Nach seinem Welthit „A Girl Like You“ entscheidet sich der schottische Indie-Pop-Kultstar dafür, mal wieder bestens schlecht gelaunt zu.
1985 trennte sich Orange Juice, Edwyn Collins schottische Punk- und New Wave Band, die seit Ende der 1970er Jahre mit hinreißendem Indie-Gitarrenpop brillierte, aber letztlich ohne große Erfolge unterging, die super funky Single Rip It Up mal ausgenommen. Edwyn Collins machte solo weiter, doch auch er entkam dem brotlosen Kultstar-Status nicht. Selbst das formidable, im Herbst 1994 veröffentlichte Album Gorgeous George, wäre, obgleich es erstklassige Kritiken bekam, schnell in der Versenkung verschwunden. Aber ein belgischer Radio-DJ legte schließlich die ausgekoppelte Single A Girl Like You pausenlos auf. Der Rest ist Popgeschichte: A Girl Like You wurde der weltweite Hit, den Edwyn Collins sich Zeit seiner Karriere immer schon verdient hätte. Danach hat der Schotte sein Bankkonto saniert, ein neues Studio eingerichtet und am Album nach dem großen Hit gearbeitet.
Keine leichte Aufgabe. Collins nutzte die zwölf Songs zu einer Standortbestimmung, formulierte ein Bulletin zur eigenen Befindlichkeit und – eine bitterböse Abrechnung mit der Plattenbranche. Nicht umsonst lautet der Albumtitel I’m Not Following You. Nicht einfach als Gag wird am Ende des Titelsongs, der den Abschluss der Platte bildet, eine Herde von Schafen von Maschinengewehren niedergemetzelt. Keep On Burning, Edwyns letzte, schmählich gefloppte Single, die den Erfolg von A Girl Like You hätte wiederholen sollen, ist hier, im Gegensatz zur englischen Albumversion, gar nicht enthalten. Das macht durchaus Sinn. Statt der kurzfristigen Euphorie hat bei Collins nämlich eine merkliche Abgeklärtheit Platz gegriffen, gepaart mit bitterer Sturheit und nostalgischer Sentimentalität.
Edwyn Collins wurde mit I’m Not Following You noch mehr zum starrsinnigen Eigenbrötler,der unter Berufung auf vergangene, natürlich bessere Tage die modernen Zeiten geißelte, die Britpop-Hysterie und sonstige Modetorheiten angiftete und sich partout weigerte, ein neues A Girl Like You zu produzieren. So sehr man seine Geradlinigkeit schätzt – er wirkte damit in Songs wie Adidas World wie ein in die Jahre gekommener Mann, der die Welt nicht mehr verstehen will oder nicht mehr verstehen kann. Nur weil Edwyn Collins seiner obersten Maxime, gute Songs mit schönen Melodien zu schreiben, treu geblieben war, ist seine phasenweise schon unerträglich schlechte Laune auszuhalten.
I’m Not Following You ist ein unspektakuläres, kompromissloses Popalbum, wie es anno 1997 niemand anderer mehr so machte. Edwyn Collins hat die meisten Stücke allein in seinem Studio eingespielt und beweist, welch handwerklich guter Produzent er im Laufe der Jahre geworden ist – mit einem feinen Gespür für gute, mitunter überraschend zeitgemäße Sounds und funky Grooves. Und einmal mehr singt er mächtig gut, er hat eine herrlich süffige Soulstimme. Die Single The Magic Piper (Of Love) ist netter Kitsch-Pop, aber nicht das beste Stück des Albums. Der auf einem heißen Hot-Chocolate-Riff groovende Auftakt It’s A Steal hat noch mehr Klasse. Gleiches gilt für den dreisten 1970er Disco-Stampfer Seventies Night, bei dem der Dauergrantler Mark E. Smith von The Fall aushilft. No One Waved Goodbye ist – überraschend – ein anmutiger, zarter Folk-Pop-Song – bezaubernd wie ein Blick in die Augen von Audrey Hepburn. Superficial Cat schleicht als geschmeidige Zeitlupenversion von A Girl Like You aus den Lautsprechern.
Mit Running Away With Myself, dem Kernstück des Albums, hat Edwyn ein echtes Meisterstück gefertigt: eine sanft und funky fließende Ballade, ein gelungenes Update des 1983er Orange Juice Hits Rip It Up, und mit ihrer Melodie selbst eiskalte Tage erwärmt. Mit ihr dockt Edwyn, leicht vergrämt zwar, letztlich doch an die Gegenwart an.
Edwyn Collins I’m Not Following You, Setanta, 1997
(Spiegel Online, 19.09.1997, komplett überarbeitet im Februar 2022)
© Not Following You Pics shot by Klaus Winninger