Record Collection N° 161: John Lennon & Yoko Ono “Double Fantasy” (Geffen Records, 1980)

„Double Fantasy“ war das letzte Album von John Lennon, das kurz vor seinem Tod veröffentlicht wurde, und das er sich mit Yoko Ono, der Liebe seines Lebens, teilte. Eine Herzensangelegenheit.

Double Fantasy war John Lennons erstes Album nach fünf Jahren, in denen er sich als Hausmann ins Dakota Building In Manhattan zurückzog, den Haushalt führte, makrobiotisch kochte und sich um ihrer beiden kleinen Sohn Sean Ono kümmerte, während Yoko Ono in ihrem Büro ein paar Stockwerke weiter unten Geschäfte machte. Die Kritiken für Double Fantasy waren als am 17. November 1980 im United Kingdom und in den USA veröffentlicht wurde, nicht gerade berauschend. Vor allem, weil es sich nur um ein halbes neues Album von John Lennon handelte, da Lennon sich das Album mit Yoko Ono, der Liebe seines Lebens, teilte. Auf der Innenhülle der Platte stand über den abgedruckten Songlyrics: DOUBLE FANTASY – A Heart Play by John Lennon & Yoko Ono.

Auf jeden der sieben Songs von John folgte einer von Yoko, teils direkte Antworten auf den Song von John davor. Mit Hard Times Are Over, hat Yoko, die John “Mutter” nannte, das letzte Wort auf Double Fantasy. Im Roman Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens (2020) des US-Autors Tom Barbash, einer spannenden Mischung aus Realem und Erfundenem, lebt der junge Ich-Erzähler mit seiner Familie im Dakota Building, wo John Lennon und er Freunde werden. Über Double Fantasy denkt der junge Mann so: „Es hieß so, weil er und Yoko wollten, dass das Album nur zur einen Hälfte aus seinen Songs bestand und zur anderen aus ihren. Ich war nicht der Einzige, den diese Neuigkeit enttäuschte.“

Dem deutschen Autor Frank Goosen geht es in seiner Beatles-Huldigung in der KiWi-Musikbibliothek (2020) ähnlich: „Auf der Platte wechselten sich Songs von John Lennon und Yoko Ono ab. Ich kann nicht sagen, dass mich das begeisterte.“ Weil Goosen die Songs von John Lennon auf Double Fantasy aber toll fand, stellte er nach Erscheinen des 1984 posthum veröffentlichten Albums Milk and Honey, auf dem es wieder im Wechsel Stücke von John und Yoko gab, eine Seite einer C90-Cassette mit allen John Lennon Songs von beiden Platten zusammen. Heute hätte er, so schreibt Goosen, diese Lennon 80 Playlist immer noch auf seinem iPhone.

Natürlich habe ich so etwas auch versucht, und eine Playlist mit den sieben Lennon-Songs von Double Fantasy und den sechs Lennon-Songs von Milk and Honey, darunter starke Stücke wie I’m Stepping Out, Nobody Told Me oder Borrowed Time und die berührend fragile Klavierballade Grow Old With Me, zusammengestellt. Mit diesen dreizehn Songs wäre Double Fantasy wohl ein klasse Comeback-Album von John Lennon geworden. Und zugleich ein hell strahlendes Signal in Richtung einer würdigen Zukunft, wenn nicht geschehen wäre, was am 8. Dezember 1980 geschehen ist. Aber Lennon wollte so ein Comeback-Album eben nicht. Und ich muss zugeben, beim Hören meiner Lennon 1980-Playlist, in der ich am Ende auch noch seine Double-Fantasy-Songs in der Stripped-Down-Version von 2010 drangefügt habe, fehlt mir Yoko Onos oft hysterischer (in Kiss Kiss Kiss echt orgiastischer) Avantgarde-Pop dann doch – irgendwie.

In ihrer tiefenentspannten Gelassenheit und liebevollen Sanftheit waren John Lennons Songs und das konsequente des Double-Fantasy-Konzepts aber ebenso radikal, wie die Beatles wegen Yoko in die Luft zu sprengen, danach zum friedensbewegten Power-To-The-People-Agitator zu werden und auf seinem ersten richtigen Soloalbum in einer musikalischen Psychotherapie seine Seelenqualen bloßlegte.

Mit dem modernen amerikanischen Rockmusik-Produzenten Jack Douglas (Cheap Trick, Aerosmith) und Topmusikern wie den Gitarristen Earl Slick (David Bowie) und Hugh McCracken (Steely Dan, Billy Joel, Paul McCartney), dem Bassisten Tony Levin (Peter Gabriel, Paul Simon, Lou Reed) oder dem Schlagzeuger Andy Newmark (Roxy Music, Pink Floyd, David Bowie) führte John Lennon auf Double Fantasy die schon mit dem 1973er Album Mind Games begonnene Amerikanisierung seines Sounds konsequent fort.

Viele seiner Songs auf Double Fantasy und Milk and Honey schrieb John Lennon nach einem gefährlichen Segel-Turn, der seine kreativen Kanäle wieder geöffnet hatte, auf den Bahamas. Lennons Lyrics lesen sich wie schon seit Beatles-Zeiten oft wie Tagebucheintragungen. Im modernisierten Doo-Wop von (Just Like) Starting Over passiert genau das, was der Songtitel sagt. In Watching The Wheels bekennt er, dem Weltentreiben jetzt mal gelassen zuzusehen. Im so kraftvoll wie seine früheren Soloplatten rockenden I’m Losing You, gesteht er, Yoko untreu gewesen zu sein. Woman ist eine von Herzen kommende Liebeserklärung an Yoko und die Frauen der Welt, eine beachtliche Wandlung für den misogynen Macker, der Lennon früher gewesen sein soll. Im funky Rhythm & Blues-Kracher Cleanup Time besingt John seine und Yokos neue Häuslichkeit. Im beschwingten Dear Yoko beschwert er sich aber, dass Yoko zu wenig Zeit mit ihm verbringe. Im wunderbar frohen Wiegenlied Beautiful Boy (Darling Boy) singt Lennon nicht nur eine seiner besten Textzeilen („Life is what happens to you while you‘re busy making other plans“), er deklariert auch seine grenzenlose väterliche Liebe für seinen und Yokos Sohn Sean, eine väterliche Liebe, die John selbst nie kennengelernt hatte.

Nicht wenige Kritiker verrissen Double Fantasy, als es 1980 veröffentlich wurde. John Lennons Ermordung nur drei Wochen später änderte die Einschätzung (und auch den kommerziellen Erfolg) der Platte schlagartig. Und je mehr Zeit vergeht, desto heller strahlt die Schönheit von Double Fantasy, und ehrlich noch mehr jene von John Lennons Liedern auf der Platte.

Ich habe mit Sicherheit keine andere Platte so oft ohne Pause gehört wie Double Fantasy, in den Wochen nachdem John Lennon so tragisch ums Leben gekommen ist. Vielleicht auch weil ich unterschwellig dachte, die schreckliche Tat vom 8. Dezember 1980 so ungeschehen machen zu können.

John Lennon & Yoko Ono Double Fantasy, Geffen Records, 1980

© Double Fantasy Pics photographed by the author