Record Collection N° 124: Bruce Springsteen „The Promise” (Columbia Records, 2010)

Diese mehr als 30 Jahre lang offiziell unveröffentlichten Songs sind eine Art Heiliger Gral in Bruce Springsteens Schaffen.

Es gibt sie also wirklich all diese Songs, die Bruce Springsteen 1977 alle für sein viertes Studioalbum Darkness On The Edge Of Town mit der E Street Band eingespielt hat. Und es dürften in den Archiven davon noch mehr zu finden sein. Nachdem Springsteen 1975 mit dem epochalen Longplayer Born To Run künstlerisch und kommerziell der große Durchbruch gelang, schlitterte der 26-jährige Musiker überraschend in eine Krise. Ein Rechtsstreit mit seinem Manager Mike Appel hinderte ihn über ein Jahr lang, neue Songs aufzunehmen. Als Springsteen die Kontrolle über sein Werk zurück gewann, hatte sich in seinen eng beschriebenen Notizbüchern eine Vielzahl von neuen Songs angesammelt, die er nun, wie im Rausch mit der E Street Band im Studio aufnahm.

Bruce Springsteen selbst notiert im begleitenden Essay zu The Promise, dass damals Material für vier Alben aufgenommen wurde, ehe er die zehn Songs für das im Juni 1978 veröffentlichte Darkness On The Edge Of Town auswählte. Einige der nicht verwendeten Lieder landeten auf späteren Alben (Sherry Darling etwa auf The River), andere wie Fire oder Because The Night wurden Hits für andere Künstler (Pointer Sisters, Patti Smith).

Das 2010 veröffentlichte Doppelalbum The Promise, das es allein stehend und als Kernstück der aufwändigen, amtlichen Werkausgabe The Promise: The Darkness On The Edge Of Town Story mit 3CDs und 3 DVDs gab, ist mit seinen 21 bislang unveröffentlichten Songs eine Art Heiliger Gral in Bruce Springsteens Schaffen.

Das 2010 veröffentlichte Doppelalbum The Promise, das es allein stehend und als Kernstück der aufwändigen, amtlichen Werkausgabe The Promise: The Darkness On The Edge Of Town Story mit 3CDs und 3 DVDs gibt, ist mit 21 bislang unveröffentlichten Songs eine Art Heiliger Gral in Bruce Springsteens Schaffen. Es handelt sich um keine Ausschussware handelt, sondern um erstklassigen Stoff. Für The Promise wurden nicht einfach Outtakes aneinandergereiht, es handelt sich tatsächlich um ein eigenes, für sich stehendes Album, das der Boss damals zwischen Born To Run und Darkness On The Edge Of Town hätte veröffentlichen können.

Aus der Distanz und mit der Kenntnis von Springsteens weiterer künstlerischer Entwicklung, hatte er damals Recht, auf das bei aller Schwermut doch oft romantisch schwelgende Born To Run das düstere Darkness On The Edge Of Town folgen zu lassen. Mit all den in grobkörnigem Schwarzweiß gehaltenen Songs vom fordernden harten Alltagsleben normaler Leute, ihren unerfüllten Hoffnungen und geplatzten Träumen. Der schier romantische, überschwänglich poppige Rhythm & Blues und Rock & Soul und die vielen Liebesromanzen von The Promise hätten seine künstlerische Karriere wahrscheinlich nie so vorantreiben können, wie der von ihm gewählte radikale Bruch. Dennoch hätten zu jener Zeit gerade Fire oder Because The Night, vielleicht auch das von Springsteen für The Promise jetzt neu eingesungene Save My Love, seine ersten großen Hits in den Charts hätten werden können.

Als die hoffnungsfrohe, helle Seite des tristen, düsteren Darkness On The Edge Of Town ist The Promise ein umwerfender Hörgenuss. Eine vor tollen Popsongs nur so überquellende Jukebox, in der wie schon zuvor auf Born To Run lustvoll Springsteens prägende Einflüsse rotieren: Elvis Presley in Fire, Roy Orbison in Someday (We’ll Be Together), The Brokenhearted oder Breakaway. Buddy Holly in Outside Looking In, Manfred Mann in Rendezvous, Otis Redding und die Rolling Stones in It’s A Shame und Talk To Me, Phil Spector in Gotta Get That Feeling. Erst gegen Ende fährt auch The Promise auf dem endlosen Highway Richtung Schattenseite und gipfelt im grandiosen, hochdramatischen Titelsong. Über dreißig Jahre später konnte man diese Hochkaräter endlich in bester Soundqualität hören. Bruce Springsteen als emsigen Kurator seines eigenen Werkkatalogs sei Dank.

Bruce Springsteen „The Promise”, Columbia Records, 2010

(Erstveröffentlicht als Album des Monats in: now! N° 93, Jänner/Februar 2011, komplett überarbeitet im Juli 2023)

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