Chuck Berry und die magische Macht des Rock & Roll

Wie ich anno 1976 oder 1977 bei einem Konzert von Rock & Roll-Legende Chuck Berry in der Linzer Sporthalle Zeuge der überwältigenden Kraft und Magie des Rock & Roll wurde.

Chuck Berry (1926-2017) ist nicht nur der Erfinder der besten Gitarrenriffs des Rock & Roll, die bis heute Gitarristen in aller Welt inspirieren und nachspielen. Er ist auch der Schöpfer genialer Songklassiker wie Johnny B. Goode, Sweet Little Sixteen, Roll Over Beethoven, Little Queenie oder Rock & Roll Music. Ich lernte diese erst durch die Beatles und die Rolling Stones kennen, und machte mich, voll am Haken, auf die Suche nach den Originalen und ihrem legendären Urheber.

Was die Musik anlangt, so hat Chuck Berry diese Songs zum größeren Teil wahrscheinlich im Duo mit seinem Pianisten Johnnie Johnson geschrieben, der dafür aber nie eine Nennung als Co-Autor, noch Tantiemen bekommen hat, weshalb er Chuck Berry sogar mal verklagte, seine Klage ist aber wegen Verjährung abgelehnt worden. Mit den fabelhaften Songlyrics hat Chuck Berry aber ganz allein seine eigene Teenager-Rock´n‘Roll-Welt erschaffen. Der ungeklärte Streit mit Johnson kann aber Chuck Berrys Rang als Rock & Roll-Pionier nicht zu schmälern. Schließlich wären ohne seine Gitarrenriffs und seine Songtexte weder die Beatles noch die Rolling Stones zu dem geworden, was sie geworden sind. Und wohl auch die frühen Beach Boys nicht, oder The Who, die Kinks, T. Rex und sogar Bruce Springsteen.  Denn, wer war denn der erste, der am liebsten über Autos und Mädchen, Mädchen und Autos Lieder schrieb und sang? Chuck Berry, genau.

Weil die Beatles auf ihren ersten Alben so mitreißende Versionen von Chuck Berrys Krachern wie Rock’n’Roll Music oder Roll Over Beethoven spielten, kaufte ich mir gleich nach Beatles For Sale Chuck Berrys Hitsammlung Original Oldies und wenig später auch noch die beiden Fortsetzungen. Damit war ich für ein Konzert des großen Rock & Roll-Meisters bestens präpariertund enterte als aufgeregter Jungspund, es muss so 1976 oder 1977 gewesen sein, die Sporthalle in der Stahlstadt Linz.

Dort wurde ich Augen- und Ohrenzeuge der welterschütternden Kraft des Rock’n’Roll. Zur wohl über zwanzig Minuten ausgedehnten Schlussnummer Johnny B. Goode holte der von einer angemieteten europäischen Begleitcombo unterstützte Chuck Berry zwanzig, dreißig Leute auf die Bühne. Darunter glücklicherweise auch ich. Während wir dort oben zu seinen unendlich wiederholten, allerlegendärsten Gitarrenakkorden ausgelassen tanzten, glitt der Riff-Meister mit seiner funkelnden roten Stromgitarre im einst von ihm kreierten Duckwalk (vulgo Entenwatschelgang) charismatisch über die dichtgefüllte Bühne.

Und so geschah es. Ich erinnere mich noch deutlich daran, plastisch. Eine für einen in Liebesdingen noch unbedarften Teenager reizvoll kurvige Frau mit langem, blondem Haar fing an, beim Tanzen ihre stramm sitzende weiße Bluse aufzuknöpfen, um dann Chuck Berry, begeistert von seiner Musik, ihre Brüste entgegenzuschütteln. Wie war ich in diesem Moment doch fasziniert von der magischen Kraft des Rock & Roll, von seiner revolutionären, befreienden Wirkung. Das also meinte Chuck Berry, als er 1957 in School Days unvergessen deklamierte: „Hail! Hail! Rock & Roll!“

PS.: Dass ich damals im Konzert von Chuck Berry mit meinem besten FreundNorbert war, hatte ich ehrlich vergessen. Aber als wir uns nach fast vierzig Jahren wieder trafen und stundenlang redeten, kamen wir auch auf dieses legendäre Konzert. Ein auf die Bühne geeilter Saalordner habe der barbusigen Dancing Queen eine Decke übergeworfen, erinnerte sich Norbert. Und dass er mir das Cover von Original Oldies auf die Bühne reichte, um den Meister um sein Autogramm zu bitten. Und auch, dass ich nicht nur völlig überdreht auf der Bühne tanzte, sondern gleich auch noch ein schallendes Yeah in Chuck Berrys Mikrophon jauchzte. So voll „Roll over Beethoven and tell Tchaikovsky the news“ mäßig. 

Record Collection N° 122: T. Rex „Bolan Boogie” (Fly Records/ Donauland-Club-Sonderauflage, 1972)

Eine famose Best-Of-Sammlung der frühen Hits von Marc Bolan und T. Rex und zugleich eine der ersten Langspielplatten des Autors.

Das war eine der ersten Langspielplatten in meiner Plattensammlung. Weil meine Mutter Mitglied im Donauland-Buchclub war, kam vier Mal im Jahr der neue Donauland-Katalog ins Haus, und ich durfte mir Bücher und Schallplatten bestellen. Mitunter gab es bei Donauland von aktuellen Hitalben sogar eigene Club-Sonderauflagen. Auch von Bolan Boogie, mit eigener Plattenhülle, auf der der T. Rex-Sänger, Gitarrist, Songschreiber Marc Bolan auf der Vorderseite in glamouröser Rock’n’Roller-Pose zu sehen ist, die englische Originalausgabe hatte dort nur einen bunten Schriftzug, das klasse Coverfoto der Donauland-Platte auf die Rückseite verbannt.

Bolan Boogie war eine der erfolgreichsten LPs von T. Rex und ihr letztes Nummer-1-Album in Großbritannien. Erschienen ist es 1972 zwischen dem ersten gleichnamigen Album, für das Marc Bolan die Band neu formierte, und ihrer besten LP Electric Warrior. Es dokumentiert den Wandel Marc Bolans vom verträumten Hippie-Folk-Barden zum elektrisierten, elektrisierenden Rock’n’Roller und Glamrocker.

Nachdem Marc Bolan als cooler Feschak Mitte der 1960er Jahre in der Londoner Mod-Szene auftauchte wie auch David Bowie, gründete er 1967, im Jahr des Sommers der Liebe, die Band Tyrannosaurus Rex, mit dem Perkussions- und Bongos-Spieler Steve Peregrin Took, der sich nach einem Hobbit aus Tolkiens Herr der Ringe nannte. Sie spielten verträumten, zart akustischen, psychedelisch angehauchten Hippie-Folk-Rock zu dem Marc Bolan, der Sänger und Gitarrist blumige Lyrics aus dem Herr-der-Ringe-Text-Buch sang. Nachdem sich Bolan und Took trennten, verkürzte Marc den Bandnamen auf T. Rex, wechselte zur elektrischen Gitarre und Rock’n’Roll-Beats, und er formierte die Band neu mit dem Perkussionisten Mickey Finn, dem Bassisten Steve Currie und dem Schlagzeuger Bill Legend. Mit dem  Produzenten Tony Visconti (David Bowie) begann Bolan an seinem neuen lauten Glamrock-Sound zu feilen.

Aus der Tyrannosaurus-Rex-Phase stammen auf Bolan Boogie mit She Was Born To Be My Unicorn, Dove, Fist Heart Mighty Dawn Heart und By The Light Of A Magical Moon vier Songs, deren versponnene weggedriftete Träumereien mich als Teenager faszinierten (obwohl ich nie Der Herr der Ringe gelesen habe) und an der Schwelle der Transformation vom Elfen-Feen-und-Hippies-Sound von Tyrannosaurus Rex zum krachigen, sexy-glamourösen, Stromgitarren-Boogie von T. Rex stehen.  

Der Albumtitel Bolan Boogie ist perfekt, denn es geht um Marc Bolans neuen Stromgitarren-Boogie-Rock. Der Wendepunkt für T. Rex und zugleich der Startschuss für die Glamrock-Welle war die sich in den Himmel hoch schwingende Single Ride A White Swan, die es auf den zweiten Platz der britischen Pop-Charts schaffte, eine der besten Aufnahmen von T. Rex überhaupt und hier gleich mit der Single-B-Seite Summertime Blues (eine Coverversion des Rock’n’Roll-Klassikers von Eddie Cochran) vertreten. Dazu kommen die weiteren Mega-Hits der ersten T. Rex-Jahre, der Weckruf von Get It On (mit der B-Seiten-Mini-Suite Raw Ramp), der superfetzige, dreckige Stromgitarren-Groover Jewel und das hymnische Hot Love (mit den B-Seiten The King Of The Mountain Cometh und Woodland Rock). Und das hinreißende Beltane Walk, eine Kostprobe vom ersten selbstbetitelten T. Rex-Album.

Viel später habe ich mir auch die britische Version von Bolan Boogie mit dem anderen Cover gekauft, weil diese Platte nichts von ihrer Strahlkraft verloren hat, ein faszinierendes Porträt des Pop-Künstlers Marc Bolan ist, dem ersten großen englischen Popstar seit den Beatles, und der aufwühlende Soundtrack teenagerhaften Aufbegehrens und Andersseinseinwollens in den frühen 1970er Jahren.

T. Rex: Bolan Boogie, Fly Records, Donauland-Club-Sonderauflage, 1972

© Bolan Boogie Pics shot by Klaus Winninger

Mein erster Plattenspieler

Auf meinem ersten Plattenspieler hörte ich Hörspiele für Kinder und Platten von den Beatles, The Sweet, Slade, T. Rex und Suzi Quatro.

An einem Weihnachten in den 1960er Jahren schenkten mir meine Eltern meinen ersten Plattenspieler. Ich weiß nicht, wie sie darauf kamen, ob es ihre Idee war, ob ich einen haben wollte oder jemand anderer den Anstoß gab. Jedenfalls ist dieser Plattenspieler die Wurzel meiner lebenslangen Faszination für Popmusik. Es war ein kleiner Philips Plattenspieler, Holzrahmen, Plastikkorpus, abnehmbare Boxen, Abspielgeschwindigkeiten 33 1/3 und 45 Umdrehungen pro Minute. Ich dürfte damals noch in der Volksschule gewesen sein, weil ich darauf erst einmal Hörspiele für Kinder abspielte: Max und Moritz, Till Eulenspiegels lustige Streiche (Europa Kinderserie), Karl Mays Winnetou I, Winnetou III (Europa Jugendserie).

Aber bald, dann schon im Gymnasium, rotierten kleine und große Scheiben von The Sweet, Slade, T. Rex oder Suzi Quatro und laufend mehr Platten der Beatles. Der Glamrock war mein Evangelium. Die Beatles meine Bibel.

Elvis Presley: The Day The King Of Rock‘n’Roll Died

August 16, 1977: The man on the radio said, that Elvis Presley has died.

When I wrote a shorter version of this story in German, I have been listening to a lot to some older Bruce Springsteen songs originating from his 1977 and 1978 recording sessions for his fourth album Darkness on the Edge of Town They all hadn’t been used for the original album and were collected in the box set The Promise: The Darkness on the Edge of Town Story released in 2010.

Bruce Springsteen’s sentimental crooning of “Come On (Let’s Go Tonight)” reminded me of the cold, rainy summer of 1977, when punk broke in the United Kingdom and Elvis Presley, the King of Rock’n’Roll, died on the other side of the Atlantic in Memphis, Tennessee at his Graceland mansion. The protagonist in Bruce Springsteen’s song hears “the man on the radio” saying, that Elvis Presley has died today. Devastating news, not only for him. It kind of shattered my teenage life too.

I still remember the day Elvis Presley died like it happened yesterday. I had listened to the radio in my bedroom when I fell asleep and the gentle sound from the radio escorted my sleep through the night. At the end of that special night I suddenly woke up. I was wide awake and heard the newsreader heralding the terrible news about King Elvis. It was just like in Bruce Springsteen’s song: “Now the man on the radio said that Elvis Presley died…“ What a shock, giving me the creeps.

At first, I wasn’t the biggest Elvis Presley fan at all. As a pop music lover I was raised by The Beatles, The Rolling Stones, Sweet, Slade, or T. Rex. But then I watched Elvis Presley’s worldwide satellite concert Aloha from Hawaii on our family’s black and white telly. Boy, what a blast! Ignited I searched for further Elvis Presley stuff. I read John Lennon’s saying, that his world changed totally in 1956 with Elvis’ rock’n’roll big bang Heartbreak Hotel and that The Beatles never wouldn’t have been possible without King Elvis. Being a passionate Beatles fan I went to town and searched in a small record shop for a compilation of Elvis’ hits. I bought Elvis Forever, a double LP with Elvis’ most famous songs, “Heartbreak Hotel”, “Blue Suede Shoes”, “Hound Dog”, “Jailhouse Rock”, “In The Ghetto”, “Suspicious Minds” and all that super fantastic stuff.

But when pubrock and punk came along, I had lost track of Presley’s later music and the pictures that showed him getting fat were pitiful. But on the evening after the day Elvis died, I took the train to Linz, a big city nearby, with my best friend. Norbert and I had formed our first band together, named after a famous Elvis song and were deeply moved by his untimely death. We went to a shabby cinema, where we watched f Elvis‘ Wild in the Country, one of the better Hollywood movies he had made, being still in his prime. It wasn’t utterly brilliant, but it did a good job in soothing the loss we felt.

A few weeks later I was in town again digging for new records. In a small, groovy record store I found Elvis Costello’s now famous album debut My Aim is True. A new Elvis had entered the stage. But that is a different story.

Long As I Can See The Light oder Die erotische Magie des L’amour-Hatschers

Der perfekte Soundtrack zum Schmusen auf Partys.

Nicht, dass meine Teenagerzeit von Partys überfüllt gewesen wäre. Schon gar nicht in dem grauen Provinzstädtchen, das meine Heimat ist. Aber schließlich schickten mich die Eltern weg ins Gymnasium, in eine über eine Stunde Zugfahrt entfernte richtige Stadt. Dort wurde es ein wenig spannender, was den sporadischen Besuch von Partys anlangt und mit der zaghaften Annäherung ans lockende weibliche Geschlecht.

Damals, als ich jünger war und noch viel mehr Schmusen vor mir hatte als hinter mir, rockte in der Stadt der magische Sound der Beatles und Rolling Stones den Tanzboden kleiner, elterlicher Hobby-Räume im Keller. Dazu donnerten der Bluesrock von Jimi Hendrix und Led Zeppelin. Und nicht zuletzt der aufregendste Sound des Moments, der hinreißende, lichterloh strahlende Glamrock von unvergessenen Bands wie Slade, The Sweet, T. Rex, von Suzi Quatro und dem gerade zur Erde zurückgekehrten David Bowie.

Ganz, ganz wichtig, weil besonders geeignet für das ungelenke Tändeln mit der Weiblichkeit auf dem Dancefloor waren die sogenannten L’amour-Hatscher, auch als Stehblues, Klammerblues oder Hosentürlreiber bekannt. Also Pop- und Rockballaden in Superzeitlupe. Wie beispielweise Love Hurts von Nazareth, eine aufgeraut schmachtende Version von Roy Orbisons vor lauter Herzschmerz heulender Sixties-Rock’n’Roll-Ballade.

Am besten wirkten diese drei phänomenalen L’amour-Hatscher, die nach dem Aufwärmen mit einigen Krachern der Obengenannten vom DJ auf das Plattenteller gelegt wurden, idealerweise gleich hintereinander: Long As I Can See The Light, der umwerfend soulige Gospel-Rock von John Fogertys Band Creedence Clearwater Revival, den amerikanischen Beatles. Die fast schon kosmischen, unwiderstehlich wonnigen Stromgitarrengefühlswallungen von Santanas Samba Pa Ti. Und A Whiter Shade Of Pale, ein hymnisch herzwärmendes, zugleich majestätisch unterkühltes Glühen von Procol Harum, das bis heute auf unserem Planeten der im Radio meistgespielte Song sein soll.

Wenn diese drei nicht halfen, konnte einem auf der Tanzfläche gar nichts mehr helfen. Das klingt trister, als es war. Denn L’amour-Hatscher wie diese waren zum Glück nicht nur hilfreiche Freudenvermittler, also Brücken zum anderen Geschlecht. Sie funktionierten ebenso als Seelentröster für Mitglieder im Club der einsamen Herzen, maximale Wirkung garantiert. Und das schaffen sie noch heute.

B-logbook: 08.08.2020: Lied des Lebens?

Das Süddeutsche Zeitung Magazin hat 29 Musikerinnen und Musiker gefragt, welche Lieder ihnen am meisten bedeuten. Weil ein Song nur wenige Minuten dauert, aber Leben verändern kann. Die Pet Shop Boys nennen Passion von The Flirts, produziert vom New Yorker Dancefloor-Produzenten Bobby O, der auch die erste Version ihres ersten Hits West End Girls aufgenommen hat. Alanis Morissette Graceland von Paul Simon. Dirk von Lowtzow (Tocotronic) Flexible Flyer von Hüsker Dü. Nicolas Godin (Air) Sign O´ The Time von Prince. Moby Heroes von David Bowie. Rufus Wainwright Sweet Dreams von den Eurythmics. Tina Turner Let’s Stay Together von Al Green. Sven Väth Computerwelt von Kraftwerk. H.P. Baxter (Scooter) Children Of The Revolution von T. Rex. Brian Eno What Goes On von Velvet Underground. Suzanne Vega Suzanne von Leonard Cohen. Der britische Geiger Daniel Hope Message In A Bottle von The Police. Patti Smith 1983 (A Merman I Should Turn To Be) von Jimi Hendrix. Dieter Meier (Yello) All Blues von Miles Davis. Und noch 15 mehr.

Die meisten erzählen auch eine interessante Geschichte dazu. Guter Lesestoff für einen Tag am See. Am Sofa geht auch.

Als der Pop noch kunterbunt durcheinander war

Eine meiner ersten LPs war diese hier: Das klingende Schlageralbum ’71 (Star International, 1971).

Überhaupt waren es anfangs ein paar solcher Sampler und eine Party-Sound-LP von James Last, die ich auf meinem kleinen Stereoplattenspieler von Philips drehen ließ. Noch vor richtigen Alben von The Sweet, Slade, T. Rex, den Beatles oder Rolling Stones. Das hatte damit zu tun, dass ich meine ersten LPs meist meinen Eltern bei den monatlichen familiären Lebensmittelgroßeinkäufen aus der Brieftasche zu leiern versuchte. Hartnäckig. Oft mit Erfolg. Die schwarzen Scheiben mit den schön bunten, großen Kartonhüllen waren der einzige Grund, warum ich mich willig der elterlichen Pirsch nach Würsteln, Schnitzelfleisch, Kartoffeln, Gemüse, Putz- und Waschmitteln anschloss. Später gab’s dann aus dem LP-Ständer in der Elektroabteilung auch John Lennon, Wings oder die Everly Brothers. Die mehrstündige Runde im Supermarkt samt fünfzig, sechzig Kilometer Hin- und Rückfahrt in unserem alten himmelblauen Opel-Veteran aus den 1950ern zahlte sich aus.

Das klingende Schlageralbum ’71 habe ich im Frühling beim Großreinemachen im Plattenregal plötzlich wieder in Händen gehalten. Voll erstaunt. Erfreut. Die uralte LP war naturgemäß verstaubt, verdreckt, zerkratzt, knisterte, knackste, rauschte, sprang aus der Rillen, blieb hängen beim Abspielen. Das Übliche. Heute habe ich die LP mit einer  simplen, aber wirksamen Plattenwaschmaschine gereinigt. Wunder bewirken kann sie nicht. Die Platte scheint sauber, bleibt aber zerkratzt und einmal hängen. Hauptsache, man kann sie noch abspielen und hören. Mit defekten, digitalen MP3-Audio-Files geht so was nicht. So

DSCN9996Der klingende Schlagermix ’71 ist fast schon absurd schrill. Doch passend für diese Zeit. Peter Alexanders Herzen öffnen wollender Hit Hier ist ein Mensch trifft auf Lynn Andersons Country-Schunkler-Hit Rose Garden, Heintje auf Hot Love von T. Rex, die Love Story-Kino-Sehnsuchtsmusik von Francis Lai auf Wolfgangs Austropop-Hit Abraham, das wahrscheinlich auch die erste Vinyl-Single in meiner keimenden Plattensammlung war, Rex Gildo auf Mungo Jerry, Katja Epstein auf Mozart Nr. 40 vom Orchester Raymond Lefévre, Danyel Gérards folkloristischer Radiowellenschmeichler Butterfly auf Udo Jürgens hoffnungsfrohes Zeig mir den Platz an der Sonne.

In Hier ist ein Mensch singt Peter Alexander im Country-Timbre: Kennst du seinen Namen / Seinen Namen kennst du nicht / Sieh zu ihm hinüber / Und dann kennst du sein Gesicht / Hier ist ein Mensch / Schick ihn nicht fort / Gib ihm die Hand / Schenk ihm ein Wort / Hier ist ein Mensch / Der will zu dir / Du hast ein Haus / Öffne die Tür / … / Hier ist ein Mensch / Der will zu dir / Kennst Du seine Sorgen? / Weißt Du wirklich, was ihn quält? / Schenke ihm Vertrauen / Weil er dann es Dir erzählt / Hier ist ein Mensch / Der ist allein / Du bist es nicht / Ruf ihn herein / Hier ist ein Mensch / Der will zu Dir / Du hast ein Haus / Öffne die Tür.

In Zeig mir den Platz an der Sonne kritisiert Udo Jürgens die grassierende Empathielosigkeit im Wirtschaftswunder: „Wen kümmern noch des Nachbarn Schmerzen / Wer hilft dem Nächsten durch die Tat? / Wir haben Riegel vor den Herzen / Und um die Seele Stacheldraht / Ich such‘ ein Land / Es liegt noch weit / Wo Friede wohnt und Menschlichkeit / Zeig mir den Platz an der Sonne / wo alle Menschen sich versteh’n.

Unterhaltung mit Haltung, nannte Udo Jürgens das immer. Kein Betroffenheitsgetue. Keine Mitleidshysterie. Aber beherzte Kritik voll auf den Punkt.

B-logbook: 24.05.2020: Albums, That Really Influenced My Life, Volume 1:

Bänz, a nice colleague from Switzerland invited me on Facebook to name 10 albums that actually influenced my life. Just showing the album cover, no explanation needed. I joined in and it was and still is a pleasure and inspiration. But honestly, I broke the rules and didn’t stop at ten albums.

The beat still goes on and I’m gonna bring it over here, where it really belongs to.

N° 1: The Beatles 1962-1966 (1973) / N° 2: The Beatles 1967-1970 (1973) / N° 3: The Rolling Stones The Rolling Stones (1964) / N° 4: The Sweet The Sweet’s Biggest Hits (1972) / N° 5: Slade Sladest (1973) / N° 6: T. Rex Bolan Boogie (1972, Donauland Club-Sonderauflage) / N° 7: The Beatles The Beatles For Sale (1964) / N° 8: The Beatles Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (1967) / N° 9: Simon and Garfunkel Greatest Hits (1972) / N° 10: Leonard Cohen Greatest Hits (1975, European Edition)

© Album Cover Pics shot by me.

Wie Ray Davies und die Kinks in den Roaring Sixties das aufregend prickelnde Swinging London besangen

Golden Hour Of The Kinks & Golden Hour Of The Kinks Vol. 2, originale, englische Vinyl-LPs

Es gibt keinen direkten Zusammenhang, aber es war wohl die Lektüre von Nick Hornbys trefflicher Schilderung der frühen 1960er Jahre in England, insbesondere der aufgeregt-prickelnden Atmosphäre des Swinging London, in seinem formidablen jüngsten Roman Miss Blackpool (Originaltitel: Funny Girl), die mich dazu brachte, wieder meine alten Platten von Ray Davies und den Kinks aus dem Regal zu holen und mit größtem Vergnügen zu hören.

Vor allem diese hier: Golden Hour Of The Kinks, erstmals 1971 eigentlich nur in England auf Pye Records veröffentlicht und 1973 mit einer zweiten LP Golden Hour Of The Kinks Vol. 2 ergänzt, in einer Reihe von Billigcompilations, in der auch Sammlungen von schottischen Liedern, effektvollen Stereoaufnahmen oder Opern-Ouvertüren erschienen sind. Zwei, drei Jahre später – nach meiner popmusikalischen Erweckung durch die Beatles und Rolling Stones sowie dem illuminierenden Kontakt mit den quasi extraterrestrischen Freudenspendern des Glamrock, den Sweet, Slade, T. Rex und David Bowie – fielen mir diese Platten, die eine mit einem lässigen, fast hippie-mäßigen Aquarellbild der Kinks, die andere mit einem irritierend psychedelisch verfremdeten Bandfoto auf dem Cover, beim Stöbern in einem Linzer Plattengeschäft in die Hände. Das passte gut. Schließlich absolvierte ich gerade, kurz vor der Punk- und New-Wave-Revolte, einen Grundkurs über den Britpop der Swinging Sixties, abseits der Beatles und Stones, die ja nur die Spitze einer gigantischen Welle waren. Als Nächste an der Reihe waren: The Who, The Small Faces und natürlich – The Kinks.

Die nicht nur musikalisch brisante Konstellation um das Brüderpaar Ray und Dave Davies kreierte zum einen mit den furiosen frühen Hits „You Really Got Me” und „All Day And All Of The Night“ praktisch den Prototypen für den späteren Hard und Heavy Rock.

Zum anderen aber hatten The Kinks mit dem Bandleader und Sänger Ray Davies, der dieser Tage seinen 73. Geburtstag feiert, einen besonderen Trumpf: Einen genialen Songschreiber, einen präzisen Londoner Alltags- und Szene-Chronisten mit genauem, unbestechlichem Blick, dessen Songs oft mit einer ansprechenden melodischen wie auch hohen textlichen Qualität daherkamen. Ich sage nur: „Waterloo Sunset“, „Dedicated Follower Of Fashion“, „Sunny Afternoon“, „Dandy“, „A Well Respected Man“, „Dead End Street“, „See My Friends“, „Stop Your Sobbing“, „David Watts“, „Lola“ oder „Days“, aber das ist jetzt nur der Gipfel eines Mount Everest an großartigen Songs.

Vor allem die erste Golden Hour Of The Kinks-Platte hält, was sie verspricht. Eine volle Stunde lang herrliche Songs der Kinks. Gar nicht mal perfekt zusammengestellt, aber doch viel von dem mit dabei, was die Kinks von 1964 bis in die späten 1960er ausmachte. Ein schönes Porträt einer typisch englischen und ganz besonderen Combo. Ich konnte mich an der Platte früher jedenfalls nicht satthören, und ich lege sie auch heute noch oft und gerne auf. Als die Kinks so um 1977, 1978 herum in der Sporthalle in Linz ein mitreißendes Konzert spielten, war ich voll von der Golden Hour Of The Kinks infiziert und sang ihre größten Hits laut und leidenschaftlich mit.

Nach einigen nur schwer genießbaren, überkandidelten Rockopern waren die Kinks in der zweiten Hälfte der 1970er mit feinen Alben wie Sleepwalker (1977), Misfits (1978) oder Low Budget (1979), mit packenden Songs wie „A Rock’n’Roll Fantasy“, „Catch Me Now I’m Falling“ und „(Wish I Could Fly Like) Superman“, wieder voll auf Kurs und vor allem in den USA erfolgreich wie nie. Davon zeugt auch das fantastische Live-Doppelalbum One For The Road von 1980. In der englischen Heimat wurden The Kinks nun von jungen Stürmern und Drängern wie Paul Wellers The Jam, die ihren Song „David Watts“ neu aufnahmen, als verdienstvolle, beispielgebende Vorläufer geadelt, und ein Jahrzehnt später dann erneut von Damon Albarn und Blur, aber auch von den Gallagher-Brüdern von Oasis als Säulenheilige des Britpop verehrt.

Und heute? Während die Rolling Stones ihre Zwistigkeiten für ihr 50-Jahre-Jubiläum, laufende Tourneen und ein neues, brillantes Studioalbum mit alten Blues-Originalen haben ruhen lassen und ihre späten Jahre ausgiebig zelebrieren, sind die Kinks seit fast zwanzig Jahren getrennt, wenn auch nicht offiziell. Die schon in den Sixties heftig streitenden Brüder Ray und Dave Davies sollen selbst heute noch einander verbittert gram sein, weshalb angebliche Verhandlungen über eine Reunion-Tournee zum Band-Fünfziger und danach außer vagen Absichtserklärungen von beiden bis jetzt wenig gebracht haben. Die Golden Hour Of The Kinks erinnert nicht zuletzt auch vehement daran, welch großer Verlust die durch den unversöhnlichen Streit der Davies-Brüder vergeudeten Möglichkeiten für die britische Rock- und Popmusik sind.

Ich habe mir Golden Hour Of The Kinks übrigens längst für unterwegs mit den von meinen Kinks-CDs auf den Laptop geholten zwanzig Songs eins-zu-eins als MP3-Playlist und als selbstgebrannte CD rekonstruiert – wer braucht schon schnöde Streaming-Dienste, wenn er eine richtige Plattensammlung hat?

Aber von der alten, schon leicht ramponierten Vinylscheibe, die sich gerade am Plattenspieler dreht, wehen einen Ray Davies‘ scharfsinniger Esprit und die nostalgische Sehnsucht und Melancholie, die von Beginn an viele Songs der Kinks durchflutet, noch einmal so schön und bewegend an. Nicht umsonst lamentierte Ray Davies schon 1965 in einem seiner funkelndsten Songs: „Where Have All The Good Times Gone“?

The Kinks The Golden Hour Of The Kinks & Golden Hour Of The Kinks Vol. 2, Pye Records, 1971 & 1973

(Erstmals veröffentlicht am 23. Februar 2015, anlässlich des 73. Geburtstages von Ray Davies im Juni 2017 gründlich überarbeitete, neue Fassung)

Ist der Hitparadenpop heute wirklich schlechter als früher?

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Warum verteufeln eigentlich dieselben Leute, die gerne mal den Pop früherer Tage verherrlichen, praktisch jeden aktuellen neuen Hit? Heute wollen einem ja sogar schon die Feuilletonredakteure der Qualitätsmedien weismachen wie famos irgendwelche Hits von anno dazumal eigentlich waren. Songs, die sie damals, als sie laufend im Radio gespielt wurden, unter Garantie schrecklich gefunden und gnadenlos niedergemacht hätten. Aber sie waren damals ja noch gar nicht geboren oder höchstens gerade im Kindergarten. Dafür lassen sie heute ihren Unmut genüsslich am jüngsten Hit von Rihanna, Lady Gaga oder One Direction aus. Und rehabilitieren – nur mal so als Beispiel – lieber den Schottenkaro-Pop der Bay City Rollers, der in den frühen 1970ern für ein paar Jahre vor allem Teenagermädchenherzen rasen ließ. Vor ein paar Tagen las ich ein Feature auf Spiegel Online über die eben erst wiederveröffentlichten ersten fünf Langspieler der schottischen Teeniepopband und konnte die posthume Seligsprechung nicht so recht glauben. Wenn mich meine Erinnerung und meine Plattensammlung nicht trügen, dann waren die Bay City Rollers nun wirklich nicht so toll. Sie haben zwar ein paar zündende Radiohits wie „Shang A Lang“, „Bye Bye Baby“, „Saturday Night“ oder „Give A Little Love“ fabriziert, die fast weltweiten Erfolg hatten. Aber nichts dermaßen Großartiges, als dass man ihren „herrlichen Bubblegum-Pop“ („Spiegel Online“) im Nachhinein durch den Nebel der Nostalgie jetzt zum Kult verklären müsste. Wer damals schon Radio hörte und sich seine ersten Vinylsingles kaufte, also zum Beispiel ich, weiß: The Sweet, Slade oder T.Rex konnten hinreißenden rockigen Pop, drei Minuten lang dein Teenagerleben aufpeppende Hits um vieles besser. ABBA sowieso. Doch selbst ABBA mussten schließlich eine Ewigkeit warten, bis sie von der Popkritik plötzlich für „gut“, „brillant“ oder gar „genial“ befunden wurden. Nachdem sie zur Zeit ihrer Hits in den 1970ern allen Erfolgen und Superlativen zum Trotz als seelenlose Fließbandpopfabrikanten geschimpft wurden, gelten ABBA heute fast jedem als kreative Popgenies. Und die Bay City Rollers? Ich meine, ich habe nichts gegen die Band. Frühere Neuauflagen ihrer ersten paar Alben finden sich auch in einer der vielen Schachteln mit meiner CD-Sammlung. „Rollermanic. Mein Leben als Teen-Pop-Idol“ (im Original „Shang A Lang“ betitelt), die – immerhin – mit einem Vorwort von Irvine Welsh versehene Autobiografie von Bay-City-Rollers-Sänger Les McKeown, die man als Popfreund angeblich unbedingt gelesen haben sollte, steht auch bei mir fein säuberlich im Regal. Immer noch ungelesen. Das muss nichts heißen, das tut „Licht und Schatten. ABBA – Die wahre Geschichte“, der ultimative dicke Wälzer über ABBA von Carl Magnus Palm, ja auch. Was ich aber nicht verstehe, was ich bedenklich finde: Warum denunziert fast jeder als clever, hip, geschmackssicher gelten wollende Popexperte quasi automatisch jeden brandneuen angesagten Hit, selbst wenn er noch so gut ist? Und völlig egal, ob es sich um „Gangnam Style“ von Psy, „We Are Young“ (Fun.), Diamonds“ (Rihanna), „Scream & Shout“ (Will.I.Am), „We’re Never Getting Back Together“ (Taylor Swift), „Locked Out Of Heaven” (Bruno Mars), „I Love It“ (Icona Pop), „Thrift Shop“ (Macklemore & Ryan Lewis) oder „Mirrors“ von Justin Timberlake handelt. Warum glorifiziert man lieber im Rückspiegel die Bay City Rollers oder irgendeine andere Hitfabrik? Weil man die eigene Reputation als Popkenner nicht aufs Spiel setzen will? Weil man die Songs, die man mag und gut findet, nicht mit – sehr vielen – anderen teilen will? Weil man halt doch lieber etwas Besonderes wäre und nicht nur Teil der Masse, des Massengeschmacks? Es bringt doch nichts, immer erst viele Jahre später draufzukommen, dass der Pop von damals ja eigentlich doch ganz gut war. „Pop“ kam und kommt immer noch von „populär“. Das ist seine Essenz. Die vielen jungen Mädchen und manche Jungs, sie wissen das. Damals, und heute auch.