Elvis Costello ist ohne seine Hausband The Imposters zurück in der Spur. Sein kreatives Feuer, sein Zorn, seine Gehässigkeit lodern weiter.
Elvis Costellos 31. Studioalbum Hey Clockface, das am 30. Oktober 2020 veröffentlicht wurde, ist kein typisches Elvis Costello Album, aber gibt es ein typisches Elvis Costello Album überhaupt? Costello ist ein Mann vieler Ideen, Eigenschaften und Stile. Den Nachfolger seines aufwändig produzierten, üppig arrangierten, grammy-prämierten 2018er Albums Look Now hat er ohne seine Hausband, The Imposters, aufgenommen, ohne seine Hausband, den Imposters. Die musikalische, emotionale, energetische Bandbreite von Hey Clockface unterscheidet sich deutlich vom bombastischen Power Pop von Look Now.
Aufgenommen wurde die Platte in Helsinki, Paris und New York – ein rastloser Trip von Station zu Station, spannend wie das Album selbst, das schließlich in Los Angeles von Sebastian Krys abgemischt wurde. Wie schon der Vorgänger firmiert Hey Clockface als „An Elvis Costello & Sebastian Krys Production”.
In Helsinki machte Elvis Costello im Februar 2020 Halt, um allein an allen Instrumenten im Suomenlinnan Studio drei Songs aufzunehmen: Das zornige, stürmische Gitarrengewitter No Flag, in dem Costello Gift und Galle spuckt wie als junger New-Wave-Spund, dass nicht minder wütende, unheilverkündende We Are All Cowards Now und den boshaften Klapperboogie Hetty O‘Hara Confidential, der über eine Klatschkolumnistin in Hollywood herzieht.
Nach Helsinki reiste Costello nach Paris, wo er in einerWochenendsession in den Les Studios Saint Germain mit neun Stücken den Großteil von Hey Clockface aufnahm, mit lokalen Musikern und seiner musikalischen rechten Hand Steve Nieve, bei den Attractions, den Imposters und sowieso. Vom Studioboden aus singend gab Costello in berührend intimen Liedern wie They Are Not Laughing At Me Now, The Whirlwind, The Last Confession Of Vivian Whip, What Is It That Need That I Don’t Already Have? oder das hauchzarte Byline am Schluss einmal mehr den anmutig sentimentalen Balladensänger, die Musiker antworteten spontan auf das, was er gerade sang.
In New York fanden ohne Costello weitere Aufnahmen für zwei Tracks statt. Sie wurden vom Komponisten, Arrangeur und Trompeter Michael Leonard produziert, in Zusammenarbeit mit den Gitarristen Bill Frisell und Nels Cline. Elvis Costello komplementierte die entstandene Musik lyrisch und gesanglich auf digitalem Weg von Vancouver aus, wo er mit Diana Krall und ihren Zwillingen lebt. Neben Revolution #49, in dem Elvis Costello zum Auftakt ein Gedicht über arabisch tönenden Sounds rezitiert, sind die außergewöhnlichsten Stücke von Hey Clockface jene aus New York: Das fesselnde Spoken Word Stück Radio Is Everything mit einer wehmütigen Jazztrompete, wie sie Chet Baker anno 1983 für Costellos Antikriegsballade Shipbuilding spielte. Und Newspaper Pane, eine unterproduzierte Variante der Songs auf seinem 1982er Album Imperial Bedroom.
Am Ende fehlt trotz aller Sprunghaftigkeit und allen stilistischen Querschlägern im fertigen Puzzle von Hey Clockface kein Teil. Eine geglückte, aufrüttelnde, berührende Platte.
Elvis Costello Hey Clockface, Concord Records, 2020
© Hey Clockface Pics shot by Klaus Winninger