Der lange Atem des Analogen.
Die so erfreuliche Reparatur meines CD-Players ermutigte mich, weiterzumachen und auch ein paar andere, schon länger ramponierte, noch aus der analogen Ära stammende Musikabspielgeräte herrichten zu lassen, anstatt sie wegzuwerfen und durch Neuanschaffungen zu ersetzen. Über Jahre hinweg hatte ich gezögert und das eine oder andere Teil, zugegeben, dummerweise schon entsorgt, denkend, dass sich eine Reparatur wohl nicht mehr lohnen würde, und falls doch, wo kann man denn heute noch etwas reparieren lassen, sicher nicht in der Servicezentrale eines Elektrosupermarktes. Nun ist das, was vielleicht gar nie nötig gewesen wäre, auch in echt nicht mehr notwendig. Weil ich endlich eine probate Werkstatt gefunden habe, in der ein findiger Hi-Fi-Restaurator seine Arbeit macht. Also weiter im Reparaturprogramm, am selben Ort, mit demselben Operateur, den nächsten Patienten.
Erstens, mein alter Pro-Ject Plattenspieler. Ein billiges Einsteigermodell aus den frühen 1990ern, das ich früher in meinem Büro im Verlag stehen hatte, und das ich später, nach dem Verkauf des mit seinen Problemchen nur noch nervenden Linn Basic, daheim im Wohnzimmer aufgestellt habe. Der Pro-Ject hatte zwar auch schon einige Macken und drohte zuletzt, bald mal schlapp zu machen, aber auf ihn war immer Verlass gewesen, ich musste auf meine LPs nie verzichten und konnte sie immer hören. Einmal in die Werkstatt gebracht, ist der Plattenspieler aber schnell repariert worden und läuft nun wieder wie (fast) neu, also gut. Da ich am liebsten ja doch Vinyl-Platten höre, eine feine Sache.
Zweitens, mein zwanzig und mehr Jahre altes Tapedeck von Technics. Nicht gerade billig, in einem heute nicht mehr existierenden Hi-Fi-Shop erstanden. Spätestens seit dem Anbruch des neuen Millenniums war es aber nicht mehr einsatzfähig. Zwar machten auch meine vielen alten Audiocassetten, in ein paar Schachteln verstaut, jeden Umzug mit. Dass darauf nach all den Jahren noch etwas zu hören sein würde, konnte ich aber nur hoffen. Ich hatte darauf alte Radiosendungen aufgenommen, viele von mir selbst gestaltet, und noch mehr Musikerinterviews, die ich früher so geführt habe.
Jetzt ist das alte Tapedeck super hergerichtet und wieder im Einsatz. Nicht neu, aber es läuft richtig gut. Ich kann meine alten Audiocassetten wieder hören. Jedenfalls ist auf den allesamt zwischen zwanzig und dreißig Jahren alten Cassetten, die ich schon eingelegt und gespielt habe, noch alles zu hören, auch Radiosenderaussetzer und das mitunter nötige Umdrehen der Tapes während der Aufnahme. Wieder gefunden habe ich Sendungen der zu recht legendären Ö3-Musikbox, die immer wochentags von 15:05 bis 16:00 gelaufen ist, und die ich jahrelang praktisch täglich hörte (und öfter mal aufgenommen habe), als Tür zur großen, weiten Welt, raus der kleinkarierten Provinzenge. Zum Beispiel eine sogenannte Komplette LP, also eine ganze 55-minütige Sendung über ein Album, nämlich über Songs to Remember von Scritti Polittti vom 15.3.1984. Oder mein erster eigener Beitrag zur Musicbox vom 20. März 1986, ein Porträt des superhippen Londoner Poplabels Compact Records, das ich mit zwei Wiener Kollegen schrieb und gestaltete. Und meine Komplette LP über das Album Dare der britischen Synthiepop-Pioniere The Human League vom 8. Jänner 1987. Zwei Live Bootleg Tapes von Paul Wellers neuer Band The Style Council, im Sommer 1985 am Camden Market in London gekauft. Barbed Wire Kisses, eine Musikkassette der Lärmrocker The Jesus and The Mary Chain, mit Single-B-Seiten und anderen Raritäten. Ein Musicbox-Porträt von Alan McGees britischer Indie-Gitarren-Pop-Schmiede Creation Records, das der Musikwelt in den 1990ern die Britpop-Helden Oasis schenken sollte, vom 1.12.1988, gemeinsam fabriziert mit einem Musikbox-Redakteur, der mich anfangs wie kein Zweiter unterstützte. Meine Musicbox-Sendung zum 75. Geburtstag von Frank Sinatra am 20.12.1990 scheine ich irrtümlich überspielt zu haben, jedenfalls ist auf der fälschlich beschrifteten A-Seite der Cassette eine Sendung über Lenny Kravitz zu hören. Dafür findet sich auf der B-Seite ein Musicbox-Feature über Dub-Reggae-Legende Lee Perry vom 5.12.1990, für das ich Perry weit nach Mitternacht in der Künstlergarderobe der Münchner Theaterfabrik interviewte, vom dauerpaffenden Meister in einen dicken Ganja-Nebel gehüllt.
Wieder entdeckt habe ich auch Musikcassetten, die mir Freunde geschenkt haben, etwa einen schönen Beach-Boys-Mix oder einen Grateful-Dead-Mix, über dem ein Kumpel praktisch eine einstündige, analoge Voice Mail spricht, schon sehr avant damals, die Cassette kam per Post im Luftpolsterkuvert. In den Schachteln auch die Audiocassetten mit meinen Sendungen für das Ö3 Spezial, das bis Frühjahr 1994 (dem Jahr der Hitradio-Umstellung) immer samstags Abend ab 20:05 eine knappe Stunde lang lief. Ich produzierte für das Ö3-Spezial mit meinen Musikerinterviews u.a. Sendungen über Elvis Costello, Neil Young, Matt Johnson (alias The The) oder den legendären US-amerikanischen Soul-Sänger und Prediger Al Green, der mir beim Interview zwischendurch seine Lieder so wunderschön ins Mikrophon sang und mich zum Abschied auch noch segnete. Alles nur Nostalgie? Kann sein, darf sein, ist aber mehr. Freude, über das, was war. Romantik, die dem Digitalen abgeht? Diese Cassetten erzählen einen wichtigen Teil meines Lebens, einen Teil meiner Geschichte. Und sie sind möglicherweise ein neuer, inspirierender Impuls.
Meinen ersten Sony Cassetten Walkman gibt es heute leider nicht mehr, auch der Sony Walkman Professional, den ich mir irgendwann kaufte für die vielen Interviews, ist verschollen. Meine Interviews nahm ich später mit einem Sony DAT-Rekorder auf digitalen Cassetten und danach auf Minidiscs auf, nach Anschaffung der passenden Gerätschaften, die mitsamt den Tonträgern sicher in anderen Schachteln verstaut sind. Aber das ist dann wieder eine andere Geschichte, eine digitale.