Das vierte Album der Beatles, „Beatles For Sale“ ist nicht ihr bestes, aber eine großartige und mitreißende Platte. Und die erste, die in meinem jungen Leben auftauchte, Licht und Hoffnung in meine Provinzwelt brachte und mein jugendliches Selbst veränderte.
Der amtlichen Beatles-Geschichtsschreibung gilt Beatles For Sale, das vierte Album der Fab Four, als einer der schwächeren Beatles-Longplayer. Dieses Urteil ist, mit Verlaub, falsch. Natürlich hat Beatles For Sale im extragrandiosen Kanon der Beatles-Alben keinen leichten Stand, aber auch keine leichte Entstehung. Weil inmitten der turbulenten Beatlemania, laufend auf Tournee, in Fernseh-, Film- und Radio-Studios, auf Pressekonferenzen, bei Interviews und Foto-Shootings, nicht viel Zeit und Energie übrig war fürs Songschreiben und die Aufnahmen in den Abbey Road Studios.
Im selben Jahr, 1964, war mit A Hard Day’s Night schon das erste Meisterwerk der Beatles veröffentlicht worden, alle Songs von Lennon/McCartney komponiert und getextet, fabelhaft gespielt und gesungen, die A-Seite der LP noch dazu der Soundtrack ihres ersten hinreißenden Kinofilms gleichen Namens. Dass während der Aufnahmen von Beatles For Sale unbedingt eine neue Single, die nicht am Album sein durfte, für den boomenden Plattenmarkt produziert werden musste, machte es für die vierte LP der Band nicht leichter. Wären I Feel Fine (A-Seite), eines von John Lennons optimistischsten Liedern mit seinem charakteristischen, verzerrten Feedback-Gitarrenriff, das George Harrison den ganzen Song hindurch spielt, und She’s A Woman, ein fulminanter Rocksong, den Paul McCartney geschrieben und mit seiner Little-Richard-Rock & Roll-Stimme gesungen hat, mit auf Beatles For Sale gewesen, wäre die Platte wohl ein großer Knüller gewesen. Aber auch so ist Beatles For Sale eine tolle, mitreißende Platte geworden – obwohl den Fab Four auf dem ikonischen Coverfoto die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben steht. Spuren der rasenden Beatlemania.
Beatles For Sale ist das erste Album der Beatles in meinem jungen Leben gewesen. Es tauchte noch vor den beiden, 1973 veröffentlichten Beatles-Samplern The Beatles 1962-1966 und The Beatles 1967-1970 auf, dem legendären Roten und Blauen Album der Fab Four, die in den 1970ern meiner Generation die Beatles nahebrachten. Ein älterer Freund in der Nachbarschaft, Franz mit Namen, hatte mir Beatles For Sale auf einer Musikcassette aufgenommen, die ich auf meinem neuen SABA-Radio-Rekorder, damals ein Wunderwerk der Technik für mich, praktisch pausenlos spielte, bis sie irgendwann kaputt ging, da hatte ich aber schon das Rote und das Blaue Album als Vinyl-Doppel-LPs, die Beatles For Sale LP folgte bald. Eine Offenbarung für mich, die Licht und Hoffnung in meine Provinzjugend brachte und mein Leben, innerlich jedenfalls, entscheidend veränderte.
Die Aufnahmen für Beatles For Sale mussten im prallen Terminkalenderder Beatles zwischen die vielen anderen Verpflichtungen gezwickt werden. Diesem Termindruck und einem dringend nötigen, aber fehlenden kreativen Durchschnaufen ist geschuldet, dass sich auf Beatles For Sale nur acht neue Beatles-Originale finden, dazu sechs Coverversionen alter Rock’n’Roll- und Rhythm-&-Blues-Hadern, die schon zu Beginn ihrer Karriere im Liverpooler Cavern Club und in den Hamburger Reeperbahn-Clubs im Repertoire der Beatles waren. Chuck Berrys Rock And Roll Music und Dr. Feelgoods Mr. Moonlight – beide von John inbrünstig gesungen. Kansas City, im Arrangement von Little Richard, furios gerockt von Paul. Buddy Hollys Words Of Love, im Duett von John und Paul gesäuselt. Und zwei Kracher von Carl Perkins, Everybody’s Trying To Be My Baby, als cooler Country-Swing von George rübergebracht, dazu Honey Don’t, von Ringo im Country-Stil gerockt. Das war das letzte Mal, von den 1969er Get-Back-Sessions mal abgesehen, dass die Fab Four die Plattentruhe mit den Hits ihrer Jugend plünderten.
Seite eins der LP wird von einem umwerfenden Lennon-McCartney-Trio eröffnet. Auf Johns Liebesleid-Klage No Reply, folgt sein Selbstzweifler I’m A Loser, sein bis hierhin persönlichster Song, der schon den Einfluss von Bob Dylan spüren ließ. Im Jänner 1964 sollen die Beatles nämlich nichts anderes im Hotel gehört haben als Dylans zweites Album The Freewheelin‘ Bob Dylan, das Paul vor Ort von einem französischen Radioreporter bekommen hatte, und Dylans gleichnamiges Debütalbum, dass sie sogleich selbst in einem Pariser Plattenladen kauften. John und Pauls Duett Baby’s In Black wirkt ähnlich niedergeschlagen wie die ersten beiden Lieder, erst Rock And Roll Music hebt die Stimmung, ebenso Pauls wundervoll perlende Ballade I‘ll Follow The Sun, die buchstäblich die Sonne aufgehen lässt, bevor Mr. Moonlight und Kansas City am Ende nochmal losfetzen und die Wände wackeln lassen.
Seite zwei wird vom populärsten Song des Albums, dem Wohlfühl-Hit Eight Days A Week, eröffnet, den die Beatles angeblich nie so recht gemocht haben, vor allem John Lennon nicht. Paul McCartney allerdings spielte es immer wieder in seinen Konzerten bis ins neue Jahrtausend, solange noch Tourneen möglich waren und nach Corona auch wieder. Der Rest von Seite zwei ist in der Folge vielleicht nicht ganz so stark und prickelnd wie die erste Seite. Words Of Love singen John und Paul in einem hübschen Duett, erstaunlicherweise ist es der einzige Song von Buddy Holly, den sie für eine ihrer Platten coverten, obwohl Holly ein großer Einfluss für sie war. Honey Don’t ist Ringos großer Country-Moment. Pauls Every Little Thing und das musikalisch stärkere What You’re Doing, das mit seiner zwölfsaitigen Gitarre den Folkrock-Sound der Byrds vorwegnimmt (und beeinflusst hat) handeln von Pauls komplizierter Liebesbeziehung mit der englischen Schauspielerin Jane Asher, die nicht nur die Freundin eines berühmten Popmusikers sein wollte, sondern eben auch Schauspielerin. Auch am Country-Flair von I Don’t Want To Spoil The Party lässt sich erkennen, dass die Beatles Countrymusik wirklich mochten. Gesungen wird es von John und Paul, die es eigentlich für Ringo geschrieben hatten, Johns persönlicher Text lamentiert über sein Unvermögen, den Verlust einer Geliebten zu verschmerzen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Mit dem coolen Country-Swing Everybody’s Trying To My Baby setzt George den Schlusspunkt auf Beatles For Sale, das mir ein wertvoller Teil meiner Plattensammlung ist.
The Beatles Beatles For Sale, Odeon/EMI Records, 1964
© Beatles For Sale Pics by the author.