so viele Erfahrungen wie möglich machen, und ich bin froh darüber, dass ich all diese Erfahrungen gemacht habe. Und vielleicht sollten sich diese Leute ja einmal auch die anderen Songs anhören, die ich über die Jahre geschrieben habe, und die es auch wert wären, gehört zu werden. So wie „This Old Road“ zum Beispiel, den Titelsong des neuen Albums, den ich schon früher einmal aufgenommen habe, und den damals keiner hören wollte. Und jetzt hat die neue Platte so enthusiastische Kritiken erhalten, wie ich sie lange nicht mehr gewöhnt war.

KW: Glauben Sie, dass Sie noch viele neue Songs in sich haben?

Kris Kristofferson: Ich hoffe es. Ich habe noch nie gewusst, ob ich noch ein weiteres Lied schreiben werde, nachdem ich eines vollendet habe. Aber bis jetzt schreibe ich ja immer noch welche. Und ich werde wohl solange Songs schreiben, bis man mich einmal begraben hat.

KW: Gibt es schon Pläne für ein weiteres Album?

Kris Kristofferson: Ja, mein Produzent Don Was möchte unbedingt noch so eines machen. Und die Leute von der Plattenfirma haben mich auch schon gefragt, ob ich noch so eine Platte aufnehmen will, und ich stelle gerade die Songs dafür zusammen.

KW: Sie sagen, Sie schreiben eigentlich immer an neuen Songs. Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie? Setzen Sie sich an den Schreibtisch und…

Kris Kristofferson: Nein, ich konnte mich noch nie hinsetzen und etwas aufschreiben. Wie gesagt war ich, als Sie angerufen haben, draußen auf meinem Traktor. In solchen Situationen habe ich die Gelegenheit nachzudenken, mein Gehirn fängt dann erst so richtig zu arbeiten an. Meistens inspiriert mich etwas, das in meinem Leben gerade vor sich geht. Daher reflektieren die Songs auf dem neuen Album auch, wie das Leben so ist, wenn man älter wird.

KW: Diese intuitive Methode überrascht: Schließlich sind die Texte Ihrer Songs bei aller Schnörkellosigkeit und Einfachheit oft von großer literarischer Qualität und wirken, als wären sie in mühevoller Detail- und Schreibarbeit entstanden. Egal, ob es nun ein neuer Song wie „Pilgrim’s Progress“ ist oder es sich um Klassiker wie „Me And Bobby McGee“ oder „Sunday Mornin’ Comin’ Down“ handelt.

Kris Kristofferson: Ich erfinde diese Zeilen in meinem Kopf und wälze sie  so lange hin und her, bis sie für mich passen. Ich hatte das Glück, mit sehr viel guter Literatur Bekanntschaft zu machen, als ich noch zur Schule ging und die Universität besuchte. Und danach habe ich sehr viel gute Musik kennen gelernt. Bob Dylan und die großen Country-Songschreiber wie Hank Williams, Johnny Cash, Roger Miller oder Willie Nelson. Ich vertiefte mich Mitte der 1960er Jahre voll in diese Songschreibertradition, und seither ist das die Art, in der meinen Erfahrungen einen Sinn zu geben versuche.

KW: Wobei Ihre besten Songs zum einen kunstvoll gedichtet und literarisch, zugleich aber lebensecht und berührend wirken.

Kris Kristofferson: Es freut mich, wenn die Leute, die meine Songs hören, dies so empfinden. Denn genau das ist es, was man als Songschreiber versucht. Ein guter Song versucht dich viel mehr über die Gefühle zu erreichen als über den Intellekt. Wenn man das Herz bewegt hat, folgt auch der Kopf. (Lacht) Das möchte ich auch mit meinen Liedern schaffen. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Und das gilt auch  für jene Songs, die ein politisches Thema haben: Wenn man die Gefühle der Menschen ansprechen kann, hat man auch die Chance, das Denken von jemandem zu verändern.

KW: Um 1965 herum haben Sie eine Lebensentscheidung getroffen. Sie haben beschlossen, nach Nashville, in die Hauptstadt der Country Music, zu gehen und dort Ihr Glück als Songschreiber zu versuchen. Eine Entscheidung mit weit reichenden Konsequenzen. Weder Ihre Eltern, noch Ihre erste Frau waren davon begeistert. Ihre Frau, die Mutter Ihrer ersten beiden Kinder, hat bald danach sogar die Scheidung eingereicht, weil sie dieses unstete, unsichere Leben nicht wollte. Zuvor hatten Sie schon in England an der Universität von Oxford studiert und anschließend fünf Jahre in der US-Armee als Hubschrauberpilot gedient. Sie waren also lange auf der Suche nach was auch immer unterwegs. Haben Sie je gefunden, was Sie gesucht haben?

Kris Kristofferson: Ich habe es gefunden, als ich nach Nashville gegangen bin. Ich schloss mich dort der Songschreiberszene an, das war unglaublich aufregend für mich. Damals gab es in Nashville zwei Straßen, in denen sich die ganze Musikszene abspielte, dort waren all die Aufnahmestudios und die Musikverlage und natürlich auch eine Reihe von Bars, wo alle herumgehangen sind. Man konnte da ganz unkompliziert auch mit Leuten zusammenkommen, die schon Erfolg hatten und Stars waren. Manche davon waren richtig hilfsbereit, andere haben einen einfach durch ihre tollen Songs inspiriert. Jeder von uns versuchte die anderen Songschreiber mit einem gut geschriebenen Song auszustechen. Mit guter seelenvoller Musik, niemand wollte etwas hören, das nur eine Popformel war. Wir schätzten echte, wahrhaftige Musik. Und es kostete mich etwa vier Jahre, um mich durchzusetzen und Leute wie Roger Miller oder Johnny Cash dazu zu bringen, meine Songs zu singen und auf Platte aufzunehmen. In dieser Zeit war es so, als würde ich noch einmal zur Schule gehen. Ich hatte mich total in das Songschreiben verliebt und lernte alles darüber. Auch wenn ich nie erfolgreich geworden wäre, hätte ich gefühlt, dass ich am richtigen Platz war und das Richtige mache. Johnny Cash, Willie Nelson und Waylon Jennings, all diese Künstler, die meine Helden waren und die ich so sehr bewunderte. Ich lernte sie alle kennen, und wir sind engste Freunde geworden.

KW: Nashville war also die Erfüllung Ihrer Sehnsüchte und Träume?

Kris Kristofferson: Ja! Ich hatte schon zuvor einmal zwei Wochen in Nashville verbracht, als ich eigentlich noch in der Armee war. Aber ich bekam Urlaub, als ich nach drei Jahren, in denen ich in Deutschland stationiert war, zurückgekommen bin. Am Ende dieser zwei Wochen wusste ich, dass Nashville der Platz ist, wo ich voll und ganz hin gehöre.

KW: Sie sagen: Nashville, die Hauptstadt der Country Music, die Stadt von Hank Williams, Johnny Cash und Willie Nelson, war das Ziel Ihrer Träume, in dem Sie Mitte der 1960er endlich angekommen waren. Galt das nur für den Songschreiber und Sänger Kris Kristofferson oder auch für den Menschen? Immerhin scheint ja durch das Ausleben dieser Träume auch Ihre erste Ehe zerbrochen zu sein.

Kris Kristofferson: Ich habe getan, was ich glaubte tun zu müssen. Ich wollte so viel wie möglich erleben und darüber so bewegend schreiben, wie ich nur konnte. Ich bin mir sicher, es gab da einige Unebenheiten, und ich habe wohl auch Personen, die mir nahe standen, verletzt. Ich habe viel riskiert – als Mensch, aber auch als Sänger und Songschreiber. Ich war es ja nicht einmal gewöhnt, mich vor ein Publikum hinzustellen und meine Songs zu singen. Das Einzige, was ich zuvor in der Richtung gemacht hatte, war Boxen. (Lacht) Aber wenn man auf die Bühne steigt und ein Lied singt, das man selbst geschaffen hat, dann kostet einen das doch viel mehr Überwindung. Ich hatte das Glück, damit erfolgreich zu sein. Wenn ich recht überlege, bin ich in meinem Leben vom Glück wirklich verwöhnt worden, denn die Musik für die ich mich damals entschieden habe, die seelenvolle Country Music, sie bedeutet mir heute noch genauso viel wie damals.

KW: Seelenvoll in dem Sinn, dass diese Musik etwas mit dem richtigen Leben zu tun hat?

Kris Kristofferson: Tiefe, echte Gefühle, ja. Jemand anderer kann das vielleicht auch beim Jazz fühlen, aber für mich war Jazz immer etwas viel zu Intellektuelles, das mir im Gegensatz zur Einfachheit von Country Music und Folk nichts gegeben hat.

KW: In ihrem neuen Song „Pilgrim’s Progress“ singen Sie davon, dass Sinn und Ziel des Lebens darin bestehen, ein besserer Mensch zu werden.

Kris Kristofferson: Ja, denn wenn man sich darum nicht bemüht, bleibt alles doch sehr oberflächlich. Genauso wie es beim Songschreiben und Singen nicht um bloße Kunstfertigkeit oder geschickte Spielerei gehen sollte, sondern um etwas Tiefempfundenes, muss man sich auch im Leben um tiefgehende Emotionen und um Substanz bemühen.

KW: Gab es in Ihrem Leben Dinge, die Sie heute bereuen, getan zu haben?

Kris Kristofferson: Wie viel Zeit haben wir? (Lacht) Ich fürchte, wir haben nicht genug, um alles in Frage kommende aufzuzählen. Aber wenn man die Art von Leben lebt, die ich gelebt habe, das Leben eines fahrenden Künstlers, dann lassen sich manche dieser Sachen wohl nicht vermeiden. Kaum zu glauben, dass ich heute dennoch eine so wunderbare Familie habe.

KW: In den 1970ern sollen Sie das Künstlerleben intensiv ausgekostet haben?

Kris Kristofferson: Spielen Sie darauf an, dass ich viel zu viel getrunken und auch sonst einige nicht so gesunde Sachen gemacht habe? Das stimmt. Aber ich habe überlebt, und ich bilde mir ein, dadurch gelernt zu haben, was mir gut tut und was nicht.

KW: In „Thank You For A Life“, einem Song des neuen Albums, singen Sie die Zeile „Everything I am / I owe to you“. Wer ist dieses „You“? Gott?

Kris Kristofferson: Ja. Ich habe herausgefunden, dass meine erfolgreichsten Lieder, und das sind die Liebeslieder, auf verschiedenen Ebenen funktionieren. In einem Sinne geht es hier um mich und meine Frau, die Mutter meiner Kinder. Auf einer anderen Ebene um mich und mein Publikum, das mir erlaubt hat, mich zu verwirklichen und mich auszudrücken. Und in einem weiteren, tieferen Sinne geht es um Gott. Das funktioniert bei „For The Good Times“ genauso wie bei „Help Me Make It Through The Night“ oder eben “Thank You For A Life”. Ich danke meinem Glücksstern, dass ich der Mensch geworden bin, der ich werden wollte, und dass ich heute so viel Liebe in meinem Leben habe.

KW: Liebe und Freiheit, das sind wohl die zwei häufigsten und vielleicht auch wichtigsten Themen in Ihren Songs. Vor vielen Jahren haben Sie für „Me And Bobby McGee“ die Zeile „Freedom’s just another word for nothin’ left to lose“ geschrieben. Würden Sie das heute noch so hinschreiben? Stimmt diese Aussage heute noch für Sie?

Kris Kristofferson: Die Freiheit war für mich immer ein zweischneidiges Schwert. Zum einen geht es darum, die Freiheit zu haben, so sein zu können, wie man sein möchte – und nicht so sein zu müssen, wie jemand anderer das gerne haben will. Zum anderen schränkt es die eigene Freiheit natürlich ein, wenn man an etwas gebunden ist, das man nicht verlieren will, weil man es schätzt oder liebt. Wirklich frei ist man erst, wenn man tot ist.

KW: War „Me And Bobby McGee“ also mehr eine romantische Anwandlung?

Kris Kristofferson: Ich habe den Song geschrieben, als ich als Hubschrauberpilot viel in der Gegend von New Orleans unterwegs war, ein paar Textzeilen beziehen sich auch direkt darauf. Aber ich wollte in dem Song eigentlich die Stimmung von Fellinis Film La Strada heraufbeschwören. Diese herzzerreißende Szene, als Anthony Quinn schließlich das Mädchen auf der Straße zurücklässt. Er ist jetzt zwar frei von der Verantwortung für sie, aber er leidet qualvolle Schmerzen, als er am Strand die Sterne anheult.

KW: Gibt es für Sie so etwas wie Ihren besten Song?

Kris Kristofferson: Ich habe noch nie gedacht, dass irgendeiner meiner Songs mein bester Song sei. Ich denke vielleicht, dass das ein guter Song ist. Und ich habe Songs, bei denen ich fühle, dass sie so gut sind wie „Help Me Make It Through The Night“ oder „Me And Bobby McGee“. Sie  müssen aber erst noch entdeckt und anerkannt werden.

KW: Sie haben in Ihren Songs, aber auch sonst nie davor zurückgescheut, Kritik an politischen oder sozialen Missständen zu äußern. Warum ist Ihnen dieses Engagement so wichtig?

Kris Kristofferson: Ich habe als kreativer Künstler die Verpflichtung, die Wahrheit so zu erzählen, wie ich sie sehe. Das hat mich natürlich für Plattenfirmen oft nur schwer zu vermarkten gemacht.

KW: In den späten 1980er Jahren sollen Sie wegen einiger politisch besonders radikaler Platten größte Schwierigkeiten bekommen haben.

Kris Kristofferson: Ich wurde von meiner Plattenfirma hinausgeschmissen! Man sagte, dass eher Schweine fliegen lernen, als dass meine Songs im Radio gespielt würden. Ich erinnere mich an Konzerte, die ich damals tief unten im Süden der USA gegeben habe. Die meisten Leute im Publikum wollten zornig ihr Geld zurück.

KW: Wie denken Sie über die aktuellen politischen Verhältnisse in den USA?

Kris Kristofferson: Es ist die grauenvollste und am meisten deprimierende Zeit, seitdem ich auf diesem Planeten bin. Präsident Bush hat ja überhaupt keine Ahnung, was er den Menschen Schreckliches antut, ob nun im Irak oder unseren eigenen Soldaten und ihren Familien. Wir werden nie wieder gut machen können, was wir im Irak angerichtet haben. Es ist auch nicht zu rechtfertigen. Und es basiert alles nur auf Lügen. Wir züchten damit eine ganze Generation von hasserfüllten Terroristen heran, die die USA für den Teufel halten. Gewalt erzeugt bloß noch mehr Gewalt.

KW: Sie kommen als Sohn eines Generals aus einer konservativen, sehr strengen Familie, die lange nicht gebilligt hat, welchen Lebensweg Sie eingeschlagen haben. Haben Sie deswegen umso mehr rebelliert?

Kris Kristofferson: Ich habe gar nicht so sehr gegen Irgendjemand oder Irgendetwas rebelliert. Ich bin einfach in die Richtung gegangen, in die ich gehen wollte. Meine Familie war natürlich enttäuscht von mir, weil man mich nicht verstanden hat. Aber ich weiß auch, dass meine Eltern letztlich doch noch ihre Meinung über mich geändert haben.

KW: Auch in der Musikszene scheint die Stimmung umgeschlagen zu haben: Wie Sie vorhin erwähnten, ist Ihre neue Platte so positiv aufgenommen worden wie keine Ihrer Platten seit den 1970er Jahren. Warum wohl?

Kris Kristofferson: Ich glaube, dass sich die Weltlage entscheidend verändert hat. Und dass meine Songs in dieser schlimmen Zeit daher wieder besser passen und den Menschen mehr sagen als noch vor ein paar Jahren. Vielleicht hat mir auch Johnny Cash mit seinen letzten Platten ein wenig den Weg geebnet? Er  allein mit seiner Gitarre. So mache ich es jetzt auch auf meinem Album und in meinen Konzerten.

KW: Sie stehen immer ganz allein auf der Bühne?

Kris Kristofferson: Ja, ich wage das schon seit einigen Jahren. Ich spiele zwischen eineinhalb und zwei Stunden und versuche ein Programm zu bringen, das für mich Sinn macht, aber zugleich alle Songs inkludiert, die jeder hören will. Ich möchte, dass sich die Dynamik der ganzen Show wie die Dynamik eines einzelnen Songs anfühlt.

KW: In „Final Attraction“, einem Schlüsselsong von This Old Road, erwähnen Sie verstorbene Weggefährten wie den Country-Sänger Waylon Jennings. Wie gehen Sie damit um, dass Ihre allerbesten Freunde, inzwischen leider auch Johnny Cash, nicht mehr am Leben sind?

Kris Kristofferson: Es kann nur noch schlechter werden. (Lacht grimmig) Das ist der Prozess des Lebens. Wir müssen alle sterben. Wenn ich an John und Waylon denke, wünsche ich mir, ich hätte früher realisiert, wie kurz unsere gemeinsame Zeit sein wird. Andererseits freue ich mich und bin dankbar dafür, dass sie überhaupt Teil meines Lebens waren.

KW: Ist in Ihrem abenteuerlichen, an Erlebnissen sicher reichen Leben eigentlich noch ein Wunsch offen geblieben?

Kris Kristofferson: Ich denke nicht, dass ich mir für mich selbst noch etwas wünschen möchte. Nur für meine Familie und meine Freunde. Ich wünsche ihnen, dass sie alles werden können, was sie sein wollen.

KW: Kris Kristofferson, herzlichen Dank für unser Gespräch.

Kris Kristofferson This Old Road, New West Records, 2006

(Erstveröffentlicht in: now!, Nr. 55, Februar 2007 / now! Nr. 56, März 2007 in zwei Teilen erschienen, im Juni 2023 komplett überarbeitet)

3 Gedanken zu „Kris Kristofferson: „Wirklich frei ist man erst, wenn man tot ist!“

  1. Ich liebe seine Musik und träume nachts von seinen tollen Songs manchmal sogar das ich mit ihm aufgetreten bin ,dan Wache ich auf und bin entäuscht das es nur ein schöner Traum war. Ich liebe diesen Mann seine Musik und sein Leben.
    Norbert Dimanski

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