Das neue Album von Phoenix kam etwas zu früh für diesen Blog. Aber „Bankrupt!“ ist eine feine Sache – wenn man Phoenix schon früher mochte. Viele neue Freunde werden sich die vier Pariser damit wohl nicht mehr machen. Für mich, der ich Phoenix schon seit ihrem fabelhaften 2000er Debütalbum „United“ schätze, ist das größte Manko von „Bankrupt!“, dass es die Vinyl-LP nur solo – ohne MP3-Downloadcode als Bonus oder mit beigepackter CD – gibt. Das wird durch die Draufgabe von mehr als einer Stunde musikalischer Skizzen aus dem Aufnahmestudio in der Deluxe Edition der CD- und MP3-Versionen nicht ausgeglichen, denn viel öfter als einmal will man diese garantiert nicht hören. Meine neben Daft Punk französische Lieblingsband hat etwas Wichtiges übersehen oder vielleicht war es ja auch ihre Plattenfirma: Heutzutage ist für Musikfeinspitze das Nonplusultra bei einem neu veröffentlichten oder wieder neu aufgelegten alten Album definitiv eine Vinyl-LP mit einem ergänzenden Code für den Download der jeweiligen MP3-Dateien mit mindestens 320 kBit/s Datenrate. Diese Kombination müsste im Musikgeschäft heute unbedingt State of the Art sein, wenn man Platten kauft. Als Alternative zum MP3-Download tut es auch eine beigelegte CD. Allerdings ist diese zumindest meiner Erfahrung nach eine Rohstoffvergeudung. Nachdem ich sie in meine Mediathek geladen habe und „ready to go“ bin, spiele ich die CD kaum einmal. So war’s mit „One Day I’m Going To Soar“, dem formidablen neuen Langspieler der Dexys im Vorjahr, so läuft es heuer mit David Bowies „The Next Day“ oder „Modern Vampires Of The City“ von Vampire Weekend. Im Wohnzimmer rotieren am Plattenspieler die schweren schwarzen Vinylscheiben. Überall sonst in der Wohnung oder am Schreibtisch im Büro, unterwegs mit dem Auto oder im Zug laufen die MP3s am Laptop, iPod, iPhone, die alle eine perfekte mobile Jukebox sind.
Wenn es aber ums quasi stationäre Musikhören geht, ist die wieder wachsende Vorliebe für Vinylplatten längst nicht mehr nur auf ältere Semester beschränkt. Es ist gut möglich, dass unter den Vinylkäufern die jüngeren Musikfans inzwischen die heimliche Mehrheit sind. Vinyl-LPs geben der Musik nicht nur ihren auch durch die digitale Immaterialität verloren gegangenen Wert zurück, sie sind für die Jungen wieder cool geworden. TV-Serien wie „One Tree Hill“, in denen oft lässig Vinylplatten gehört werden, antizipierten diesen Trend. Und die aktuellen Zuwachsraten bei den jährlichen Verkäufen der Vinylscheiben belegen, dass der Vinylkult – auch wenn er wohl eine feine, eher nicht unendlich wachsende Marktnische bleiben wird – in der Realität angekommen ist. Die Plattenfirmen, vom Börsenmulti bis zur Indiefirma, würden sonst nicht von immer mehr Neuveröffentlichungen auch Vinyl-LPs pressen lassen. Dazu passt, dass der österreichische Plattenspieler-Hersteller Pro-Ject pro Monat nicht weniger als 8.000 Plattenspieler verkauft. Diese Zahl nennt Pro-Ject-Chef Heinz Lichtenegger in der New York Times. Im selben Artikel wird vermutet, dass die Zahl der 2012 allein in den USA verkauften Vinyl-LPs die in offiziellen Marktstudien genannten knapp fünf Millionen um ein Vielfaches übersteigt. Das könnte gut sein. Allein in den USA werden pro Jahr bereits wieder mehr als 25 Millionen Vinylplatten gepresst, und viele weitere in Europa und Asien. Während die CD heute so uncool und so wenig sexy ist wie Socken in Sandalen, können iTunes & Co. – was das Albumformat anlangt – der Vinyl-LP auch nichts wirklich Gleichwertiges entgegensetzen. Die Vinyl-LP ist nicht einfach nur ein Tonträger, sie ist mit allem Drum und Dran – vom Coverdesign über die großformatigen Info- und Textblätter, deren Schriftgröße man sogar lesen kann, bis zum oft ebenfalls kunstvoll gestalteten Label mitten auf der Platte – ein eigenes künstlerisches Produkt. Aber weil mobile Musik etwas ist, an das wir uns über die Jahre via Walkman, Discman, MP3-Player und Smartphones nur zu gerne gewöhnt haben, muss die Vinyl-LP von heute am besten von einem Downloadcode für die digitale mobile Jukebox begleitet werden.
Aktuelle Bespiele gefällig? „Tooth & Nail“, das wunderschöne neue Album des früheren englischen Punkrockbarden Billy Bragg. „Volume 3“ von She & Him. Daft Punks Hitplatte „Random Access Memories“, die im tollen Klappcover mit zwei superschweren Vinyl-LPs daherkommt. Und demnächst vielleicht auch „Standards“, der auf meiner Wunschliste zurzeit ganz oben stehende neue Langspieler des heute in den USA lebenden schottischen 1980er Veteranen Lloyd Cole. Denn wenn allein ein MP3-Download aus den Lautsprecherboxen oder Kopfhörern tönt, verursacht mir das als praktisch lebenslang gelerntem Plattenkäufer mitunter eigenartige Phantomschmerzen. Ich spüre einfach, dass etwas fehlt: die Vinylscheibe nämlich. Doch wenn sie gemeinsam mit einem Downloadcode für die dazugehörigen MP3s kommt, ist alles perfekt.