Als Neil Diamond beim Songschreiben seine Muse gefunden hat: The Bang Years 1966-1968 bietet einen Überblick über Neil Diamonds frühes, großartiges Schaffen in den 1960ern – ein wundervoller Mix aus lebensfrohem Pop und schwermütigen Balladen.
The Bang Years 1966-1968 dokumentiert ein faszinierendes frühes Kapitel des im Jänner 1941 in Brooklyn, New York geborenen Sängers und bietet einen Überblick über Neil Diamonds Schaffen in den 1960ern. Mit den 23 hier gesammelten Songs und den ehrlichen autobiografischen Liner Notes von Neil Diamond entsteht ein bewegendes, lebendiges Porträt eines aufstrebenden, endlich etwas reißen wollenden, hungrigen Sängers und Songschreibers, der seinem Talent vertraut, und mit seinen Songs seiner inneren Leere zu Leibe rückt.
Mit 16 bekam Neil Diamond, der Sohn einer polnisch-russischen Einwandererfamilie jüdischen Glaubens, zum Geburtstag eine Gitarre geschenkt. Er wollte Sänger werden und seine eigenen Lieder schreiben. Nach Jahren des Scheiterns versuchte er, das Songschreiberhandwerk im legendären New Yorker Brill Building zu erlernen, einer Hitfabrik, wo professionelle Songschreiber-Teams wie Jerry Leiber und Mike Stoller, Carole King und Gerry Goffin oder Ellie Greenwich und Jeff Barry am laufenden Band wunderbare Pophits komponierten und produzierten. Leider und Stoller etwa Jailhouse Rock oder King Creole für Elvis Presley, King und Goffin Will You Still Love Me Tomorrow von den Shirelles oder The Loco-Motion für Little Eva, Greenwich und Barry Be My Baby oder Baby, I Love Youfür die Ronettes. Ein ähnlich großer Wurf gelang Neil Diamond im Brill Building, wo Ellie Greenwich ihm die Türen geöffnet hatte und Leiber und Stoller ihn als bezahlten Songschreiber unter Vertrag nahmen, aber nicht. Noch nicht.
Mitte der 1960er stand Neil Diamond daher das Wasser bis zum Hals. Als herzlich erfolgloser Möchtegernsänger und Auftragssongschreiber kämpfte er ums künstlerische und finanzielle Überleben. Er war frustriert, weil der Erfolg auf sich warten ließ, er aber schon eine kleine Familie zu ernähren hatte und der Schritt, schlussendlich in einem „normalen“ Job versauern zu müssen, bedrohlich näher rückte.
Nach dem Rauswurf aus dem Brill Building,weil ihm keine Hitkompositionen gelangen, ging Neil Diamond plötzlich der Knopf auf. „Ich setzte mich hin und machte, was ich immer machte, wenn ich glücklich und begeistert war. Ich schrieb Songs, aber dieses Mal nicht einfach Songs, sondern Lieder, die meine echten Gefühle ausdrückten. Es war, als ob ich mein Inneres anzapfte“, notiert Diamond in seinen Liner Notes von The Bang Years. Und er nutzte die Kontakte, die er im Brill Building geknüpft hatte. Ellie Greenwich, der er anvertraut hatte, dass er eigentlich seine eigenen Songs schreiben und singen wollte, empfahl ihn an Atlantic Records weiter, wo er für den von den Atlantic-Bossen gegründeten Ableger Bang Records unter Vertrag genommen wurde.
Die 23 Songs auf The Bang Years, die Neil Diamond 1966 und 1967 für Bang Records aufgenommen hat, wurden großteils von Ellie Greenwich und Jeff Barry produziert, finden sich fast alle auf seinen ersten beiden Alben, und sind hier im originalen Mono-Sound zu hören – ein grandioser Mix aus lebensfrohem, ausgelassenem Pop und üppigen, schwermütigen, aber auch genießerisch schwelgenden Balladen.
Schon Diamonds erste Single Solitary Man, eine Art mürrisch-melancholischer Country-Ballade, knackte im Frühjahr 1966 die US-Charts. „Mein Leben hatte sich damit für immer verändert“, meint Diamond. Mit dem überschäumenden, liebestrunkenen, mit einem Latin Groove gepfefferten Gute-Laune-Song Cherry, Cherry, einem Drei-Akkord-Rock’n’Roll-Wunder, gelang Neil Diamond dann der erste eigene Top-Ten-Hit, während The Monkees mit seinem Knaller I’m A Believer einen Nummer-1-Hit hatten. Solitary Man und Cherry, Cherry stammen von Diamonds 1966er Debütalbum The Feel Of Neil Diamond. Auf beide Songs und etliche andere von The Bang Years wollte Diamond zu Recht in seinen Konzerten nie verzichten.
Auf Cherry, Cherry folgen die theatralische Ballade Girl, You’ll Be A Woman Soon, sein 2. Top-Ten-Hit in den USA, von seinem zweiten Album Just For You (1968), das Jahre später Urge Overkill grandios coverten für den Soundtrack von Quentin Tarantinos Kultfilm Pulp Fiction. Das schwungvolle, schon im später typischen Neil-Diamond-Stil scheinbar schwebende Kentucky Woman, seine letzte Single für Bang Records, vom Oktober 1967, das ein Jahr später von Deep Purple gecovert wurde. Der Rhythm and Blues-Groover Thank The Lord For The Night Time und der stramme Rocker You Got To Me. Neil Diamonds eigene mitreißende Version von I’m A Believer und Red Red Wine, das 1969 ein großer jamaikanischer Reggae-Hit für Tony Tribe war, in den 1980ern in England nochmal für UB 40. Der knackige aufgekratzte, pure Pop von The Boat That I Row, den 1967 die schottische Sängerin Lulu zum Hit machte. Im hymnischen Do It vermag man schon den künftigen Neil Diamond zu hören, beim majestätischen The Long Way Home und dem klingelnden Folkrocker I’ve Got The Feeling (Oh No No) ist es nicht anders. Someday Baby hat den düsteren Beat von Velvet Underground.
Zwischendrin eingestreut sind einige energiegeladene Coverversionen, die von Neil Diamonds Einflüssen künden und alle von seinem 1966er Debütalbum stammen, das zweiteJust For You brachte nur noch selbstverfasste Songs. New Orleans (Gary U.S. Bonds), Monday, Monday (The Mamas and The Papas), Red Rubber Ball (Paul Simon), La Bamba (Ritchie Valens), Hankie Panky (Tommy James and the Shondells, geschrieben von Ellie Greenwich und Jeff Barry).
Am Ende machen sich Shilo, Diamonds erste große Powerballade, die er mit seiner starken Baritonstimme, festem Einzelgänger-Blick und mächtigen Koteletten grandios präsentiert, und das bluesige The Time Is Now, die B-Seite von Kentucky Woman, schon auf den ernsten, grüblenden Singer-Songwriter-Pfad, den Neil Diamond nach den wenigen Jahren bei Bang Records, wo er wegen künstlerischer und finanzieller Differenzen das Weite suchte, beschritten hat.
Neil Diamond The Bang Years 1966-1968, Columbia Records/Legacy/Sony Music, 2011
© Bang Years Pic by the author.