B-logbook: 19.05.2023: Wo bleibt die Sonne?

Lieder aus einer Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat: Here Comes The Sun, The Beatles, 1969.

Andersrum: Die Wettervorhersage hat schon wieder die Sonne ausradiert.

Schlag also nach bei Billie Holiday: Where Is The Sun, 1937. Oder bei den Bee Gees: “Where is the sun / That shone on my head”, Spicks And Specks, 1966.

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B-logbook: 11.05.2023: Popincourt Announces New Album

The fab French pop music genius Olivier Popincourt announced the coming of his third Popincourt album We Were Bound To Meet by revealing its cool cover, artwork by the great Serge Hoffman (of French Boutik fame), cover photo by Gerald Chabaud. As the brilliant man from Paris created not only two of my favourite albums in this millennium but for ever and a day, you can tell I’m really looking forward to his third solo record, and honestly, I’m really eager for the ten new songs on We Were Bound To Meet.

The more as Olivier, when we talked in 2020 around the release of A Deep Sense Of Happiness (our splendid interview didn’t materialize to date in a big feature I had planned, for reasons I won’t mention here) told me, that maybe he won’t record another album, because it’s too costly for what seems for him more and more like an expensive hobby. He also seemed quite frustrated that all live events and concerts powering the release of the album had been destroyed by the vicious pandemic.

But now Popincourt is back with the greatly titled album number three, and if there will some sort of crowdfunding to finance its production, I surely will join in.

Record Collection N° 319: Bruce Springsteen “Devils & Dust” (Columbia Records, 2005)

Bruce Springsteens vier Jahre nach 9/11 veröffentlichtes Album “Devils & Dust” ist seine vielleicht düsterste und unversöhnlichste Songkollektion überhaupt.

Vor der Veröffentlichung von Devils & Dust anno 2005 hatte Bruce Springsteen mit seiner „Vote For Change“-Tour die Wiederwahl von George W. Bush nicht stoppen können, aber er schob diese, wie 1982 seine Nebraska-Platte, in düsteren Sepia-Tönen gehaltene Soloplatte nach, die einem die Gänsehaut aufzieht.

Aufgenommen hatte Springsteen sein dreizehntes Studioalbum Devils & Dust ohne die E Street Band, die Lieder dafür hat er fast alle in den späten 1990er Jahren und noch früher geschrieben. Also noch vor den Terroranschlägen des 11. September, die sein 2002er Album The Rising prägten, dessen Produzent Brendan O’Brien auch bei Devils & Dust am Mischpult gesessen ist. In den mit Holperschlagzeug, Geige, Slidegitarre oder Klimperklavier spartanisch instrumentierten Songs geht Springsteen einmal mehr der Misere in den USA auf den Grund und spürt den Schicksalen der Wohlstandsverlierer nach. Zugleich ist er auf der Suche nach einem Sinn im Leben, nach einem Funken Hoffnung, nach heilender Spiritualität, nach dem Glauben an Gott. Und auch wenn da oder dort einmal ein wenig Trost aufkeimt, so dürfte Devils & Dust wohl Springsteens düsterste, unversöhnlichste Songkollektion sein.

Was man dieser überzeugenden Platte nicht antun sollte, ist, sie gegen die E Street Band und die mit ihr eingespielten Platten auszuspielen. Und behaupten, nur der akustische Springsteen sei der wahre, weil reine und tiefschürfende Springsteen. Anders als das ebenfalls akustische 1995er Soloalbum The Ghost Of Tom Joad, das (für eingängige Songs) schon mit sehr vielen Worten angefüllt war, und vielleicht besser ein Roman geworden wäre, erinnern sich die Lieder auf Devils & Dust wieder gängiger Songstrukturen und knapper, präziser Songtexte und ziehen einen voll in ihren Bann – und viele hätten auch mit der E Street Band großartig klingen können. Aber auch das modern klingende, betont sparsame,  von Springsteen an den meisten Instrumenten und Produzent Brendan O’Brien kreierte Klangbild, steht den Songs von Devils & Dust bestens. Die eindringlichsten Songs wie die düstere Storys von The Hitter und des Titelsongs, das einsame, traurige Reno, das vom Verlust einer geliebten Mutter kündende Silver Palomino, das melancholische Black Cowboys, das bewegende Flüchtlings/Immigrantendrama Matamoros Banks, sowie die leichtherzigeren All I’m Thinking About, Long Time Comin‘ und Maria’s Bed haben nicht nur den Fokus auf knappe, präzise Geschichten mit Springsteens erster grandioser Soloplatte Nebraska von 1982 gemein. Devils & Dust strahlt trotz des Wissens, dass diese Welt für viel zu viele Menschen eine verdammt schlechte ist, eine große, positive Kraft aus. Und es war neben The Rising Bruce Springsteens stärkstes Album seit Jahren.

Bruce Springsteen, Devils & Dust, Columbia Records, 2005

(Erstveröffentlicht in now! N° 38, Mai 2005, komplett überarbeitet im Mai 2023)

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B-logbook: 03.05.2023: Crucchi Gang – “Crucchi Gang”. LP, 2020.

Der nächste Neuzugang 2023 in meiner Plattensammlung: Crucchi Gang Crucchi Gang von 2020.Entdeckt habe ich die Crucchi Gang, muss ich gestehen, durch meine jüngere Tochter. Das famose Debütalbum der Piefke-Gang stammt von 2020. Ende Mai dieses Jahres erscheint dann die zweite LP mit dem schönen Titel Fellini, die ich naturalmente bereits vorbestellt habe.

Die Crucchi Gang ist eine Deutsch-Italienische-Freundschaft der besonderen Art unter der Regie von Mastermind Francesco Wilking. Zum einen gibt sehr feine originale Songs von Künstlern wie Von wegen Lisbeth, Thees Uhlmann, Sven Regener/ Element Of Crime, Isolation Berlin, Clueso oder Faber beherzt ins Italienische übersetzt und gesungen. Zum andern überrascht Francesco Wilking selbst mit einem Knüller: Bilderbuchs Bungalow als sanft groovender, lässiger Italo-Pop, und ganz groß auch die unvergessene, viel zu früh verstorbene Françoise Cactus (von Stereo Total) mit Trios italisiertem Neue-Deutsche-Welle-Klassiker La La La Io No Ti Amo Non Mi Ami Aha Aha Aha. Tutto perfetto.

B-logbook: 21.04.2023: Everything But The Girl – “Fuse”. Album.

Next new addition to my record collection in 2023: Everything But The Girl’s first new album Fuse after a break of 24 years is no mere nostalgic comeback record. But a blinding manifestation of the skills and class of chanteuse deluxe Tracey Thorn and her partner Ben Watt, electronic beat, and music genius. Together the simpatico duo makes the most wonderful modern pop music writing, singing, and playing superb songs – together again. Just listen to Nothing Left To Lose, Run A Red Light or Lost and you know what I‘m talking about.

Record Collection N° 318: Al Green “Everything’s OK” (Blue Note Records, 2005)

Der legendäre Soul-Prediger Al Green setzte 2005 sein grandioses Comeback mit dem himmlisch schönen Album „Everything’s OK“ fort.

Al Green scheint in direktem Kontakt mit Gott, dem Herrn, zu stehen, so es ihn gibt. Anders lässt sich sein grandioses Comeback, begonnen mit dem himmlischen 2003er Album I Can’t Stop und fortgesetzt mit dem ebenso himmlischen Longplayer Everything’s OK, kaum erklären.

Der damals fast 60-jährige Al Green hat die zwölf Songs von Everything’s OK anno 2005 erneut in Memphis mit dem damals schon 76-jährigen Produzenten Willie Mitchell eingespielt, der bereits in den frühen 1970er Jahren sein kongenialer Partner war, bei wundervollen Hits und makellosen Alben wie Let’s Stay Together und Tired Of Being Alone. Und sie sind fast alle so überirdisch schön, dass nachfolgende Soulsänger-Generationen sich kollektiv aus Respekt bekreuzigen müssten.

Ob der Soulschmeichler nun im Titelsong, in Nobody But You oder Build Me Up mit einem eleganten, funkigen Groove und schneidigen Bläsersätzen das Tempo ein wenig anzieht oder in Zeitlupenballaden wie You Are So Beautiful (Billy Prestons unsterbliches Liebeslied), in Perfect To Me oder Real Love seiner Seelenekstase freien Lauf lässt: Al Greens honigsüße Stimme, seine ganze Stimmbanderotik klingt so betörend und supersensitiv wie eh und je. Als Jesus Lazarus von den Toten auferweckte, hat er ihm vielleicht Everything’s OK vorgespielt. 

Al Green Everything’s OK, Blue Note Records, 2005

(Erstveröffentlicht in now! N° 36, März 2005, komplett überarbeitet im April 2023)

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Record Collection N° 317: Al Green “I Can’t Stop” (Blue Note Records, 2003)

Die Welt hatte ihn wieder: Nach vielen Gospelplatten und modernistischen Soundversuchen war Soul-Prediger Al Green anno 2003 wiedervereint mit seinem alten klassischen Produzenten Willie Mitchell. Möge seine Stimme nie verstummen.

Ich bin befangen. Nicht nur, dass ich praktisch jede Soul-Platte von Al Green besitze und liebend gern höre, bin ich von diesem Mann auch einmal Ende eines Interviews, zu dem er glücklich lächelnd Stunden zu spät erschienen ist, gesegnet worden. Damals war gerade Al Greens erste weltliche Soul-Platte nach vielen Jahren erschienen. Jahre, in denen Green als Kirchenoberster und Prediger in Memphis, Tennessee, seiner eigenen Full Gospel Tabernakel Church vorstand, und seine süße, einschmeichelnde Samtstimme und unvergleichliche Stimmbanderotik nur noch in Gottes Dienst stellte. Der angebliche Grund: Mitte der 1970er, auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, als Al Green wohl der beste und nach zahlreichen wunderbaren Hits wie Tired Of Being Alone und Let’s Stay Together auch der erfolgreichste Soul-Sänger war, soll sich eine eifersüchtige Freundin vor seinen Augen erschossen haben, es gibt aber auch andere schreckliche Versionen. Für den Sänger jedenfalls ein Zeichen Gottes, sein Lotterleben schleunigst zu ändern.

Das 1993 aufgenommene, leicht modernistische Album Don’t Look Back hatten die Musiker der Fine Young Cannibals und jüngere Dancefloor-Produzenten für Green geschrieben und produziert. Für das nach einer weiteren zehnjährigen Soul-Pause aufgenommene Album I Can’t Stop hat sich Al Green mit seinem Entdecker und Mentor Willie Mitchell, dem 75-jährigen Produzenten und Co-Autor seiner alten Songs und Platten zusammengetan, und mit  vielen seiner früheren Musiker wie den Hodges-Brüder an Gitarre und Bass zusammengetan und in Mitchells Studio in Memphis die neuen Songs geschrieben und gesungen.

Angefangen beim magischen Titelsong klingt I Can’t Stop wundersamer Weise so, als wäre die Zeit so um 1974 herum stehen geblieben. Die herrliche Stimme von Al Green hat kaum gelitten,  und Mitchell und seine Studioband versorgen sie mit dem nötigen, sanften, funkigen Groove, heißen Gitarren-Licks, knackigen Bässen, fetten Drums und schneidigen, glühenden Bläsersätzen. Und wenn Al Green nach den ersten fünf Songs, von denen eh schon einer schöner als der andere ist, umgarnt von hingehauchten Frauenstimmen und zartesten Streichern Not Tonight anstimmt und in ein sagenhaftes Liebessäuseln verfällt, ist man wieder mitten im siebten Soul-Himmel. Soul-Ekstase pur. Manna für die Seele.

Al Green I Can’t Stop, Blue Note Records, 2003

(Erstveröffentlicht in now! N° 23, November 2003, komplett überarbeitet im April 2023)

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Record Collection N° 69: The Go-Betweens „Oceans Apart” (Tuition Records, 2005)

Das letzte Album der Go-Betweens ist so gut wie ihren alten Klassiker, vielleicht sogar ihr allerbestes, aber auch ihr letztes, da die eine kreative Hälfte der australischen Band, Grant McLennan 2006 verstorben ist, und seinen kongenialen Partner Robert Forster allein zurückließ.

Nach ihrem spröden, unfertigen Debüt Send Me A Lullaby von 1981 haben TheGo-Betweensab ihrem zweiten Album Before Hollywood (1983) ausnahmslos gute bis sehr gute Platten aufgenommen. Platten wie Spring Hill Fair (1984), Liberty Belle And The Black Diamond Express (1986) und Tallulah  (1986) zählen nicht nur zu den besten Indie-Gitarrenpop-Platten der 1980er, sie kennen kein Ablaufdatum und sind mit den Jahren weiter gereift wie edler Wein. Die Hitparaden kennen die Go-Betweens aber nur vom Hörensagen, sie sind immer eine Kultband geblieben, ignoriert von den meisten, über alles geschätzt und geliebt von ihrer kleinen, treuen Fan-Gemeinde. Vielleicht ist ja gerade das der Grund, warum The Go-Betweens so lange ungestört gute Platten machen konnten. Weil die Verlockungen des großen Geldes und die Machenschaften des Musikgeschäfts die Band kaum einmal in Versuchung geführt oder unter Druck gesetzt haben. Erst als nach fünf Alben mit 16 Lovers Lane (1988) erstmals größerer Erfolg an die Tür klopfte, und sie R.E.M. auf deren großer Green-Tournee als Vorband begleitet hatten, fühlten sich The Go-Betweens ausgebrannt und trennten sich im Dezember 1989. Auch weil Forster und McLennan vielleicht mal etwas Abstand voneinander brauchten und lieber an Soloprojekten arbeiteten.

The Go-Betweens hatten in Robert Forster und Grant McLennan zwei unterschiedliche, sich aber ideal ergänzende Songschreiber. Der eine kühl-grübelnd, geistreich mit Worten spielend und zu nervösen, angespannten Melodien und Rhythmen tendierend. Der andere ein emotionaler Romantiker mit Hang zu sehnsüchtigen, herzwärmenden Liedern. Getrennt schreibend, spornten sie sich wechselseitig zu Höchstleistungen an. Ein Forster-Song wird immer ein Forster-Song bleiben und ein McLennan immer als McLennan erkennbar sein, und doch sind die Lieder auf den Platten der Go-Betweens anders und besser als auf ihren Solowerken. Wohl weil die beiden ihre Stücke gemeinsam überarbeiteten, ergänzten und anreicherten, bis sie schließlich zu richtigen Go-Betweens-Songs wurden. So soll zum Beispiel auf Oceans Apart Robert Forster Grant McLennan für die glücksverheißende Melodie von Finding You einige seiner Textzeilen hergegeben haben oder umgekehrt.

Die Anfang der 2000er Jahre eingeläutete Auferstehung der Go-Betweens war jedenfalls eines der ganz wenigen Band-Comebacks im Pop, das nicht nur nostalgischen Gefühlen oder finanziellen Zwängen entsprang, sondern künstlerisch florierte wie nur was. Schon die beiden vorangegangenen Platten konnten mit den alten Platten mithalten. Die erste, The Friends Of Rachel Worth (2000), noch ein vorsichtiges Herantasten und Wiederzusammenwachsen, die zweite, Bright Yellow Bright Orange (2003), schon ein vollblütiges Bandalbum.

Und dann Oceans Apart, eine wunderbare Platte. Mit zehn praktisch perfekten Liedern, die in knapp vierzig Minuten Jugenderinnerungen, Liebesaffären und persönliche Befindlichkeiten jenseits der Lebensmitte vermessen. Aufgenommen in London, inspiriert vom kulturellen Tempo der Metropole. Waren die beiden Vorgänger eher ländliche Folkrock-Platten, so spielt Oceans Apart in einer deutlich urbaneren Klangarchitektur, für die wieder Mark Wallis als Produzent am Mischpult saß, der schon 16 Lovers Lane (1988), ihre superbe letzte Platte vor der langen Pause produziert hatte.

Die vielschichtigen Klangtexturen fügen den Songs wesentliche Nuancen hinzu: abgehackte Stromgitarrenriffs, jazzige Bläser, elektronische Sperenzchen und hübsch schimmernde Akustikgitarren. Alles höchstambitionierter, hochqualitativer Pop. Die neuen Go-Betweens-Lieder sind fast alle irgendwohin unterwegs: Vom Vorortzug nach Frankfurt, wo Leute, die Dostojewski lesen auch wie Dostojewski aussehen (Here Comes A City) zur Künstlerszene von Sydney Anfang der 1980er (Darlinghurst Nights). Von Forsters Arbeiterfamilie-Elternhaus (Born To A Family) zu  McLennans ländlicher Jugend (Boundary Rider). Von einer alten, gebrochenen Beziehung, deren Wunden erst nach vielen Jahren verheilen (No Reason To Cry), zu einer faszinierenden neuen Frau: „Everybody said that she’s good in bed / Other people said that she’s well read“ (Lavender). Von einer verzauberten Berglandschaft (Mountains Near Dellray) zu einem verblüffenden Glaubensbekenntnis (Finding You), das die magische Formel der Go-Betweens zu enthalten scheint: „Don’t know where I’m going / don’t know where it’s flowing / but I know it’s finding you.“ Treffender kann man es nicht sagen, schöner sowieso nicht.

The Go-Betweens Oceans Apart, Tuition Records, 2005

Erstveröffentlicht im Mai 2005 als Album des Monats in now! N° 38, komplett überarbeitet im April 2023.

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Record Collection N° 45: Al Green “Lay It Down” (Blue Note Records, 2008)

Der Soul-Prediger jubiliert und schmachtet auf seinem bislang letztem Studioalbum wie in seinen besten Jahren. Weil seine Stimme nichts von ihrer Brillanz verloren hat, und er fest in seinem Glauben an die irdische und die himmlische Liebe verankert ist.

Soul-Prediger Al Green kehrte schon auf seinen ersten beiden Platten für das legendäre Jazz-Label Blue Note Records vom Gottesdienst zurück zu irdischeren Herzens- und Liebesdingen. Also zum bewährten Memphis-Soul-Sound seiner 1970er-Hitalben wie Let’s Stay Together (1972) und I’m Still In Love With You (1972), die er mit dem Produzenten Willie Mitchell für dessen Plattenfirma Hi Records aufgenommen hat. Da Mitchell wieder höchstpersönlich an den Mischpultreglern drehte und viele der alten Musiker von früher mit im Studio waren, funktionierten sowohl I Can’t Stop (2003) als auch Everything’s OK (2005) prächtig, vor allem, auch weil Al Greens Stimme nichts von ihrer Brillanz verloren hatte. Nach Jahren des Irrlichterns hatte der Soul-Sänger seine Muse wiedergefunden, beide Platten wurden zurecht hoch gelobt.

Sein 2008 veröffentlichtes, vorerst letztes Studioalbum Lay It Down ist sogar noch besser geworden. Wir hören seinen allerfeinsten herzwärmenden, seelemassierenden Soul – im Namen der Liebe. Wo die beiden Vorgängeralben aber nur zaghaft versuchten, etwas zu modernisieren, wirkt Lay It Down nicht mehr wie aus der Zeit gefallen. Statt Willie Mitchell fungiert dieses Mal nämlich mit Ahmir „?uestlove“ Thompson, dem Schlagzeuger der HipHop-Experten The Roots, ein viel jüngerer Musikus als Produzent. Er sorgt mit Keyboarder James Poyser (Erykah Badu), Bassist Adam Blackstone (Jill Scott) und den Bläsern der Dap-Kings (Sharon Jones, Amy Winehouse) für einen modernen und zugleich klassischen Soul Sound. Auch Al Greens jüngere Duett-Partner, die Neo-Soul-Stars Corinne Bailey Rae (Take Your Time), John Legend (Stay With Me) und Anthony Hamilton (You’ve Got The Love I Need) fügen sich wunderbar ein ins stimmige Klangbild, besonders schön Al Greens Duett mit Corinne Bailey Rae.

Die elf neuen Songs sind definitiv in Reichweite von Al Greens 1970er Klassikern wie Let’s Stay Together oder Tired Of Being Alone. Schon der Titelsong, der das Album im Duett mit Anthony Hamilton eröffnet, glüht beseelt wie nur was: Über zarten E-Gitarren-Licks, sehnsüchtigen Orgelseufzern, delikaten Streicher- und Bläser-Arrangements schmachtet Al Green wie kein Zweiter. Seine unwiderstehliche Stimme gleitet mühelos zwischen tieferen Lagen und luftigen Falsetttönen hin und her. Auch No One Like You, Take Your Time oder All I Need zeigen den Soul-Prediger von seiner allerbesten Seite. Alles in allem zählt Lay It Down – makellos gesungen, großartig musiziert, voll mit superben Songs – wohl zu Al Greens fünf, sechs besten Longplayern, und das will etwas heißen. Da original alter bzw. nach alt klingender Soul, ob von Amy Winehouse Duffy, Rumer oder Sharon Jones, bei Erscheinen von Lay It Down wieder einmal Saison hatte, hätten vielleicht auch jüngere Semester den Soul Man, den Preacher Man Al Green neu für sich entdecken können. Das ist nicht wirklich passiert. Es wäre ihr Gewinn gewesen.

Al Green Lay It Down, Blue Note Records, 2008

(Erstveröffentlicht in now! N° 70, Juli/August 2008, komplett überarbeitet im April 2023)

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Record Collection N° 20: Al Green “Greatest Hits” (Hi Records, 1975)

Al Green’s Greatest Hits: The Reverend sings in the name of love. If someone asked me, what is soul music, I would play her or him this wonderful collection for an answer.

If somebody would ask you „What is soul?“, this wonderful collection of Al Green’s classic 1970s recordings is the answer above all other answers to that question. Whether Tired Of Being Alone, Sha La La (Make Me Happy), Let’s Stay Together, I’m Still in Love With You, Call Me (Come Back Home) or How Can You Mend A Broken Heart – an enchanting rendition that even tops the Bee Gee’s delightful original version – Al Green jubilates and croons incomparably in the name of love and for heaven on earth.

His musical career gathered pace at the end of the 1960s, when Willie Mitchell, a record producer in Memphis, Tennessee, signed Al Green for his label Hi Records and coached him to find his own soul voice as a singer, after years of trying to sing in the vein of soul greats like Sam Cooke, Wilson Pickett, or James Brown. Mitchell also assorted a bunch of great musicians, rhythm & blues veterans all, in his own Royal Recording Studios to back Al Green. With hits like the ones named above and marvelous albums like Al Green Gets Next You, Let’s Stay Together, I’m Still In Love With or Call Me Green and Mitchell hit the mother lode. In the early 1970s Al Green was the best and biggest soul singer of them all.

After personal problems and tragedies Al Green abdicated profane, lascivious soul music and vowed to sing only religious gospel songs further on. He founded his own “Church Of The Full Gospel Tabernacle” in Memphis and became a reverend and preacher man. He still is. But during the 1990s and 2000s Green changed his mind and started recording again more earthly, more openly erotic soul albums. The excellent Lay It Down from 2008 being the last one so far. But his great singing voice is still in full effect, so he’s playing some concerts every now and then.

What a grand soul man and fascinating preacher man Al Green is. When I had the chance to interview him once in a hotel suite in Munich, he showed up very late, because he went for a walk and kind of got lost. But when he finally arrived, everything went fine. It was a great, moving experience being in his presence and talking with him about his songs and his vocal artistry. And whether he sings in his songs about human or divine love. It’s both, he said. Then Al Green even sang some of the marvelous songs that appear on this super fine compilation most beautifully in my microphone. Just for me. And at the end of our talk he even gave me his blessing. And I guess his blessing chaperons me till today. Amen.

Al Green Greatest Hits, Hi Records, 1975