Neil Diamond: Live In Concert – Cooler als erlaubt

Wegen seiner angegriffenen Gesundheit kann Neil Diamond, der am 24. Jänner seinen 83. Geburtstag feiern konnte, nicht mehr live auftreten oder gar auf Tournee gehen. Was bleibt ist die Erinnerung an seine großartigen Konzerte wie am 27. Mai 2008, wo Neil Diamond in der ausverkauften, vollauf begeisterten Münchner Olympiahalle seine brillanten Qualitäten als Sänger und Entertainer zelebrierte.

Es brauchte nur wenige Minuten, bis Neil Diamond seine Fans in der vollen Münchner Olympiahalle auf die richtige Betriebstemperatur brachte. Ein einziger Song genügte: Diamond spielte zum Auftakt One More Bite Of The Apple seines gerade neuen Albums Home Before Dark, das Kultproduzent Rick Rubin betreut hatte. Man verstand sofort, was den damals 67-jährigen Sänger und Songschreiber mit der grundtraurigen Baritonstimme auch nach fünfzig erfolgreichen Karrierejahren weiter angetrieben hat.

Das Singen, die Songschreiberei, die Bühne, sie ließen Neil Diamond nicht los. Er wollte es noch einmal wissen und suchte eine neue kreative Herausforderung, obwohl er es längst viel gemütlicher hätte haben können in seiner pompösen Villa in Los Angeles, wohin der in Brooklyn, New York, als Sohn einer jüdischen Familie geborene Musiker schon in den 1970ern übersiedelt war, und wo ihn die gepflegte Fadesse geplagt haben dürfte. „Did it once / You can do it once more yeah“, beschwor Diamond seine Muse in One More Bite Of The Apple. Er wollte sich selbst beweisen, dass er sein Songschreiberhandwerk immer noch meisterhaft beherrschte, das er in den 1950ern und 1960ern im Brill Building, dieser legendären New Yorker Popfabrik, erlernt hatte. Und doch musste Neil Diamond lange um seine Anerkennung als großer amerikanischer Songschreiber ringen, weil ihn die hochgestochene Popkritik und Popgeschichtsschreibung als Schlagerlieferanten denunzierte. Verstehen muss man das nicht.

Mit One More Bite Of The Apple begann Neil Diamond also am 27. Mai 2008 seine Live-Show. Die schwarze Akustikgitarre geschultert, durchschritt der Entertainer das Spalier seiner mit vier Backgroundsängerinnen verstärkten elfköpfigen Veteranenband, um am Bühnenrand sein musikalisches Glaubensbekenntnis zu erneuern. Seine Band war eine bunte Mischung aus dem Buena Vista Social Club und einer Showband aus Las Vegas. Diamond sah in seinen engen, schwarzen Jeans, dem schwarzem Westernhemd und dem mit Goldfäden durchwirktem dunklen Sakko verdammt cool aus. Die Bühne gehörte ihm. Sein Charisma unwiderstehlich, sein Gesang grandios, man spürte und glaubte ihm jede Zeile. Dass er ein routinierter, sympathischer Entertainer ist, demonstrierte eine technische Panne nach dem dritten Song. Die drahtlosen Ohrhörer, mit denen der Sänger seine Stimme hätte hören sollen, funktionierten plötzlich nicht mehr. Als ein Roadie minutenlang an Diamond herumnestelte, um das Problem zu beheben, überbrückte dieser die Peinlichkeit mit lässigem Geplauder, das ihn dem Publikum noch näher brachte: „Don’t leave! You will be entertained this evening one way or another!“ – Es folgen, gleich zwei Versionen von „Sweet Caroline“ hintereinander, einmal spontan ohne, einmal mit funktionierenden Ohrhörern gesungen. „Did I do it good?“ Was für eine Frage, Mr. Diamond!

Die Halle tobte. Neil Diamond hatte schon in diesem Moment gewonnen. Seine allerbestens aufspielende Band sowie die superbe Setlist, die immer wieder mit alten, durch funky Latin-Rhythmen aufgepeppten Hits wie I’m A Believer oder Cherry, Cherry auflockert wurde, tat das Übrige. Dann folgten mehrere Songs des 1976 von Robbie Robertson (The Band) produzierten Klassikers Beautiful Noise, einem der besten Alben des Sängers. Diamond war damals auch beim Abschiedskonzert von The Band auf der Bühne, und somit auch im von Martin Scorsese gedrehten Konzertfilm The Last Waltz. Bob Dylan soll damals Neil Diamond hinter der Bühne bösartig verhöhnt haben. Aber selbst ein Bob Dylan kann irren. Weshalb Rick Rubin nach seinen Produktionen für Country-Altstar Johnny Cashauch Neil Diamond rehabilitieren wollte. Home Before Dark, nach dem 2005er Werk 12 Songs schon die zweite Zusammenarbeit der beiden, hievte den Sänger mit seinen jetzt in spartanische Arrangements gekleideten Songs zum ersten Mal in seiner Laufbahn gleichzeitig auf den ersten Platz der Albumscharts auf beiden Seiten des Atlantiks.

Auch in seinen neuen Liedern ging es Neil Diamond um seine Hauptthemen – um Sehnsucht, Einsamkeit, Hunger nach Liebe und zwischenmenschlicher Nähe, um einen Sinn im Leben. Den tiefschürfenden Titelsong von Home Before Dark sang er im Münchner Konzert nach zwei zartbitteren Songs aus seinem alten Kinofilm The Jazz Singer allein zur Akustikgitarre am Barhocker. Es folgten die wehmütigen Sehnsuchtsballaden Brooklyn Roads, I Am… I Said und Solitary Man – alles größte Singer/Songwriter-Kunst. Daran konnten auch die etwas kitschig inszenierten You Don’t Bring Me Flowers und Song Sung Blue nicht rütteln. Rick Rubin wusste nur zu gut, warum er ein Jahr lang Nachrichten auf Diamonds Anrufbeantworter hinterlassen hatte, um mit ihm arbeiten zu können. Neil Diamond gebührt größter Respekt.

Neil Diamond, Olympiahalle München, 27. Mai 2008 – Die Setlist:

One More Bite Of The Apple / Holly Holy / Street Life / Sweet Caroline (spontan ohne Monitorkopfhörer)  / Sweet Caroline / Beautiful Noise / Lady Oh / If You Know What I Mean / Cherry, Cherry / Thank The Lord For The Night Time / Hello Again / Love On The Rocks / Home Before Dark / Don’t Go There / Pretty Amazing Grace / Crunchy Granola Suite / Done Too Soon / Brooklyn Roads / I Am… I Said / Solitary Man / I’m A Believer / You Don’t Bring Me Flowers / Song Sung Blue / Man Of God / Hell Yeah / Cracklin’ Rosie / Brother Love’s Travelling Salvation Show

 (Erstveröffentlicht in: now! N° 69, Juni 2008, im Jänner 2024 komplett überarbeitet)

Chuck Berry und die magische Macht des Rock & Roll

Wie ich anno 1976 oder 1977 bei einem Konzert von Rock & Roll-Legende Chuck Berry in der Linzer Sporthalle Zeuge der überwältigenden Kraft und Magie des Rock & Roll wurde.

Chuck Berry (1926-2017) ist nicht nur der Erfinder der besten Gitarrenriffs des Rock & Roll, die bis heute Gitarristen in aller Welt inspirieren und nachspielen. Er ist auch der Schöpfer genialer Songklassiker wie Johnny B. Goode, Sweet Little Sixteen, Roll Over Beethoven, Little Queenie oder Rock & Roll Music. Ich lernte diese erst durch die Beatles und die Rolling Stones kennen, und machte mich, voll am Haken, auf die Suche nach den Originalen und ihrem legendären Urheber.

Was die Musik anlangt, so hat Chuck Berry diese Songs zum größeren Teil wahrscheinlich im Duo mit seinem Pianisten Johnnie Johnson geschrieben, der dafür aber nie eine Nennung als Co-Autor, noch Tantiemen bekommen hat, weshalb er Chuck Berry sogar mal verklagte, seine Klage ist aber wegen Verjährung abgelehnt worden. Mit den fabelhaften Songlyrics hat Chuck Berry aber ganz allein seine eigene Teenager-Rock´n‘Roll-Welt erschaffen. Der ungeklärte Streit mit Johnson kann aber Chuck Berrys Rang als Rock & Roll-Pionier nicht zu schmälern. Schließlich wären ohne seine Gitarrenriffs und seine Songtexte weder die Beatles noch die Rolling Stones zu dem geworden, was sie geworden sind. Und wohl auch die frühen Beach Boys nicht, oder The Who, die Kinks, T. Rex und sogar Bruce Springsteen.  Denn, wer war denn der erste, der am liebsten über Autos und Mädchen, Mädchen und Autos Lieder schrieb und sang? Chuck Berry, genau.

Weil die Beatles auf ihren ersten Alben so mitreißende Versionen von Chuck Berrys Krachern wie Rock’n’Roll Music oder Roll Over Beethoven spielten, kaufte ich mir gleich nach Beatles For Sale Chuck Berrys Hitsammlung Original Oldies und wenig später auch noch die beiden Fortsetzungen. Damit war ich für ein Konzert des großen Rock & Roll-Meisters bestens präpariertund enterte als aufgeregter Jungspund, es muss so 1976 oder 1977 gewesen sein, die Sporthalle in der Stahlstadt Linz.

Dort wurde ich Augen- und Ohrenzeuge der welterschütternden Kraft des Rock’n’Roll. Zur wohl über zwanzig Minuten ausgedehnten Schlussnummer Johnny B. Goode holte der von einer angemieteten europäischen Begleitcombo unterstützte Chuck Berry zwanzig, dreißig Leute auf die Bühne. Darunter glücklicherweise auch ich. Während wir dort oben zu seinen unendlich wiederholten, allerlegendärsten Gitarrenakkorden ausgelassen tanzten, glitt der Riff-Meister mit seiner funkelnden roten Stromgitarre im einst von ihm kreierten Duckwalk (vulgo Entenwatschelgang) charismatisch über die dichtgefüllte Bühne.

Und so geschah es. Ich erinnere mich noch deutlich daran, plastisch. Eine für einen in Liebesdingen noch unbedarften Teenager reizvoll kurvige Frau mit langem, blondem Haar fing an, beim Tanzen ihre stramm sitzende weiße Bluse aufzuknöpfen, um dann Chuck Berry, begeistert von seiner Musik, ihre Brüste entgegenzuschütteln. Wie war ich in diesem Moment doch fasziniert von der magischen Kraft des Rock & Roll, von seiner revolutionären, befreienden Wirkung. Das also meinte Chuck Berry, als er 1957 in School Days unvergessen deklamierte: „Hail! Hail! Rock & Roll!“

PS.: Dass ich damals im Konzert von Chuck Berry mit meinem besten FreundNorbert war, hatte ich ehrlich vergessen. Aber als wir uns nach fast vierzig Jahren wieder trafen und stundenlang redeten, kamen wir auch auf dieses legendäre Konzert. Ein auf die Bühne geeilter Saalordner habe der barbusigen Dancing Queen eine Decke übergeworfen, erinnerte sich Norbert. Und dass er mir das Cover von Original Oldies auf die Bühne reichte, um den Meister um sein Autogramm zu bitten. Und auch, dass ich nicht nur völlig überdreht auf der Bühne tanzte, sondern gleich auch noch ein schallendes Yeah in Chuck Berrys Mikrophon jauchzte. So voll „Roll over Beethoven and tell Tchaikovsky the news“ mäßig. 

Als Neil Young mir sein Album „Harvest Moon“ signierte

Neil Youngs wundervolles 1992er Album Harvest Moon, vom Meister persönlich signiert.

Es soll Musikjournalisten geben, die die Interviewzeit auch dafür verwenden, sich von den prominenten Gesprächspartnern Platten- und CD-Hüllen signieren zu lassen. Und man munkelt, dass dies nicht immer aus reiner Begeisterung geschehe, sondern mit den signierten Artefakten auch lukrativer Handel im Internet getrieben würde.

Meine Sache war das nie. Ich fand es peinlich. Genauso wie sich mit dem soeben interviewten Star fotografieren zu lassen. So finden sich nach zahllosen Interviews in meinem Archiv gerade mal zwei Fotos, auf denen ich mit prominenten Musikerinnen und Musikern zu sehen bin. Auf dem einen mit Sheryl Crow auf dem Balkon eines Hotels in München, auf dem anderen in Wien als fünfter Take That, nachdem Robbie Williams aus der Band geflogen war. Wenn ich mich recht erinnere, wollte mir Mark Owen nach dem Shooting meinen schicken, seine Einschätzung, schwarzen Mantel abkaufen. Von meinen Treffen mit David Bowie oder Bryan Ferry gibt es leider keine Bilder.

Auch nicht von meinem Interview mit Neil Young, das 1992 Hamburg stattfand, anlässlich der Veröffentlichung von Harvest Moon – einer Fortsetzung des sanften Folk- und Countryrock seiner Erfolgsplatte Harvest, die zwanzig Jahre davor erschienen war. Aber ehrlich, auch ich konnte damals nicht widerstehen, nach dem Gespräch den großen Neil Young darum zu bitten, das Cover von Harvest Moon, bis heute eine meiner Lieblingsplatten von ihm, zu signieren: To Klaus … Neil Young. Thank you, Mr. Young.

© Harvest Moon Foto by the author.

Frank Sinatra (1915 – 1998): Die Stimme des 20. Jahrhunderts

Francis Albert Sinatra, kurz Frank genannt, wurde am 12. Dezember 1915 geboren, am 14. Mai 1998 hörte sein Herz auf zu schlagen. Seine Stimme, seine Songs, sein Mythos werden auch über seinen 108. Geburtstag hinaus weiterleben.

So könnte es gewesen sein: Im Anfang war das Wort, das irgendwann einmal Fleisch geworden ist. Aber als es darum ging, dem Wort eine Stimme zu geben, drängte sich Frank Sinatra, ein kleiner, schlaksiger Italo-Amerikaner rücksichtslos in die erste Reihe und reifte über die Jahre zum Sänger von beinah mythischem Zuschnitt, zur Inkarnation des Sängers schlechthin. Der Sänger, der da vorne ganz allein im zerknitterten Anzug im Scheinwerferlicht am Bühnenrand steht und sich die Seele aus dem Leibe singt, das ist Frank Sinatra. Und er wird es bis in alle Ewigkeit bleiben, auch wenn am 15. Mai 1998 sein Herz nicht mehr länger schlagen wollte.

Seit Orpheus vermochte kein Sänger mehr Gefühle so wahrhaftig vermitteln wie Frank Sinatra. Kein anderer sang so bewegend von höchstem Glück und tiefstem Schmerz, von romantischen Wonnen und zerbrochenen Lieben. Sinatra mag vielleicht nicht der allergrößte Stimmvirtuose gewesen sein. Was aber seine mal butterweich gefühlvolle, mal messerscharf coole Phrasierung, seine klare, immer verständliche Diktion, sein Gefühl für Melodien, sein rhythmisches Sensorium, seine großartige Atemtechnik, sein Einfühlungsvermögen, seine Überzeugungskraft anlangte, da war Frank Sinatra unerreicht. Er verstand es wie kein anderer, mit seinem Gesang in seinen Liedern eine Geschichte zu erzählen. Und er verfeinerte diese Fähigkeit kontinuierlich, kompensierte mit den Jahren die schwindende stimmliche Kraft mit wachsender künstlerischer und menschlicher Reife.

Frank Sinatra hatte es nie nötig, eigene Lieder zu schreiben, er machte alle Lieder, die er sang, zu seinen eigenen. Man glaubte und glaubt ihm jedes Wort, wenn man ihn singen hört. Weil Sinatra selbst jedes Wort glaubte, wenn er sang. Er wollte, dass sein Publikum jedes Wort fühlt und genauso hat er es auch gesungen, ohne irgendwelche manierierten Tricks, ohne jede Heuchelei. Im Idealfall ist Frank Sinatra so sehr mit seinem Gesang, mit dem von ihm vorgetragenen Lied verschmolzen, dass man nicht mehr unterscheiden kann, wo der Künstler aufhört und der Mensch anfängt, wo die Kunst endet und die Realität beginnt. Ganz egal, ob es sich um eine seiner tieftraurigen Balladen, einen seiner alkoholvernebelten Saloon Songs, eines seiner beglückenden Liebeslieder oder eines der vielen aufgekratzten Swingstücke handelt, die einen das Leben und die Welt immer wieder aufs Neue zu lieben lehren.

„Richtiges Singen heißt Schauspielen“, bekannte Frank Sinatra einmal in einem Interview, „ich bin immer vollkommen in den Song involviert. Ich kann gar nicht anders. Wenn eine zerbrochene Liebe beklagt wird, dann tut mir in den Eingeweiden alles weh. Ich schreie die Einsamkeit, den Schmerz einfach raus. Als 18-karätiger Manisch-Depressiver kann ich das ganz gut. Was immer der Schreiber mit einem Song sagen will, ich war schon dort. Ich weiß, worum es geht.“

So war es wirklich: Francis Albert Sinatra wurde am 12. Dezember 1915 in Hoboken, New Jersey geboren, auf der anderen Seite des Flusses lag Manhattan, lockte das verheißungsvolle New York. Seine Eltern waren sizilianische Emigranten. Der Vater Marty war Feuerwehrmann, Mutter Dolly, die Frank abgöttisch liebte, war Hebamme und Gerüchten zufolge auch Engelmacherin und mit den örtlichen Mafiosi recht gut bekannt. Bei der Geburt starb der kleine Frank beinahe. Die Narben in seinem Gesicht stammten von der Zange, mit der ihn der Arzt mehr tot als lebendig auf die Welt zerrte. So einer musste ja ein Kämpfer werden, meinen seine Biographen und seine Tochter Nancy: „Die unglaublichen Schmerzen, das verzweifelte Ringen um Luft, dieser Kampf ums Überleben von der ersten Sekunde an – das hat Vaters Charakter grundlegend geprägt und ist immer seine wichtigste Antriebskraft geblieben.“

Der kleine Frank überlebte und wuchs als Einzelkind in Hoboken auf. Ein kleingewachsener, dürrer Arbeiterklassejunge mit großen Ohren. Ein schüchterner Einzelgänger, ein Underdog, der mit Gesetz und Polizei öfter in Konflikt kam, wie andere in der Verwandtschaft auch. Mit 16 ging er von der Schule ab, ganze 47 Tage hatte es ihn auf der High School gehalten, und er versuchte sich an einer Reihe von Jobs: als Zeitungsausträger, Liftboy, Sportreporter, Taxifahrer, singender Kellner. Das Singen nahm er ernst, der Besuch eines Konzertes von Bing Crosby gab seinem Leben eine entscheidende Wende, seither war er überzeugt, so etwas wie Bing Crosby auch zu können. Außerdem pilgerte er regelmäßig in die Jazzclubs in der 52. Straße, wo Billie Holiday, die er verehrte, regelmäßig auftrat. Franks erste Gesangsversuche fielen aber kläglich aus.

Frank Sinatra nahm also wie besessen Gesangs- und Sprechunterricht. Mit Erfolg. Nachdem er zunächst mit dem Vokalquartett Hoboken Four durch die Gegend tingelte, engagierte ihn der gerade immens erfolgreiche Orchester-Chef Harry James im Juni 1939 als Vokalisten für seine Big Band. Knappe sechs Monate später wechselte Frank Sinatra ins Orchester von Tommy Dorsey, wo er seine wichtigsten Lehrjahre absolvierte. „Anfang 1940 begann ich bei Dorsey, meinen eigenen Stil zu entwickeln“, erinnerte sich Sinatra später und meinte, dass er seine phänomenale Atemtechnik und die nicht zuletzt daraus resultierenden Phrasierungsmöglichkeiten dem Vorbild des Posaunisten Tommy Dorsey verdankte. Sinatra ging regelmäßig schwimmen, tauchte lange Strecken und memorierte dabei Songtexte und lernte, so wie Dorsey unmerklich Luft zu holen. „So konnte ich bald sechs, oft auch acht Takte lang singen, ohne groß zu atmen. Das gab der Melodie einen fließenden, ungebrochenen Charakter. Schon allein dadurch klang ich anders.“

Frankieboy: Im September 1942 verließ Frank Sinatra das Orchester von Tommy Dorsey und versuchte als erster Tanzorchester-Sänger eine Solokarriere. Er nahm Dorseys genialen Arrangeur Axel Stohrdal mit, der die nächsten zehn Jahre seine Stimme in wunderschön romantische Streicherarrangements bettete, und unterschrieb einen Plattenvertrag für die Firma Columbia Records. Mit seinen ersten Soloplatten, einer eigenen Radioshow und einigen Hollywoodfilmen wurde Frankieboy, wie ihn seine Fans nannten, schnell zum ersten richtigen Popstar, zum Teenageridol und Freudenspender einer ganzen Mädchengeneration. 1943 berichtete die Zeitschrift Life: „Jeden Samstagnachmittag ist der Gehsteig vor dem CBS-Schauspielhaus an der Kreuzung Broadway/53. Straße, wo Frankieboy für seine Radioshow probt, vollgestopft mit Mädchen, die kreischen und schluchzen. Seine Stimme richtet etwas Ungewöhnliches mit ihnen an. Im Riobamba, dem Nachtclub, in dem Sinatra gerade auftritt, meinte vor kurzem ein Gast, dass das, was Sinatras Gesang den Mädchen antue, höchst unmoralisch sei. Aber, so fügte er nach einem Blick auf das Meer ekstatischer Gesichter hinzu, es scheint ihnen Spaß zu machen.“

Amerika stand Kopf. In den zugeknöpften 1940er Jahren war die samtig sanfte Stimme von Frankieboy ein Aphrodisiakum, das den amerikanischen Teenagergören samt Müttern und allen einsamen Soldatenbräuten Zutritt zu einem mysteriösen erotischen Universum verschaffte. Wo Frank Sinatras Lieder von romantischen Träumen, flüchtigen Küssen, purer Liebe redeten, verhießen sie in Wahrheit Sex, Lust, Orgasmen. Frankieboy, der nette dünne Jüngling, war ein gefährlicher Tramp. Kein Wunder, dass FBI und CIA sich für ihn interessierten, und die Regenbogenpresse ihn geißelte und sich genüsslich an seinem folgenden kommerziellen und künstlerischen Absturz weidete.

Frankieboy am Boden: Wie wir heute wissen, zürnen die Götter irgendwann einmal jedem Teenageridol. Frankieboy bekam das wohl als erster, ohne jede Vorwarnung, zu spüren. Elvis flüchtete sich später in die US-Armee, die Beatles ließen sich Bärte wachsen und fuhren nach Indien zu einem Guru auf Sommerfrische. Aber Frank Sinatra? Er verkaufte plötzlich keine Platten mehr, und seine Hollywoodfilme wollte auch niemand mehr sehen. Anfang der 1950er Jahre stand er plötzlich ohne Platten- und Filmvertrag da. Zu allem Pech war seine Stimme nach einer Stimmbänderblutung lädiert. In gefährliche Turbulenzen geriet auch sein Privatleben. Seine erste Ehe mit Nancy, der Mutter seiner drei Kinder, Tina, Nancy und Frank Jr., war gescheitert, weil Sinatra immer wieder Affären hatte, mit unbekannten Nachtclubtänzerinnen genauso wie mit den schönsten Frauen Hollywoods. Seine zweite Ehe mit der Schauspielerin Ava Gardner, der großen tragischen Liebe seines Lebens, zerbrach ebenfalls und soll ihn sogar in einen Selbstmordversuch getrieben haben. Das bigotte, konservative Mittelstandsamerika atmete erleichtert auf: Schließlich hatte Sinatra, der Emporkömmling, nie so recht die Tischmanieren der feinen Gesellschaft angenommen, auch wenn er noch so sehr um ihre Anerkennung buhlte. Allein, er prügelte sich zu oft, soff ganze Tage und Nächte mit seinen Freunden, dem sogenannten Rat Pack durch, suchte die Nähe von Mafiabossen, schlief mit viel zu vielen zu schönen Frauen. Und zu allem Überdruss machte er sich auch noch bei jeder Gelegenheit für die Rechte der unterdrückten Schwarzen und für andere liberale Ideen stark, die im damaligen Klima praktisch als kommunistisch galten. Dass Sinatra jetzt am Boden war, gönnte ihm die große Mehrheit der Amerikaner.

Das Comeback: Frank Sinatra dachte aber nicht daran aufzugeben, jedenfalls nicht lange. Der Mann hatte ein Herz wie Löwe, und mehr Mumm in den Knochen als Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone und Bruce Willis zusammen. Er spielte 1953 für eine minimale Gage den Soldaten Angelo Maggio im Hollywoodkriegsdrama Verdammt in alle Ewigkeit, bekam dafür einen Oscar und einen neuen Plattenvertrag mit Capitol Records, wo er – erwachsen geworden – sein einziges echtes Comeback schaffte. Auch seine Stimme war gereift. Merklich tiefer geworden, war sie vom Tonumfang zwar nicht mehr ganz so brillant und flexibel, wirkte aber noch eindringlicher und gefühlvoller als früher.

In den Capitol-Jahren passte für Frank Sinatra einfach alles. Er arbeitete mit den besten Songschreibern und Arrangeuren zusammen, und mit den genialen Orchesterchefs Nelson Riddle, Billy May und Gordon Jenkins. Mit ihnen erfand er ein neues Medium: die Langspielplatte. Zwar hatte Sinatra schon 1945 mit Axel Stohrdahl mit The Voice eine Art Album aufgenommen, doch jetzt produzierte er bei Capitol Records in knapp neun Jahren an die zwanzig Konzeptalben, deren Songs jedes Mal eine bestimmte Grundstimmung, ein übergeordnetes Thema zum Inhalt hatten. Während allein schon die schönen Plattenhüllen einzigartig sind, werfen einen die großartige Musik und Sinatras wunderbarer Gesang einfach um. Grandiose Alben wie In The Wee Small Hours oder Only The Lonely reihten eine traurige Ballade an die andere, und porträtierten The Voice als einsamen Wolf, als an der Liebe und am Leben Leidenden. In Song For Swinging Lovers und Nice ‘N’ Easy zelebrierte er den lebenslustigen, erfahrenen Liebhaber. In Come Fly With Me und Come Swing With Me gab er weltgewandten, beschwingten Lebemann.

Die Frauen – sie liebten und begehrten Frank Sinatra einmal mehr. Und die Männer? Sie bewunderten ihn jetzt erst recht. Und mal ehrlich, wer wäre nicht gern einmal so wie Sinatra gewesen? Zumal er auch modisch einen erstklassigen Stil hatte. Mit seinen scharfen Anzügen, seinen Krawatten und Hüten und seiner ganzen weltmännischen Art war er der Inbegriff der Coolness, das Inbild des modernen Nachkriegsmannes. Ein runderneuerter Erwachsener, der reif geworden worden war, ohne verknöchert zu werden, und der sich auch im fortgeschrittenen Alter die richtige Haltung, sein Herz und die nötige Lässigkeit bewahrte.

Ol’ Blue Eyes: Danach musste Frank Sinatra niemandem mehr etwas beweisen. Er hatte alles erreicht. Er gründete Anfang der 1960er Jahre seine eigene Plattenfirma Reprise Records, wo er der Chairman Of The Board war, und produzierte weiterhin ein Album nach dem anderen, mit jetzt öfter auftretenden Formschwankungen. Er förderte die Wahl John F. Kennedys zum Präsidenten und wandte sich dennoch aus Trotz den konservativen Republikanern zu, als sich Kennedy wegen seines Lebenswandels und seiner angeblichen Kontakte zur Mafia von ihm distanzierte. Er sang mit Strangers In The Night und That’s Life weitere Welthits und versuchte sich an neuen Popliedern, die nicht immer für ihn passten.  Frank Sinatra wollte als Sänger nicht von der Bühne abtreten, dabei sein, dran zu bleiben war für ihn alles. Er wollte nicht wahrhaben, dass die Welt und die Musik inzwischen völlig anders waren als in jener Zeit, aus der er stammte. Ol’ Blue Eyes, wie er sich mittlerweile selbst scherzhaft nannte, wollte immer noch dazu gehören und gehört werden. Sein beherztes Streben war, wie bei allen Helden, ein wenig tragisch, ein wenig lächerlich, aber auch bewundernswert. Und wenn er einen guten Tag, einen guten Song, ein gutes Orchester erwischte, war er immer noch großartig. Als 1968 weltweit die Studenten gegen den Vietnamkrieg demonstrierten, forderte er mit seinem Seelenbruder Dean Martin in einer Bar in Las Vegas mit einem selbstgemalten Schild „Freie Mädchen für alle“. Als  sich 1969 die Hippie-Generation in Woodstock zusammenkauerte, verweigerte The Voice die Teilnahme und konterte seelenruhig mit „My Way“. Was sollten ihm denn die paar Hippies schon vormachen? Vom Leben wusste er doch selbst mehr als genug.

Der lange Abschied: 1971 dankte Frank Sinatra überraschend ab, und sang auf der Bühne die letzte Zeile „’Scuse me while I disappear…“ und verschwand im Dunklen. Zwei Jahre später hatte er Golfspielen, Pokernächte und Martinischlürfen satt und kehrte mit neuer Platte und einer Reihe von Konzerten zurück: Ol’ Blue Eyes is back, hieß es nun. In seinen letzten beiden Dekaden wechselten allerletzte Tourneen, Abschiedskonzerte und immer seltener werdende Plattenproduktionen einander ab. Auch seine letzten beiden Duets-Alben, auf denen er mit jungen Popstars noch einmal seine alten Klassiker sang, entsprangen seinem unbedingten Willen, nicht aufgeben zu wollen. Sie waren ein letztes Aufbäumen, machten aber schmerzlich bewusst, dass selbst ein göttlicher Sänger wie Ol’ Blue Eyes einmal den Weg alles Fleisches würde gehen müssen. Aber davor sang der Alte in einem Duett mit U2-Sänger Bono den Jungen noch einmal in Grund und Boden. Während sich jener aufplusterte wie ein geiler Gockel, der seit Monaten keine Henne mehr gesehen hat, war Frank Sinatra souverän, cool, abgeklärt und bewegend wie eh und je.

Eines seiner letzten Konzerte sang The Voice am 5. Juni 1993 in Stuttgart: Seine Stimme war schon zittrig und brüchig, und weil er sie sich nicht mehr merken konnte, musste er die Songtexte er vom Teleprompter ablesen. Als er aber Lieder wie die tieftraurige Ballade One For My Baby anstimmte, rührte er nicht nur den im Publikum befindlichen Autor dieser Zeilen zu Tränen. Der alte Frank war schlicht und einfach großartig, sein Charisma, seine Stimme, sein Sexappeal, seine Überzeugungskraft, sie wirkten noch immer. „Ich wünsche Ihnen, dass Sie alle ihren 1000. Geburtstag erleben“, scherzte er zum Abschied, „und die letzte Stimme, die Sie vor ihrem Tod hören, soll dann die meine sein.“ Das Lachen blieb einem im Hals stecken.  Frank Sinatra ist nicht freiwillig von der Bühne und dieser Welt abgetreten. Dafür hat er das Leben, die Frauen, das Singen zu sehr geliebt. Ist die Welt nach seinem Abgang dieselbe geblieben? Nein. Mit Frank Sinatra hat sich das 20. Jahrhundert verabschiedet.

Basiert auf einem im Juni 1998 anlässlich des Ablebens von Frank Sinatra veröffentlichten Essay, komplett überarbeitet und erweitert im Dezember 2023

© Cover pics snapped by the author.

Der Tag, an dem John Lennon gestorben ist

John Lennon wurde nur vierzig Jahre alt. Weil er von einem irren Killer am 8. Dezember 1980 in New York erschossen wurde. Sein Licht strahlt jedoch unauslöschlich weiter.

Natürlich kann ich mich an diesen Tag erinnern. Diesen grauenhaften 8. Dezember 1980, an dem John Lennon gestorben ist. Jenen Tag, an dem der frühere Beatle auf dem Gehsteig  in Manhattan, New York, vor dem Dakota Building erschossen wurde, wo er, Yoko und Sean lebten,. Von einem irren Killer, dem hier nicht die zweifelhafte Ehre zuteilwerden soll, seinen Namen zu nennen, und der auf immer in einem Gefängnis der USA eingesperrt bleiben möge.

Die Erinnerung an die Ereignisse vom 8. Dezember 1980 ist so präsent, als wäre es gestern gewesen. Die Tage, an denen John F. Kennedy und Martin Luther King gemeuchelt wurden, waren für mich zu früh. Der Tag, an dem Elvis Presley starb, traf mich aber sehr. Doch jener Tag, an dem John Lennons Leben so tragisch und sinnlos enden musste, hat sich so tief in die Festplatte in meinem Kopf eingebrannt wie kein anderer schrecklicher Tag. Tiefer auch als die fürchterlichen NewYorker 9/11-Terror-Bilder von 2001 oder horrible Ereignisse jüngeren Datums. Damals konnte ich den ganzen Tag lang an nichts anderes mehr denken als an John Lennons grauenvolles, viel zu frühes Ende.

Nicht einmal die Dias von damals bräuchte ich,  um mich an diesen Tag zu erinnern. Darauf ist mein bester Freund und Studienkollege Hans zu sehen, wie er sich eine englische Zeitung entsetzt vor das Gesicht hält, mit der Schlagzeile, dass John Lennon erschossen wurde – mit seiner runden Nickelbrille und den schulterlangen Haaren sah Hans John Lennon sogar ähnlich. Die Nacht nach Johns Tod  haben wir gemeinsam durchwacht und durchgeredet, und die ganze Zeit über John Lennons Lieder und die seiner Beatles gehört.

Nach John Lennons Ermordung habe ich keine andere Platte so oft gehört wie seine und Yoko Onos gerade neue Langspielplatte Double Fantasy. Bis ins nächste Jahr hinein hat sie meinen Plattenspieler kaum einmal verlassen.

Yoko Ono hat dann nach der Schreckenstat zu einem Positive-Gedanken-rund-um-die-Welt-und-raus-ins-Universum-Schicken für John Lennon aufgerufen. Es sollte um eine bestimmte Uhrzeit geschehen, ausgehend von einer im New Yorker Central Park versammelten Menschenmenge. Ich saß, als das passierte, gerade in einem Zug nach Irgendwo. Aber ich spürte die aus dem Central Park kommenden Vibes für John Lennon in diesem Moment, und ich schickte meine Vibes retour nach New York und überall in die Welt hinaus: „You may say I’m a dreamer / But I’m not the only one / I Hope someday you’ll join us / And the world will be as one …” (John Lennon, Imagine, 1971)

Leonard Cohen: Mehr Licht für die Welt

„There’s a crack, a crack in everything / That’s how the light gets in“ – Leonard Cohen (21.9.1934 – 7.11.2016)

Leonard Cohens Körper schien in seinen letzten Lebensjahren immer mehr zu schrumpfen. Auf der Bühne kauerte er sich zusammen, schien niederzuknien und verstärkte so noch den Eindruck der Gebrechlichkeit, des Vergehens, der Endlichkeit. Die Videos, die ihn an der Seite seines Sohnes Adam zeigten, wie er seine neuen Songs kommentierte, zeigten, dass Cohens Physis schwächer wurde. Aber: Sein Talent, seine Schaffenskraft, sein Intellekt, seine Poesie blieben ungebrochen. Und die goldene Stimme, die Gott ihm geschenkt hatte, sie wurde immer mächtiger, auf der Konzertbühne wie im Tonstudio. Zuletzt erhob der Sänger sie zu Lebzeiten auf dem Album You Want It Darker.

Ich wollte damals keine Kritik von You Want It Darker schreiben, weil ich die Finalität, die er in seinen neuen Liedern adressierte, noch nicht gekommen wissen wollte und hoffte, dass der Albumtitel von Leonard Cohen vielleicht doch bloß ironisch gemeint war. Ich wollte auch mit keiner weiteren Lobpreisung, die You Want It Darker ob der geballten lyrischen, vokalen und stimmlichen Kraft gebührt, in den Chor der Vorabnachrufschreiber einstimmen. Das erschien mir angesichts von Leonard Cohens schwindender Lebenskraft vorschnell leichenfledderisch.

Stattdessen zog ich es vor, allein mit Leonard Cohen allein Zwiesprache zu halten. Wie ich es oft in den letzten vierzig Jahren getan hatte. Ich spürte in den acht Liedern auf You Want It Darker einmal mehr seine hoffnunggebende Kraft, seine Spiritualität, seine Weisheit, aber auch seinen ungebrochenen Humor.

Leonard Cohen ist  am 7. November 2016, verstorben. You Want It Darker ist ein würdiger Schlusspunkt für sein wundervolles Lebenswerk, auch wenn mit dem posthum veröffentlichten Thank You For The Dance, das sein Sohn Adam fertigstellte, 2019 noch ein weiteres wunderbares Album folgte. Er lebte ein erfülltes Leben. Ein Bild von einem Mann, der die Frauen liebte, und die Frauen liebten ihn. So wie die kurz vor ihm verstorbene  Marianne Ihlen (So Long Marianne), der er in einem Abschiedsbrief schrieb, dass er spüre, er werde ihr schon bald nachfolgen, und sie möge ihm aus dem Jenseits schon mal die Hand reichen.

Leonard Cohen war ein genialer Poet, Dichter, Denker, Philosoph, Sänger, Songschreiber und der Inbegriff einer unfassbaren Coolness. Ohne ihn je persönlich kennengelernt zu haben, war er mir seit den 1970ern ein Freund, vielleicht auch weil wir beide an einem 21. September geboren wurden, vor allem aber mit seinen Liedern, mit denen er mehr Licht in die Welt brachte.  

 

 

 

 

B-logbook: 25.07.2023: ENCORE! The Full Bruce Springsteen and the E Street Band Live Experience at Olympics Stadium Munich, July 23, 2023

My gospel according to Bruce Springsteen. Established fan since 1975. All records of Bruce in my record collection since, with or without The E Street Band. Witnessed five concerts before the World Tour 2023, three of them with the E Street Band, one of them the now legendary start of the Reunion Tour of Bruce and the E Street Band on April 9, 1999, in Barcelona. And now July 23, 2023, in Munich at the vibrating Olympics Stadium – an emotional awakening!  I witnessed it, I can testify!

The full Bruce Springsteen and the E Street Band experience: What a magical, beautiful, joyful, soulful, hopeful, empowering, life-celebrating, hot rocking evening it was. Full of love, positivity, and warm-hearted vibes. What a blast! My most thrilling, most moving,  Springsteen concert ever! Already the opening salvo of No Surrender, Ghosts, Prove It All Night, Letter To You, The Promised Land – totally overwhelming! Springsteen sang like a Rock & Soul-God and was on fire on his guitar. And the E Street Band? Pardon me, Big Man. Pardon me, Danny. But the E Street Band 2023 is maybe the best E Street Band ever with a sheer incredible rock & soul power.

The Boss conducts the whole concert within a thematical frame: From fugacity, moribundity and death to hanging in there when the going gets tough, surviving, hope, loving life, the power of love and religion. Between these signposts the setlist varies in nearly every show according to Springsteen’s mood and artistic ideas.

Key-songs are:

No Surrender – “We made a promise/ We swore we’d always remember/ No retreat, baby, no surrender”.

Ghosts – “I hear the sound of your guitar/ Comin’ in from the mystic far/ …/It’s just your ghost/ …/ I’m alive and I can feel the blood shiver in my bones/  I’m alive and I’m here on my own/ I’m alive and I’m coming home/ Yeah I’m comin’ home”.

Letter To You– “Tried to summon all that my heart finds true/ And send it in my letter to you/ The things I found out through hard times and good/ I wrote ‘em all out in ink and blood/ Dug deep in my soul and signed my name true/ And I send it in my letter to you.”

Last Man Standing – “Rock of ages lift me somehow/ Somewhere high and hard and loud/ Somewhere deep in the heart of the crowd/ I’m the last man standing now”.

Because The Night – “Because the night belongs to lovers/ Because the night belongs to lust/ Because the night belongs to lovers/ Because the night belongs to us”.

I’ll See You In My Dreams – “I’ll see you in my dreams/ When all our summers have come to an end/ I’ll see you in my dreams/ We meet and live and laugh again/ …/ For death is not the end/ …/ I’ll see you in my dreams”.

Munich, Olympics Stadium, July 23, 2023 – Setlist:

No Surrender

Ghosts

Prove It All Night

Letter To You (lyrics translated to German on the video screens)

The Promised Land

Out In The Street

Darlington County

Kitty’s Back

Nightshift

Trapped

Johnny 99

The River

Last Man Standing (lyrics translated to German on the video screens)

Backstreets

Because The Night

She’s The One

Wrecking Ball

The Rising

Badlands

ENCORE

Born To Run

Bobby Jean

Glory Days

Dancing In The Dark

Tenth-Avenue Freeze Out

I’ll See You In My Dreams (lyrics translated to German on the video screens)

© All those fine concert pics snapped by my lovely, multi-talented daughter Ines.

Live On Stage: Die Rock & Soul-Magie von Bruce Springsteen!

Im zarten Alter von 73 ist der unermüdliche Bruce Springsteen einmal mehr auf Welttournee mit seiner legendären E Street Band, aktuell steht Europa am Plan.  Am kommenden Sonntag geht es nach München, ins Olympiastadion. Ich werde dabei sein, die Vorfreude ist riesengroß. Bruuuuuuce!

Auf seiner aktuellen Weit-Tournee 2023, die im Februar in den USA in Tampa startete und im Dezember in San Francisco enden wird, ist Bruce Springsteen mit seiner legendären E Street Band  schon seit Ende April quer durch Europa unterwegs. Die bisherigen Stationen: Barcelona, Dublin, Paris, Ferrara, Rom, Amsterdam, Edinburgh, Landgraaf, Zürich, Birmingham, Werchter, Düsseldorf, Göteborg, Oslo, London, Kopenhagen, Hamburg, Wien, Hockenheim. Allerorts ein begeistertes, voll mitgerissenes Publikum und geradezu hymnische Kritiken begleiten den Boss und die E Street Band. Bruuuuuuce!

Kommenden Sonntag geht es nach München, ins ausverkaufte Olympia-Stadion. Mein Ticket habe ich von den wunderbaren Frauen in meinem Leben, meinen beiden Töchtern und meiner Frau, zum Geburtstag geschenkt bekommen. Begleiten wird mich die jüngere meiner Töchter, um sich erstmals die volle emotionale Bruce-Springsteen-Experience zu geben, eine Seelenmesse. Die Vorfreude ist riesengroß. Der auch schon unglaubliche 73 Jahre junge Springsteen selbst scheint auf der laufenden Tour die Zeit seines Lebens zu haben und alles zu genießen wie nur was. Unglaublich lässig und locker ist er in den Tour-Städten unterwegs, direkt in Kontakt mit den Fans, lässt sich entspannt zu Selfies bitten und zapft auch schon mal ein Pint Guinness in einem Pub für seine Fans.  

Eigentlich hätte die Welt-Tournee 2023 ja schon 2021 losgehen sollen, gleich in der Folge des 2020 veröffentlichten Albums Letter To You, dann 2022, da hatte aber die Corona Pandemie etwas dagegen. Jetzt ist es endlich so weit, und alles wieder gut. Also fast, schließen handeln viele Songs auf Letter To You, das Springsteen mit der versammelten E Street live im Studio einspielte, von Vergänglichkeit und Sterblichkeit. Auch die laufenden Konzerte sind mit Erinnerungen an schon verstorbene Weggefährten des Boss durchdrungen, die E Street-Legenden Clarence Clemons (Saxophon; ersetzt von seinem grandios aufspielenden Neffen Jake Clemons) und Danny Federici (Keyboards; ersetzt durch Charles Giordano), sowie die Musiker seiner frühen Band The Castilles, von denen nur mehr Bruce am Leben ist, Last Man Standing quasi. Und auch die noch aktiven E Street-Veteranen sind wie der Boss selbst auch keine Jünglinge mehr: Keyboarder Roy „Professor“ Bittan, 74, Bassist Gary Tallent, bald 74, Schlagzeuger Max „Mighty“ Weinberg, 72, Gitarrist Nils Lofgren, 72, Sängerin und Gitarristin Patti Scialfa, 70, und Stevie Van Zandt, Bruce‘ musikalischer brother from another mother, 72 jetzt. Doch die laufenden Konzerte sind alles andere als eine triste Totentanz-Party oder Rüstige-Rentner-Show, sondern eine das Leben und die lebensrettende, heilende Magie der Musik feiernde Rock & Soul-Party, die vom Boss und der E Street Band mit größter Spielfreude, höchstmöglicher Energie und Leidenschaft gefeiert wird.

Die Setlist variiert in Europa mehr als noch am Beginn der Tournee in den USA. Knapp 50 Songs haben Springsteen und die E Street  bisher gespielt, und auch die Spielzeit ist in Europa noch länger geworden und ist mittlerweile bei fast drei mitreißenden, überschwänglichen Stunden angelangt. Zum Auftakt gibt es meist No Surrender, ebenso programmatisch zu deuten wie die öfter gewählte Alternative My Love Will Not Let You Down. Aber auch The Ties That Bind oder Night gab es schon als Konzert-Opener. Zu hören auch jedes Mal alle Schlüsselsongs von Letter To You: Ghosts, Last Man Standing, I’ll See You In My Dreams (das jedes Konzert beschließt) und der Titelsong. Vom Soul-Cover-Album Only The Strong Survive ist nur die Gänsehautballade Nightshift im Programm, auch sie eine Hommage an zwei längst verstorbene Soul-Helden – Jackie Wilson und Marvin Gaye.

Dazu rocken in der Regel jede Menge Springsteen-Klassiker wie Prove It All Night, The Promised Land, Darkness On The Edge of Town, Candy’s Room, Because The Night, Out In The Street, The River, She’s The One, The Rising oder Backstreets durch die Stadien, vermischt mit frühen Krachern wie The E Street Shuffle, Kitty’s Back oder Rosalitha (Come Out Tonight). Auch Death To My Hometown, Trapped, I’m On Fire, My Hometown, Downbound Train, Darlington County, Working On The Highway, Bobby Jean oder Jungleland  können jederzeit auftauchen.

Der Zugaben-Block sowieso gigantisch: Thunder Road, Tenth Avenue Freeze-Out, Born In The USA, Glory Days, Dancing In The Dark und naturalmente das ewig welterschütternde Born to Run. Jahrtausendsong. Hallelujah, auf nach München! Sonntagsmesse.

 

Bruce Springsteen hat mich noch nie im Stich gelassen

Als Bruce Springsteen letzten Herbst seinen schier unglaublichen 73.Geburtstag feierte, erinnerte ich mich daran, wie ich mir damals in meinem Teenagerzimmer nächtelang über Kopfhörer sein Album Born To Run anhörte, und was Bruce und diese Platte für mich bedeuteten.

Tramps like us, baby, we were born to run. Als Bruce Springsteen letzten Herbst seinen schier unglaublichen 73.Geburtstag feierte, erinnerte ich mich daran, wie ich mir damals in meinem Teenagerzimmer nächtelang über Kopfhörer sein Album Born To Run anhörte, und was Bruce und diese Platte für mich bedeuteten. Ich hatte in meinem Elternhaus neben meinem Zimmer mit der klassischen, nicht gerade schicken Jugendzimmereinrichtung, Bett, Kasten, Bücherregal, Schreibtisch, als ich älter wurde, einen ungenutzten winzigen Raum besetzt, den ich Studio nannte. Am Boden lagen ein paar alte Matratzen und Kissen, neben meinem prächtigen schwarzen Sansui Hi-Fi-Turm und meinem alten Radiorekorder hatten nur noch meine Schallplatten, Musikkassetten, Lieblingsbücher, ein Stapel Musikzeitschriften und meine Akustikgitarre Platz, an den Wänden hingen ein paar Poster und selbstgemalte Bilder, die auf der Siebzigerjahre-Tapete drüben im Jugendzimmer nicht appliziert werden durften.

Oft lag ich damals nächstens im Studio am Boden auf der Matratze und hörte über Kopfhörer Springsteens Born To Run-Album, voll geflasht von der Musik und den Texten von Bruce, die ich am Cover mitlas, nur die kleinen roten Kontrollleuchten der Sansui-Anlage leuchteten im Dunklen. Ich war tief bewegt von diesem allmächtigen Sänger und seiner allmächtigen Stimme und seinen allgewaltigen Songs, vom mitreißenden Fluss seiner Lyrik, von der unwiderstehlichen Welle von Gefühlen und der explosiven Energie, die eine ganze Stadt hätte erleuchten können. Obwohl ich seit Kindheit schon ein riesengroßer Beatles-Fan war und bis heute bin, waren Thunder Road, Tenth Avenue Freeze Out, Backstreets, She’s The One oder Jungleland mein Lebensstoff in diesen Tagen.Obendrauf noch der Urknall des welterschütternden Titelsongs Born To Run – der Song meines Lebens, war ich mir damals sicher. Und manchmal fühle ich das noch heute, cause tramps like us, Bruce und ich, we were born to run.

Damals, an seinem 73. Geburtstag ging mir auch die Frage durch den Kopf, wie Bruce Springsteen, eigentlich schon längst im Pensionsalter, immer noch physischund mental so stark sein kann, noch immer so kreativ, so voller Schaffenskraft, Energie und Leidenschaft?Ich weiß nicht, wie der Boss das schafft. Ich weiß nur, dass mich Bruce zeit meines Lebens noch nie im Stich gelassen hat.

Hubert von Goisern live: Wenn Eisbären tanzen und Grönlandhaie Liebe suchen

Hubert von Goisern und seine superfantastische Band feierten auf der „Neue Zeiten & Alte Zeichen“-Tour am Königsplatz in München mit dem Publikum eine mitreißende, so beseelte wie wunderbar unterhaltsame musikalische Andacht.

München, 16 Juni, 2023: Auf der antikisierenden monumentalen Kulisse des Königsplatzes ist für das „Neue Zeiten & Alte Zeichen“-Konzert von Hubert von Goisern, das größte der laufenden Tournee vor 8.000 Leuten, zumeist Über-40-jährigen, eine gigantische Bühne aufgebaut, auf der am nächsten Tag die Glam-Masken-Rocker Kiss im Rahmen ihrer Abschiedstournee loslegen werden.

So wie abends am Königsplatz von halb neun bis circa elf „die Musi aufgeigt“ und Hubert von Goisern und seine superfantastische Band mit größter Spielfreude und Leidenschaft, mit beindruckender Virtuosität und wunderbarem Teamgeist aufspielen, kann von Abschied aber keine Rede sein, warum auch. Ist der jetzt 70-jährige Goiserer doch gerade in bester Form, als Sänger, Musiker, Songschreiber, und als ideenreicher, schöpferischer, immer wieder zu Neuem aufbrechender Geist sowieso. Der Mann ist als – im besten Wortsinn – Weltmusiker, Musiker von Welt, ein Glücksfall nicht nur für die österreichische Musikszene, auch für die ganze Kultur und Gesellschaft des Landes.

Es ist ein hervorragendes, voll mitreißendes, wunderbar beseeltes Konzert an diesem sommerkühlen, regenfreien Münchner Abend. Hubert von Goisern und Band nehmen das Publikum mit auf eine faszinierende, musikalisch vielfältige Reise. Der Goiserer macht es mit der Dramaturgie des Konzerts heute so wie früher mal auch der Udo Jürgens. Im ersten Teil gibt es fast alle Songs seines neuen, besser seines jüngsten Albums Zeiten & Zeichen – anno 2020 veröffentlicht, die anschließenden geplanten Tourneen mussten aber im selben Jahr und auch 2021 wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden, jetzt aber endlich nach dem Konzert-Neustart im letzten Jahr die Neue Zeiten & Alte Zeichen-Tour. Der ganze Königsplatz mit Plastikklappsesseln bestuhlt und das ist gut so. Denn die Songs, ältere und neue, verdienen es konzentriert gehört zu werden. Und sie können so gut gehört werden, weil es der von Wolfgang Spannberger glasklar gemischte Konzertsound (bei Open-Air-Konzerten besonders schwierig), ermöglicht, praktisch jedes Wort zu verstehen.

Aber nicht nur der Live-Sound ist brillant, überall greift auf der Bühne ein Rädchen beherzt ins andere. Von der fantastisch gut eingespielten und, man merkt das in jedem Augenblick, voll positiv aufeinander eingestimmten Band mit Maria Moling (früher Ganes – Gesang, Keyboards, Gitarre, Percussion, Marimba, Theremin), Alex Pohn (Schlagzeug, Gesang),  Helmut Schartlmüller (Bass, Gesang), Alessandro Trebo (Keyboards), Severin Trogbacher (Gitarre, Ukulele, Gesang) bis zum langjährigem Chefroadie Hannes Peithner, der – als augenfälliger Teil der Bühneninszenierung – mit cooler Gelassenheit zwischen den Songs dafür sorgt, dass alle rechtzeitig das Instrument zu Hand haben, was sie gerade brauchen.

Gleich von Beginn weg ist die Stimmung bestens, weil erstens der stilistisch abwechslungsreiche, bunte musikalische Mix aus Ziehharmonika, krachenden Schlagzeugbeats, harten Rockgitarren, druckvoll funky-jazzig-rockigen Bassläufen, perlenden jazzigen Keyboards, jazziger Marimba, fröhlichem karibischen Hüftschwingen, Latin-Pop, New-Orleans-Funk, Tex-Mex-Groove, und nochmal Ziehharmonika subito voll zündet, unwiderstehlich quasi. Und zweitens die Songs des Zeiten & Zeichen-Albums eigentlich ein Höhepunkt nach dem anderen: Nach dem zart emotionalem Auftakt Gamstod der Mitreißer A Tag wie heut und der coole Dada-Electro-Pop-Groover El Ektro, dann das wunderbare Liebeslied Dunkelblau von der Königin der Nacht, und der Eisbär-Song Eiweiß, musikalisch erfrischend zwischen karibischem Calypso und louisanischem Zydeco tanzend und mit herrlich spaßigen Reimen.

Herausragend dann Freunde …,  die Hommage an Fritz Löhner-Beda (Bedrich Löwy), dem von den Nazis, weil er Jude war, im KZ ermordeten Texter von Franz Lehars Operetten, und Lehar sich nicht für seinen Freund bei den Obermazis verwenden wollte, obwohl diese große Lehar-Fans waren. Die Erzählung des Goiserers, wie er in Bayreuth beim Besuch einer Richard-Wagner-Oper den österreichischen Star-Tenor Andreas Schager kennenlernte und ihn zu einem gemeinsamen Projekt überreden konnte – diese Geschichte möchte man nicht überhört haben, wie auch alle anderen Ansagen zwischen den Songs. Schagers im Studio gesungenes Operettenmotiv „Freunde, das Leben ist lebenswert…“, wird auf der Bühne von Band zugespielt, weil der Sänger Abend für Abend live natürlich zu teuer.

Ganz groß auch Sünder, eine packende, energiegeladene Neudeutung des  aufwühlenden Klassikers Sinnerman der grandiosen afroamerikanischen Gospel-, Soul- und Jazzsängerin Nina Simone: „Power! Power!“, schreien alle lauthals auf der Bühne raus, und nicht wenige im Publikum. Die berührende Ballade vom Liebe suchenden Grönlandhai, die beseelten Jodler spat und Jodler für Willi, das zauberhafte Future Memories, ein Liebeslied an das Leben und über die Flüchtigkeit der Zeit, das, unter Verwendung eines Gedichts von Johann Wolfgang von Goethe, herzwärmende Rastlose Liebe, und das polternde, aufrüttelnde politische Brauner Reiter, das umso beklemmender ist angesichts aktueller Wahlumfragen nicht nur in Österreich, sondern all over Europa. Ebenso die vorm politischen und gesellschaftlichen Rechtsruck warnende Ballade Meiner Seel‘.

Nach einem nahtlosen Übergang ohne eine die Stimmung brechende Pause, kommen im zweiten Konzertteil auch die Evergreens zum Mitsingen, Tanzen und Party machen. Koa Hiatamadl gibt es nicht, da hat sich Hubert von Goisern vom Sturm und Drang der „Neuen Volksmusik“ und des „Alpenrock“ mit seiner Musik, seiner ganzen Kunst viel zu freigeistig und mannigfaltig weiterentwickelt – weit, weit weg also.  Brenna Tuats Guat, seinen zweiten Riesenhit spielt er aber, zumal dessen Sound und der seinem Publikum wohlbekannte Text viel mehr verdeutlichten, wofür der Goiserer neben seinen herzwärmenden romantischen Gefühlsballaden so steht, für pointierte Anmerkungen zu politischen und sozialen Missständen und viel mehr. „Unterhaltung mit Haltung“, nannte das Udo Jürgens immer – mit Recht. Bei Brenna Tuats Guat springen alle auf und beginnen ausgelassen zu tanzen, bis zum Schluss hält es niemand mehr auf den Sitzen. Nach den wie Nebelwolken schwebenden Synthesizern der Jane-Godall-Hommage Gombe und dem traditionellen Jodler Kohler Seiner aus Huberts Heimatort Bad Goisern kommen als finale Highlights die vom Publikum voll mitgesungenen Gefühlsballaden Weit, weit weg und Heast as nit, die ganz tief ins Herz gehen.Nach einer letzten betörenden Ode an die Liebe, Dunkelrot, ist das Leben grad mal sowas von schön und bei allem prekärem Weltenbefund regiert das Prinzip Hoffnung. Positive Vibes. Die Kraft und Magie der Musik und des positiv gestimmten Miteinanders. Wie zur Bekräftigung, ruft der Goiserer zum Abschied noch ins Publikum: „Passt‘s aufanaunda auf. Und losst’s eich nix gfoin. Außer es is wos Scheens!“

© Konzertfotos geknipst vom Autor