Willi Resetarits: „Es war alles wunderbar“

Talkshow/Interviews 15: Willi Resetarits alias Kurt Ostbahn im Gespräch mit Fredi Themel und Klaus Winninger.

Paradoxerweise habe ich Kurt Ostbahn zum ersten Mal zum Interview getroffen, als er mit Ende 2003 in Pension gehen und Willi Resetarits den Vortritt lassen wollte. Er veröffentlichte damals mit Wann de Musik und Vuabei Is gleich zwei Alben mit neuen Songs, für die Kurt und die Kombo die letzten vom leider viel zu früh verstorbenen Ostbahn-Kurti-Erfinder Günter „Trainer“ Brödl genial gedichteten Songtexte vertont haben.

Das Gespräch im sonnigen Burgenland, das mein now!-Redaktionskollege Fredi Themel und ich führten, bestätigte in jedem Satz, was eh keiner Bestätigung mehr bedurft hätte – was für ein  herzensguter, milder, liebenswürdiger, lebensweiser, wahrhaftiger, gescheiter, humorvoller, politisch wacher und sozial engagierter Mann dieser Willi Resetarits ist, und was für ein grandioser, leidenschaftlicher beseelter Sänger noch dazu. Reif für höchste heimische Würden und Ehrungen, weil quasi „Österreichisches Weltkulturerbe“.

Fredi Themel/Klaus Winninger:  Die beiden neuen Alben sind musikalisch, thematisch und stimmungsmäßig sehr unterschiedlich. Es wirkt so, als wäre das zweite ein typisches Kurt Ostbahn-Album, das erste aber mehr eine Willi Resetarits-Platte. Ist sie nicht schon mehr ein erster Trennungsschritt?

Willi Resetarits: Der Kurtl und der Willi sind ja bis vor kurzem mehrheitlich deckungsgleich gewesen. Erst jetzt in der Folge werden sie auseinandergehen, müssen sie wieder auseinandergehen, damit man den Willi als eigenen Menschen sieht, und damit der Willi den Kurtl dann in die Pensi schicken kann. Siamesische Zwillinge können nicht separat auf Urlaub fahren, wenn sie nicht getrennt sind, daher müssen wir jetzt diese Trennungsarbeit ein bisschen genauer machen. Es hat mit zwei Personen begonnen, einem gewissen Schmetterlinge-Sänger und einem gewissen Kurtl, und die sind dann zu einer Einheit geworden, und damit das Ganze jetzt aufhören kann, gehen sie schön langsam wieder auseinander.

FT/KW: Was werden Kurt und Willi auf Ihren getrennten Wegen machen?

Willi Resetarits: Der Kurtl macht, was er will. Ich vermute, dass er ein Schrebergartenhäusl im Kleingartenverein Simmeringer Haide hat, was er aber nicht sagt, erstens einmal, damit da keine Touristen kommen, die ihm dann – wie man sagt bei den kleinen Schrebergärten – „ins Arschloch eineschaun“, und zweitens, weil es niemanden etwas angeht. Während der Willi auch was macht, was er nicht verraten will, nämlich ein halbes Jahr nichts, und dann andere musikalische oder sonst irgendwelche Bühnenprojekte.

FT/KW: Waren diese beiden finalen Platten von vornherein schon als Abschiedsplatten geplant?

Willi Resetarits: Nein, ein Abschiedsalbum war nicht geplant. Diese Texte vom  Brödl sind ja auf an kaputten Laptop gefunden worden ist, der im 95er Jahr hinworden is. Es ist ein Mysterium. Ich sag immer: Ein Narr, der das Schicksal für Zufall hält.

FT/KW: Waren die Kunstfigur Kurt Ostbahn und der Willi Resetarits wirklich die ganze Zeit über total deckungsgleich?

Willi Resetarits: Ja, sowieso, weil es nicht notwendig war zu überlegen, was tät jetzt der Kurtl sagen, der würd sagen, geht’s scheißen, und der Willi würd sagen, ah, ich hab euch so lieb, setzt’s euch her… das war deckungsgleich. Dass man natürlich zuordnen kann, Ostbahn-Auftritt mit nachfolgendem Zwei-Tages-Ziager eher dem Kurtl, politisches Engagement und den Termin beim Innenminister in Sachen Flüchtlingsintegration dem Willi Resetarits, das ergibt sich eh, ist eh logisch, aber nicht amal des ist konsequent durchzuhalten, weil wenn’s mehr bringt, dass der Kurtl sagt: wisst‘s eh, Leutln, seid’s nit deppert und tat’s ma do auf die Ausländer schimpfen.

FT/KW: Stimmt Dich diese Trennung, dieser Abschied vom Kurt Ostbahn auch ein bisschen wehmütig?

Willi Resetarits: Die Wehmut hält sich in Grenzen, weil jetzt so viel zu tun ist. Die beiden neuen CDs, die kommenden Konzerte, wo ich für drei Bands Sachen arrangieren muss, die geplanten Live-Platten, Videos und DVDs. Es ist einfach keine Zeit dafür, das heißt aber nicht, dass sie nicht da ist, die Wehmut. Das alles hat ja vielleicht auch damit zu tun, dass man sie nicht zulassen will, die Wehmut, weil man sich mit Arbeit zuschüttet.

FT/KW: Hatte die Kunstfigur des Kurt Ostbahn über all die Jahre nicht auch den Vorteil, dass Du die Privatperson Willi Resetarits aus der Öffentlichkeit heraushalten konntest? War er eine Art Schutzschild für Dich?

Willi Resetarits: Das war super vom Kurtl. Der Kurtl hat das abgepuffert. Schutzschild ist da gar nicht übertrieben, der Kurtl hat das Willi Resetarits-Privatleben sehr gut abgeschirmt. Forderungen nach der Homestory konnten so immer sehr überzeugend abgelehnt werden.

FT/KW: Wie war es, bei den Aufnahmen der beiden neuen Platten ohne den Texter und kongeniale zweite Ostbahn-Hälfte Günter Brödl auskommen zu müssen, der ja auch „Trainer“ von Euch genannt wurde?

Willi Resetarits: Der Brödl hat schon immer uns das Musikmachen überlassen, aber er hat wahnsinnig genau zugehört und schon etwas dazu gesagt, wenn wir ihn gefragt haben, er hat das beobachtet. Und so haben wir diesmal gesagt, das macht er jetzt eh auch, manchmal, wenn der Luftzug eine Tür zughaut hat, haben wir es dem Günter zugeschrieben – dass er einmal rausgeht. Dann haben wir nachgedacht, ob wir irgendwas schlecht gespielt haben. Das war eine ein bisschen sentimentale, halb ironisch, halb ernstgemeinte Geschichte, dass er eh dabei ist und eine Riesenfreude hat.

FT/KW: Was waren aus Deiner Sicht seine Stärken, warum haben seine Texte den Nerv von so vielen getroffen?

Willi Resetarits: Seine Stärken waren, dass er Geschichten erzählt hat, die uns so vorkommen, als wären sie über uns, mir so vorkommen, als wären‘s über mich und gleichzeitig viele anderen, als ob sie gerade über sie geschrieben worden wären. Er trifft den Ton, das war seine Stärke. Das war das Besondere, was er halt gehabt hat: Aber was ich auch hab und was die ganze Band hat, das ist halt die Freude. So wie der ganze Ostbahn-Ansatz – das haben wir nicht gemacht, damit wir einen Beruf haben oder ein Geld verdienen, sondern wir haben eine Band gemacht, weil es leiwand war.

FT/KW: Eine Kunstfigur wie Kurt Ostbahn kann ja auch eine Art Gefängnis sein: Man ist beschränkt in dem, was man musikalisch machen kann, weil es ganz genaue Erwartungen gibt. Hat Dich die Verantwortung gegenüber den Fans, die Du ja sicher spürst, diesmal in irgendeiner Form gebremst?

Willi Resetarits: Nein. Früher vielleicht ein bisschen. Aber jetzt waren wir durch unsere konsequente Entwicklung so weit, dass wir da waren, wo wir vielleicht schon früher hätten sein können, nämlich dass man sagt: Das was passiert, ist das Richtige.

FT/KW: Wo hättet Ihr schon früher sein können?

Willi Resetarits: Nein, ich nehm das zurück, eigentlich waren wir immer da, wo wir hingehört haben. Aber es hat was Angenehmes, immer noch irgendwo hinkommen zu können. Manche Leute sagen, was wir machen, ist eh schon bekannt, das sind nur Variationen. Ich habe für mich persönlich eine Entwicklung gesehen.

FT/KW: Wie entstehen überhaupt die Songs bei Euch? Wie vermittelst Du Deiner Band, was Du Dir bei einem Lied so vorstellst?

Willi Resetarits: Ich erzähle irgendeine Geschichte dazu, so wie eine Regieanweisung. Bei vielen Liedern ist die Regieanweisung: Es ist vier in der Früh, alle sind besoffen, und der Klavierspieler rafft sich noch einmal auf und spielt ein Lied. Aber es gibt andere Geschichten auch. Quasi anstatt ein Arrangement vorzulegen, sage ich, was für eine Besetzung da spielt, was los ist und wie’s dem Typen geht, der singt und was sich der denkt, und wenn ich gut aufgelegt bin, fallen mir halt irgendwelche Sachen ein.

FT/KW: Und irgendwie ist es Euch immer gelungen, so etwas wie urwüchsigen, österreichischen Rock’n’Roll zusammenzubringen.

Willi Resetarits: Es ist schon amerikanische Musik, die wir spielen, da brauchen wir nicht diskutieren, aber die Texte sind bei uns daheim, und da gibt’s überhaupt keine Amerikanismen. Der Zugang war ja immer der, dass die Musik für mich seit Anfang der 1950er Jahre aus dem Radio gekommen ist, und das ist bei mir daheim gestanden, nicht in Amerika. Wenn man die eigene Biografie hernimmt, ist diese Musik dann eine Art Volksmusik, weil sie, wenn man die Hausübung geschrieben hat nach der Volksschule, aus dem Radio gekommen ist, und die Mutti hat gekocht.

FT/KW: Wie ist man damals in den 1960ern eigentlich wirklich zu Sachen wie Wilson Pickett, Otis Redding oder Solomon Burke gekommen, das hat man doch nicht im Radio hören können?

Willi Resetarits: Nein, in der Zeit war meine Soul-Affinität nur zu befriedigen durch einen „Club 45“, der hieß so, weil er in irgendeiner Bahnzeile Nummer 45 im Keller war, wo irgendwelche Aficionados Verbindungen nach London gehabt und die Platten dahergebracht haben. Da bin ich sofort reingegangen, wenn sie aufgesperrt haben, weil sie als erstes Lied immer gespielt haben: Land Of 1000 Dances in einer Live-Aufnahme von Geno Washington & His Ram Jam Band. Die Platte hast du sonst nirgendwo gehört, man hat also persönlich dort anwesend sein müssen. Dort waren alle, die auf Soulmusik gestanden sind. Man war mit Zeitverzögerung mit dabei, allerdings komplizierter als heutzutage, wo man sich alles irgendwo kaufen kann.

FT/KW: Wenn Du einen Blick zurück wirfst: Was war gut am Ostbahn-Projekt, gibt es auch etwas zu bereuen?

Willi Resetarits: Ich hab‘ ein Problem, dass ich mir die Sachen, die wirklich danebengegangen sind, nicht gut merke bzw. verdränge bzw. schönfärbe. Was es auch sei, ich kann beim besten Willen nicht Auskunft geben über die größte Pleite, vielleicht weil ich kein Magengeschwür haben will oder so. Es war alles wunderbar, wir haben uns pubertäre Träume erfüllt und haben dann die ewige Pubertät ausgerufen. Erwachsene Männer, die in der Pubertät stecken geblieben sind. Und wir haben wunderbare Konzertreisen gemacht, saudeppert, so wie man es sich halt vorstellt, wie man deppert sein muss. Wenn wir rausgefahren sind aus der Stadt – eine wahnsinnige Freud‘ – und das ist bis heute so! Bei der ersten Raststation sind wir sofort reingefahren, ein Sechserblech und Juhu!

FT/KW: Gibt es etwas, auf das Du ganz besonders stolz bist?

Willi Resetarits: Ich glaube, dass wir gut spielen, das freut mich besonders. Da gibt es schon eine gewisse Eitelkeit, die sich darin ausdrückt, dass wir glauben, dass wir die beste Band sind, die es gibt. In Österreich sowieso. Weil wir halt gut sind und Herzensbildung übermäßig da ist und weil wir uns nichts scheißen und ein ganz einfaches sentimentales Lied genauso spielen, wie es sich gehört. Wenn wir einen Kommerzhadern hinknallen wollen, dann knallen wir einen Kommerzhadern hin – und den auch ohne schlechtes Gewissen. Aber das traut man sich nur dann, wenn man die kompliziertesten Sachen aus dem Handgelenk spielt, dass die jungen Kollegen blass werden und die Gitarren und Keyboards zerhacken.

FT/KW: Hat der Willi Resetarits eventuell selbst vor, die Lücke, die der Kurt Ostbahn hinterlässt, auszufüllen?

Willi Resetarits: Keine Ahnung, das will ich echt so machen, dass ich zuerst einmal ein halbes Jahr nix mache und dann das mach’, was ich will, was ich jetzt aber noch nicht weiß, und wenn ich’s dann auch noch immer nicht weiß, jo, dann weiß ich’s nicht.

FT/KW: Hast Du einen Rat für junge, nachfolgende Bands?

Willi Resetarits: Genau dann, wenn du alles hinschmeißen willst, noch einmal sechs Monate dranhängen!

FT/KW: Warum es im Studio keine Ostbahn-Platten mehr geben wird, ist klar. Was spricht dagegen, die alten Sachen live weiterzuspielen?

Willi Resetarits: Weil wir’s dann schon genug geübt haben. Nein, ich weiß nicht, es spricht eh nichts dagegen, außer dass ich mir gedacht habe, es ist uncool.

FT/KW: Könnte das, was Du in Zukunft machen wirst, in  Richtung des ruhigeren Wann de Musik-Albums gehen?

Willi Resetarits: Das kann schon sein. Das ruhigere Album ist sicher das, so wie wir heute musizieren.

FT/KW: Warum haben die Österreicher den Kurt Ostbahn eigentlich so sehr ins Herz geschlossen?

Willi Resetarits: Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass das woanders auch gegangen wäre, ich denke, dass die Texte vom Brödl internationale Qualität haben. Mit dem Unterschied, dass sie halt in einem Regionaldialekt gehalten sind. Und ich glaub‘, dass der Ostbahn-Darsteller ein Charisma hat, das ihm auch international keine Probleme gemacht hätte, wenn er nicht einen Regionaldialekt singen würde, den man woanders nicht versteht. Dann noch eine gute Band dazu, das ist eine victory-mixture. Ich glaube, dass wir ganz einfach gut sind. Ich habe sowas immer sehr ungern gesagt, weil man natürlich hofft, dass es die andern sagen, damit man‘s nicht selber sagen muss, aber ich glaub‘, dass wir sehr gut sind in dem, was wir machen.

FT/KW: Kurt Ostbahn hat Dir ermöglicht, Dein Privatleben geheim zu halten. Wir möchten trotzdem gern wissen, wie Deine weitere Lebensplanung aussieht. Wo stehst Du jetzt und wo willst Du noch hin?

Willi Resetarits: Ich will ein angenehmes Leben haben. Ich glaub, ich werde eine wahnsinnige Entlastungsdepression kriegen, weil ich das nicht gewöhnt bin. Und dann halt wieder Musik machen mit Kollegen. Ich liebe ja die guten Musiker noch mehr als die mittelmäßigen, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich auf das verzichten kann und dass ich nicht noch irgendwelche Herausforderungen annehme – wenn’s geht, ein bisschen schwierigere, die sind aber dann meist nicht sehr finanzträchtig.

FT/KW: Was wäre aus Dir geworden ohne die ganze Musik?

Willi Resetarits: Dann wäre ich Lehrer geworden und unglücklich. Ohne Kurt Ostbahn hätte ich eine andere Musik gemacht, weil die Ostbahnmusik geht nur mit dem Günter Brödl, das ist eine chemische Reaktion, die nur mit ihm möglich ist – weil ich teilweise über meinen Geschmack hinausgegangen bin, weil ich auch den Geschmack der anderen Ostbahnhälfte mit abzudecken hatte, was ja eh auch spannend ist.

FT/KW: Warum wolltest Du Lehrer werden?

Willi Resetarits: Weil mir nichts anderes eingefallen ist. Weil ich nach der Matura die Überlegung gehabt habe, wahrscheinlich kann ich von der Musik, die ich gern machen will, nicht leben, daher schau‘ ich mich lieber gleich um einen Brotberuf um, damit ich nicht korrumpierbar bin durch den Zwang des Geldverdienens mit meiner Musik. Das war der Grund, warum ich ein paar Jahre studiert habe. Wenn es die Musik nicht gegeben hätte, wäre ich halt Lehrer geworden, aus Ratlosigkeit.

FT/KW: Wir danken für das Gespräch.

(Erstveröffentlicht in einer gekürzten Version in: now! N° 18, 2003)

Bilder © Universal Music/Lukas Beck

Record Collection N° 286: Nick Lowe “The Convincer” (Proper Records, 2022)

Nick Lowes drittes Lebensbilanzalbum in Folge geht bei aller charmanten Eleganz und augenzwinkerndem Schmäh tief unter die Haut.

Nick Lowe ist mir ein besonders Teurer. Nicht nur sein unangepasster Geist war mir stets sympathisch. Ich mag auch seine unbeugsame Rock’n’Roll-Haltung und, seine Verve als Power-Pop-Produzent, der einige der besten Pubrock-, Punk- und New-Wave-Platten aller Zeiten am Kerbholz hat. Ich schätze seinen Humor, die gewitzten, lebensnahen, zielsicher auf den Punkt kommenden Songtexte und sein untrügliches Gespür für feine, verführerische Melodien. Und ich mag nicht zuletzt seine schmachtende Stimme, deren betörender Schmelz mit  seinem fortschreitenden Alter nur noch unwiderstehlicher geworden ist.

Der 1949 geborene Engländer, der vorübergehend mal Schwiegersohn von Johnny Cash war, hat eine bewegte Karriere hinter sich. In den frühen 1970ern produzierte er einige formidable Platten mit der Pub- und Country Rock-Band Brinsley Schwarz, war 1976 einer der Gründer des legendären Labels Stiff Records und ein früher Förderer der britischen Punk-Szene. Er produzierte die ersten fünf Alben von Elvis Costello and The Attractions und auch Platten von The Damned, The Pretenders oder dem Rock’n’Roll-Fanatiker Dave Edmunds. Mit Edmunds gründete Lowe 1977 die hinreißende Rock’n’Roll-Combo Rockpile (aufgrund vertraglicher Probleme einziges, famoses Album Seconds of Pleasure, 1980) und produzierte ab 1978 eine Reihe hinreißender Soloalben (Jesus Of Cool, Labour Of Love ) und zündende Singles wie So It Goes, I Love The Sound Of Breaking Glass oder Cruel To Be Kind mit Rockpile als Band. Ach ja, den von Elvis Costello unsterblich gemachten New-Wave-Kracher What’s So Funny ’Bout (Peace, Love And Understanding) hat der Mann auch geschrieben.

In den 1990ern veröffentlichte Nick Lowe nach einer nicht nur kreativen, sondern auch veritablen Lebenskrise mit The Impossible Bird (1994) und Dig My Mood (1998) zwei großartige Alben mit  tiefschürfenden Songs aus der Sicht eines angeschlagenen Lebemanns, der über die Unbill des Lebens und der Liebe räsoniert. The Convincer ist der dritte Teil dieser Lebensbilanzplatten mit zwölf Songs für die Zeit Between Dark And Dawn (Songtitel).

Lowe schmachtet so sanft und gleichzeitig so betrübt, dass man ihn einen großen Soulsänger wie Sam Cooke und einen Crooner Marke Frank Sinatra nennen darf. Only A Fool Breaks His Own Heart gibt er mit coolem Understatement zu bedenken und muss sich im Country-Seufzer eingestehen: Lately I’ve Let Things Slide. Und dann, zähneknirsch: I’m A Mess. Und das alles auch noch in einem wunderbar sentimentalen Country-Soul-Sound mit glutvollen Hammondorgeln, wehmütigen Gitarren, betörenden Chören und funkigen Blechbläsern. Zum Ende hat der weißhaarige Schwerenöter aber noch einen versöhnlichen Annäherungsversuch parat: Let’s Stay In And Make Love. Gewusst wie. Sein 1978er Albumdebüt nannte sich im Untertitel übrigens Pure Pop For Now People. Volltreffer.

Nick Lowe The Convincer, Proper Records, 1982

(Erstveröffentlicht in: now! N° 02, Oktober 2001, komplett überarbeitet im April 2022)

Eine Stunde zum Erinnern: Im Gespräch mit Paul McCartney: „Hello, it’s Paul!“

Paul McCartney: “ Ich habe immer noch großen Ehrgeiz.“

Talkshow/Interviews 01: Paul McCartney.

Im Gespräch mit dem ewigen Beatle Paul McCartney.

Am 18. Juni 2022 feiert der ewige Beatle Sir Paul McCartney seinen 80. Geburtstag, wenige Wochen nachdem das legendäre Meisterwerk der Beatles Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band seinen 55. Geburtstag zelebrierte. Um Sgt. Pepper, die Beatles und seinen kongenialen Songwriting-Partner und Freund John Lennon ging es auch in meinem Interview mit Sir Paul. Und um sein 2008er Album Electric Arguments, seine nicht enden wollende Kreativität und Energie und die Kunst des Songschreibens.

Rückblende: Freitag, 31. Oktober 2008, kurz vor 19:45 Uhr. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer und warte auf den Anruf von Paul McCartney, den er mir höchstpersönlich versprochen hat, als unser Gespräch nachmittags knapp zehn Minuten dauerte. Meine Tochter Ines, der ich erzählt habe, dass vielleicht bald Beatle Paul McCartney anrufen wird, leistet mir beim Warten Gesellschaft. In der ersten Hälfte des Jahres hat McCartney gemeinsam mit seinem aktuellen Kreativpartner, dem Produzenten Youth unter dem Namen The Fireman innerhalb weniger Tage das wirklich brillante neue Album Electric Arguments eingespielt, eines seiner besten Alben im neuen Millennium. Schon am Nachmittag sagte Sir Paul gleich zu Beginn sehr simpatico, ich möge ihn doch einfach Paul nennen. Aber ich war mir nicht sicher, ob er tatsächlich noch einmal anrufen würde. Aber exakt um 19:45 läutete das Telefon: „Hello, it’s Paul again…“  Wir setzten unser Gespräch vom Nachmittag gut eine Stunde fort. Arrangiert wurde der Interviewtermin über Vermittlung von Christoph Moser, dem damaligen Musikchef der Firma Hoanzl, dem ich bis heute dankbar dafür bin. Und ich bin froh, dass ich Christoph bei unserem letzten Zusammentreffen vor seinem viel zu frühen Tod noch sagen konnte, wie viel mir dieses Gespräch mit Beatle Paul McCartney bedeutet hat.

Paul McCartney in kreativer Stimmung: „Ich mag es nicht, auf Nummer sicher zu gehen.“

Klaus Winninger: Paul, Ihr neues Album Electric Arguments klingt unglaublich frisch und innovativ, wie schaffen Sie es, sich immer noch so sehr zu motivieren?

Paul McCartney: Das ist jetzt unsere dritte Platte unter dem Namen The Fireman, und das Besondere an ihr ist, dass das Ganze für mich einen kompletten Bruch in meinem normalen Ablauf darstellt, so wie eine Art Urlaub vielleicht. Ich gehe mit Youth ins Studio, und ich mache einfach alles, was ich machen will. Ich spiele mit den Instrumenten herum, wie es mir gefällt. Oder ich tue so, als wäre ich ein amerikanischer DJ und mache mit ein paar Platten etwas und spiele dann mit der Gitarre drüber. Für dieses dritte Album wollten wir die ganze Sache aber noch einmal wenig weiter vorantreiben. Es wurde praktisch eine Art Improvisationstheater, weil wir dieses Mal auch noch Worte und Gesang verwendeten.

KW: Wie können wir uns die Aufnahmen der Songs im Studio vorstellen?

Paul McCartney: Wir kamen jeden Tag ohne großen Plan ins Studio, und ich sagte zu den Toningenieuren: „Hört mal Leute, das könnte jetzt ziemlich peinlich für mich werden. Ich habe keine Idee, was ich tun soll, ich habe keinen Song fertig, und ich werde mich jetzt zum Mikrophon stellen und Geräusche machen. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, was dabei herauskommen wird.“

Paul McCartney: Ich fing an irgendetwas zu singen und begann, erste Wörter zu finden. Wir nahmen Bücher von den Beat-Poeten her, von Jack Kerouac oder Allen Ginsberg, und ich tippte einfach auf eine Seite und habe das Wort verwendet, das ich gefunden habe, und dann noch eines von einer anderen Seite oder gleich aus einem anderen Buch. So sind Teile der Songtexte entstanden, und ich habe so lange dran gearbeitet, bis sie für mich genug Sinn ergeben haben. Das war aufregend, ein total spontanes Songschreiben. Ich hab mir dann ein Limit gesetzt von fünf Minuten, um noch eigene Textzeilen zu schreiben und habe alles zusammengefügt, um es singen zu können. Youth, mein Co-Produzent, der auch DJ ist, arrangierte die Sachen dann weiter. Er nahm zum Beispiel eine Zeile wie Sing The Changes her und meinte: „Ich liebe das, das könnte ein Refrain werden.“ Das hat mich erneut inspiriert, und so ist es immer wieder zwischen uns hin und her gegangen. Er meinte bei einem Stück etwa, er würde einen Flötensound brauchen. Und ich habe dann mit meinen alten Rekordern einen langen Take mit Sounds gespielt, wie ich sie schon bei The Fool On The Hill von den Beatles verwendet habe, und er hat sich daraus einen kleinen Part herausgepickt. Wir haben das Ganze wie eine Skulptur geformt, es war unglaublich aufregend und erfrischend so zu arbeiten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich innerhalb einer halben Stunde den Text für einen Song fertig haben könnte.

KW: Haben Sie im Studio versucht, sich nicht ständig an das zu erinnern, was Sie zuvor schon alles geschaffen haben, um von der Last ihres großen Werks nicht gebremst zu werden?

Paul McCartney: Wir haben uns nicht viel Sorgen gemacht und über etwas zu lange nachgedacht. Wir haben einfach gesagt, lass uns doch einmal das versuchen oder das oder vielleicht auch das, und plötzlich hatten wir es! Diese völlige Freiheit war sehr inspirierend für mich und hat mich wieder voll für meine Kunst begeistert. Wenn Youth etwa plötzlich einen Schlagzeugpart wollte, habe ich mich einfach ans Schlagzeug gesetzt und ein paar Minuten später war alles im Kasten. Wir haben total schnell gearbeitet und wollten jeden Tag einen Song fix und fertig aufnehmen.

Paul McCartney: Youth lehnt sich nicht zurück, er bringt sich ein als kreativer Partner, und wir kommen sehr gut miteinander aus. Wir bewundern gegenseitig unsere künstlerischen Neigungen, er mag Bildende Kunst, er malt selbst ganz gut, er steht auf Lyrik, und das sind alles Sachen, die wir gemeinsam haben. Und wenn wir zusammenarbeiten, haben wir einen großen gemeinsamen kreativen Pool, aus dem wir schöpfen können. Und ich denke, wir machen ganz gute Sachen zusammen.

Paul McCartney: Das hatten wir schon so geplant. Wir haben ja schon zwei instrumentale Platten mitsammen gemacht und wollten nicht noch eine auf dieselbe Art machen. Wir haben überlegt, in welche Richtung wir gehen könnten, und Youth fragte mich, ob ich nicht auch singen wollte, und so ist es geschehen. Mit einem Mal waren wir dabei, richtige Songs zu schreiben. Ich schreibe schon so lange Songs, dass wohl selbst dann, wenn ich improvisiere, meine Improvisationen irgendwann in ein Songformat münden. Der Unterschied war, dass ich sonst viel länger an einem Song arbeite, und hier ist es ganz schnell und spontan gegangen. Es war fast wie in einem Songschreiberworkshop.

KW: Sie haben ja auch schon mit Ihren letzten Alben Chaos And Creation In The Backyard und Memory Almost Full und auch mit den Konzerten in den letzten Jahren Ihr kreatives Level wieder enorm in die Höhe geschraubt. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es für Sie jetzt wieder so gut läuft?

Paul McCartney: Ich habe nicht wirklich eine Erklärung. Ich weiß nur, dass mir das alles ein großes Vergnügen bereitet. Und dass ich immer noch darauf versessen bin, besser zu werden und etwas Besseres zustande zu bringen. Ich habe immer noch großen Ehrgeiz. Aber ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass ich etwas Besonderes zum Frühstück esse. (Lacht)

Paul McCartney: Ich bin immer noch fasziniert vom kreativen Prozess des Songschreibens, und ich liebe es einfach, Musik zu machen und meine Instrumente zu spielen. Als ich kürzlich in Israel ein großes Konzert gespielt habe, bin ich bei den Proben auf der Bühne gestanden und habe auf meinen Verstärker und meine Gitarre geblickt. Ich bin mir da plötzlich wieder wie ein kleiner Junge vorgekommen. Ich dachte: „Was für ein cooler Verstärker, welch coole Gitarre!“ Das alles fühlt sich für mich immer noch an wie ein Traum, der wahr geworden ist. Ich fühle mich nicht erschöpft oder verbraucht, ich bin immer noch voll Enthusiasmus, ich will immer noch etwas Neues, etwas Aufregendes schaffen, und ich hoffe, das kommt auch in meiner Musik zum Tragen.

KW: Suchen Sie wegen dieser kreativen Herausforderung auch immer wieder die Auseinandersetzung mit neuen künstlerischen Partnern? Ob früher mit Elvis Costello als Songschreibpartner oder jetzt bei The Fireman mit Youth als Co-Produzent?

Paul McCartney: Wenn ich an neuen Songs arbeite, will ich diese Herausforderung annehmen, und ich gehe dafür auch gerne mit guten Leuten ins Studio. Ich versuche immer, eine Art Projektsituation zu kreieren und das beste Team dafür zusammen zu stellen. Das bin ich schließlich seit den Beatles so gewöhnt. Wenn wir die nächste Beatles-Platte machen wollten, überlegten wir uns zuerst auch immer, was wir auf der letzten Platte gemacht haben. Ich habe sie mir dann noch einmal angehört und gedacht, okay, wie können wir das noch besser machen, was können wir jetzt tun? Diese Art von Nervenkitzel reizt mich nach wie vor. Ich mag es nicht, auf Nummer sicher zu gehen.

KW: Wie wichtig war es für Sie, auch nach dem Verlust von John Lennon immer wieder neue kreative Partner zu finden? Sie hätten ja nach dem Ende der Beatles auch nur noch als Solokünstler arbeiten können, haben aber nach einer ersten Soloplatte lieber die Wings formiert? Und heute produzieren Sie eine Platte mit Youth als künstlerischem Mitspieler.

Paul McCartney: Interessanterweise habe ich für die neue Fireman-Platte ja alle Instrumente selbst gespielt wie bei einer reinen Soloplatte. Dann aber machte es großen Spaß, sich mit Youth als Produzenten auszutauschen und auch herumzualbern, was wir denn alles damit anstellen könnten. Wir haben uns wohl so verrückt aufgeführt, wie zwei Kinder in einem riesigen Laden mit Süßigkeiten, bis es wie ein spannendes Stück Musik geklungen hat.

Paul McCartney: Ja, eigentlich haben Youth und ich bei The Fireman denselben Zugang, wie John und ich das mit Sgt. Pepper’s gemacht haben. Wir waren der Beatles ein wenig müde geworden und suchten daher neue Wege. Ich war nicht sonderlich begeistert von der Idee, mich schon wieder vor ein Mikrophon zu stellen und einen neuen Paul-McCartney-Song zu singen, der an allem gemessen wurde, was wir schon gemacht hatten. Daher haben wir für Sgt. Pepper’s diese Alter Egos für uns erfunden, das gab uns die Freiheit, als jemand völlig anderer Songs zu schreiben. Der Filmregisseur Mike Leigh hat ähnlich gearbeitet und sich mit seinen Schauspielern erst einmal hingesetzt und für sie Namen, Berufe und Charaktere erfunden und dann hieß es für sie, ihren Instinkten zu folgen und alles weitere frei zu erfinden. Das Tolle an der Improvisation ist ja, dass man sich dabei immer wieder selbst überrascht.

KW: Das Resultat der Ausnahmesessions von Electric Arguments klingt tatsächlich voll überraschend und frisch.

Paul McCartney: Ja, es war zwar also schon aufregend, wie wir Electric Arguments aufgenommen haben. Aber das war nichts gegen unsere Verblüffung, als wir dann die fertigen Mixes gehört haben. Ich konnte es selbst erst nicht glauben, dass wir das alles gemacht haben. Normalerweise hat man einen Song und weiß, was in etwa im Studio damit passieren wird. Aber dieses Mal war es ein großes, wildes Abenteuer.

KW: Wobei sich das fertige Album alles andere als zufällig anhört. Für mich ist eine Art Reise, von den eher kompakten, zum Teil auch sehr wütenden und aggressiven Songs am Anfang bis zu den immer entspannter und optimistischer werdenden, viel weitläufiger groovenden und immer experimenteller daher kommenden Songs in der zweiten Hälfte der Platte. Das scheint mir auch eine innere Entwicklung nachzuzeichnen.

Paul McCartney: Das ist gut beobachtet. Manchmal bin ich mit dem Auto zwei Stunden unterwegs von Sussex, wo ich mein Studio habe, nach London, und ich spiele auf dieser Fahrt jetzt sehr gerne unsere neue Platte, weil sie wirklich wie eine Reise wirkt, und sie ist auch ein guter Soundtrack, wenn man selbst unterwegs ist. Auch wenn sie eigentlich gar nicht als musikalische  Reise geplant war. Das ist einfach so passiert, als wir uns völlig unseren Instinkten anvertraut haben.

KW: Zuviel darüber nachzudenken, könnte die kreativen Ideen verscheuchen.

Paul McCartney: Jetzt werden wir philosophisch, solche Überlegungen ziehen sich ja durch alle Jahrhunderte menschlicher Geschichte. Allen Ginsberg hat über das Schreiben seiner Gedichte immer gesagt, der erste Gedanke sei sowieso der Beste! Irgendwann habe ich ihn einmal drauf angesprochen, und er meinte: „Das stimmt. Aber manchmal ist der zweite Gedanke noch besser!“ (Lacht)

Paul McCartney: „Ich weiß, dass sich die neue Platte so anfühlt, wie ich mich jetzt fühle.“

KW: Reflektieren die Songs und die Musik auf Electric Arguments auch Ihr eigenes Leben und die Entwicklung, die Sie in den letzten Jahren durchlaufen haben? Ist das Album auch eine Art Standortbestimmung für Sie selbst?

Paul McCartney: Ich vermute mal, dass das so ist. Ja, das ist sogar sicher so. Deine Songs reflektieren dich immer, ob du das nun willst oder nicht. Das ist vielleicht sogar eine Art wissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit, der man nicht entkommen kann. Dafür sind dann wohl Psychologen zuständig, die dir erklären, was das wirklich bedeutet, was du geschrieben hast. Die wahre Bedeutung hinter der Geschichte, die du vordergründig erzählst. Die Bedeutung hinter den Songs, die du singst. Ich weiß nicht, wie die neue Platte genau mit meinem Leben zusammenhängt, aber ich weiß, dass sie sich so anfühlt, wie ich mich jetzt fühle.

KW: Man muss als Songschreiber also keine Bekenntnislyrik in der ersten Person schreiben, um auch etwas über sich selbst zu erzählen?

Paul McCartney: Ja, ich glaube, das läuft so ab. Du kannst das nicht stoppen, wenn es passiert, es geschieht einfach. Auch wenn du noch so viel künstlerische Anstrengung darauf verwendest, alles zu verschleiern.

KW: Man muss als Songschreiber also keine Bekenntnislyrik in der ersten Person schreiben, um auch etwas über sich selbst zu erzählen?

Paul McCartney: Ja, ich glaube, das läuft so ab. Du kannst das nicht stoppen, wenn es passiert, es geschieht einfach. Auch wenn du noch so viel künstlerische Anstrengung darauf verwendest, alles zu verschleiern.

 KW: Weil man seine Persönlichkeit nicht einfach ausblenden kann.

Paul McCartney: Und das ist auch gut so.

Paul McCartney: Ach, das haben die Leute schon immer getan, ich habe mich also schon ein wenig daran gewöhnt und kümmere mich nicht mehr weiter darum. Und es ist meistens auch nicht wahr, was man aus meinen Liedern herauszulesen glaubt. Ein paar Mal mag es schon zugetroffen haben, aber generell interpretieren die Leute viel zu viel in meine Songs hinein. Ringo, John, George und ich, wir mussten uns schon zu Zeiten der Beatles damit abfinden, dass ein großes Aufheben darum gemacht wird, worüber wir singen. Darum hat John ja diese Zeile „The walrus was Paul…“ geschrieben. (Lacht )

KW: Wollen wir versuchen, den Titel des neuen Albums zu interpretieren? Was bedeutet Electric Arguments eigentlich?

Paul McCartney: Ich habe wie gesagt viele der Wörter, die ich in den  Songtexten verwendet habe, rein zufällig aus Büchern herausgepickt, so wie William Burroughs bei seiner Cut-up-Schreibtechnik. Und wenn sie mir gerade gefielen und für mich irgendeinen Sinn ergaben, habe ich sie zusammengefügt. So war es auch beim Albumtitel. Ob sich dahinter vielleicht noch mehr verbirgt, wer weiß.

KW: Die große Freiheit in künstlerischer Hinsicht, die Sie bei der Produktion des neuen Albums empfunden haben. Die neu gewonnene kreative Energie der letzten Jahre. Ist dies alles vielleicht auch durch die Trennung von Ihrer alten Plattenfirma, bei der Sie seit den ersten Plattenveröffentlichungen der Beatles stets unter Vertrag waren, begünstigt worden? Fühlen Sie auch in dieser Hinsicht eine neue Freiheit?

Paul McCartney: Auf jeden Fall. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Schritt machen würde. Aber als ich daran ging, mein letztes Soloalbum Memory Almost Full aufzunehmen, freute ich mich zwar riesig darauf, ins Aufnahmestudio zu gehen. Aber dann dachte ich auch daran, dass ich wieder mit all diesen Leuten in einem Konferenzzimmer säße, wenn ich es bei der EMI veröffentlichen würde, die eigentlich eine großartige Plattenfirma ist. Und man würde mir wieder von oben herab sagen, dass man zuerst einmal ein halbes Jahr lang Marktforschung betreiben müsse, um zu wissen, wie man die neue Platte überhaupt vermarkten kann. Das wäre der Tod dieses Albums gewesen. Die pure Langeweile. Obwohl es bei den Aufnahmen so gut gelaufen ist.

KW: Also mal besser die Reißleine zu ziehen? 

Paul McCartney: Ja, als das Album fertig war, gab mir jemand den Tipp, es doch besser bei den Starbucks-Leuten zu veröffentlichen. Und das Erste, was ich von ihnen zu hören bekam, als sie mich im Studio besuchten, war, dass sie die Musik auf Memory Almost Full mögen. Das war großartig. Denn es hat nur dann Sinn, mit einer Plattenfirma zu arbeiten, wenn sie deine Musik schätzen. Das hilft enorm. Also entschloss ich mich, meine Platten künftig lieber bei einem Indie-Label zu veröffentlichen, wo neue hungrige Leute mit neuen frischen Ideen arbeiten. Und ich glaube, es war die richtige Entscheidung.

KW: Paul, vielen Dank für unser Gespräch.

Paul McCartney: Oh, es war mir Vergnügen.

The Fireman „Electric Arguments“, MPL Communications, 2008

(Erstveröffentlicht in now!, Nr. 74, Dezember 2008/Jänner 2009, überarbeitet im April 2022)

Grüssie Herr Klaus! – Kurt Ostbahn

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Als Kurt Ostbahn alias Willi Resetarits eine personalisierte CD für mich signierte.

Als Kurt Ostbahn alias Willi Resetarits anno 2002 eine treffend Kurtiositäten benannte Raritätensammlung seiner Rock’n’Roll-Jahre veröffentlichte, war ich Herausgeber und Chefredakteur eines Musikmagazins und hatte eines Tages wie wohl alle anderen Musikredakteure im Lande ein ganz besonderes Präsent in der Post: Eine dem originalen Albumcover nachempfundene, quasi personalisierte Edition der Ostbahn’schen „Kurtiositäten“-CD – eine coole Idee, die Freude machte.

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Später habe ich Kurt Ostbahn alias Willi Resetarits endlich einmal zum Interview getroffen,  paradoxerweise erst dann, als er gerade die beiden letzten Ostbahn-Platten Wann die Musik… vuabei is mit den genialen Songtexten vom leider viel zu früh verstorbenen Ostbahn-Kurti-Erfinder Günter Brödl aufgenommen hatte.

Unser Gespräch im sonnigen Burgenland bestätigte in jedem seiner Sätze, was eh kein Bestätigung mehr bedurft hätte – was für ein  herzensguter, liebenswürdiger, lebensweiser, wahrhaftiger, gescheiter, politisch wacher und sozial engagierter Mann dieser Willi Resetarits ist, und was für ein grandioser, leidenschaftlicher beseelter Sänger noch dazu. Reif für höchste heimische Würden und Ehrungen, weil quasi „Österreichisches Weltkulturerbe“.

Die CD mit der persönlichen Widmung von Kurt Ostbahn ist über die Jahre ins Regal gewandert. Als jetzt die Nachricht von Willi Resetarits Ableben Österreich erschütterte, habe ich sie rausgeholt, wieder gehört und getrauert um diesen wunderbaren Menschen. Seine persönliche Widmung freut mich noch heute riesig:  Grüssie Herr Klaus! – Kurt Ostbahn. Es war mir eine Ehre, Herr Kurt! Lieber Willi Resetarits, Ruhe in Frieden.

B-logbook: 24.04.2022: Addio, Willi Resetarits!

Willi Resetarits alias Kurt Ostbahn ist überraschend verstorben!

Schrecklich! Und so traurig! Das plötzliche Ableben von Willi Resetarits alias Kurt Ostbahn im Alter von nur 73 Jahren hinterlässt keine Lücke, sondern einen gigantischen Krater. Ein ganz Großer und Guter ist nicht mehr da. Ruhe in Frieden, lieber Willi Resetarits.

Ich hoffe, Du triffst da oben auf den viel zu früh verstorbenen Günter Brödl, Dein kongeniales Ostbahn-Kurti-Alter-Ego und Ihr könnt Euer Rock-and-Roll-Wiedersehen zelebrieren.