Die famose kanadische Singer/Songwriterin Leslie Feist hat ihr Album Metals in ihrem Gartenhaus in Toronto und in Big Sur an der kalifornischen Küste aufgenommen.
Ist heute Mittwoch? Dann ist Feist gerade in Paris. Die 35-jährige kanadische Singer-Songwriterin ist seit Wochen unterwegs, um ihr neues Album Metals zu promoten. Und sie ist heute gefragt wie noch an keinem Punkt zuvor in ihrer Karriere.
Ihr 1999er Debütwerk Monarch floppte grausam, was sie fast schon aufgeben ließ und einmal mehr zum Kellnern zwang, um ihre Miete zahlen zu können. Seit ihrem ersten zarten Hit Mushaboom von ihrem überraschenden 2004er Erfolgsalbum Let It Die ist Leslie Feist, wie sie eigentlich mit vollem Namen heißt, aber zu einer der faszinierendsten und erfolgreichsten Künstlerinnen der Popmusik geworden. Album Nummer drei The Reminder verkaufte sich seit seinem Erscheinen weltweit über 1,8 Millionen Mal. Der daraus als Single veröffentlichte, naiv-nette Mitsinghit 1234 untermalte einen Werbeclip für die iPods von Apple, ließ sie in der Fernsehserie „Sesamstraße“ auftreten und machte die nicht gerade aufs Berühmtsein versessene Kanadierin weltweit zum Star.
Leslie Feist ist jetzt berühmt, wenn auch nach ihren eigenen Spielregeln, umgeben von einer künstlerischen, geheimnisvollen, nachdenklichen Aura. Mit ihrer stillen, kühlen Eleganz fangen aktuelle Pressefotos Feists natürliche Bescheidenheit und ihre irgendwie dann doch glamouröse Anti-Star-Attitüde perfekt ein. Sie agiert im Pop so glaubwürdig wie stilsicher an der Kreuzung von Indie-Szene und Pop-Mainstream. Nicht umsonst zählte Feists neuer Longplayer Metals zu den mit größter Spannung erwarteten Alben des Jahres. Und nicht zuletzt verband ihre Plattenfirma damit entsprechend hohe Verkaufserwartungen, erst recht in einem Jahr, in dem von Neo-Soul-Queen Adele bis Schrillpopsirene Lady Gaga die Charts vorrangig von Frauen dominiert wurden.
Die französische Promotion-Dame ihrer Plattenfirma entschuldigt sich, bevor sie mich mit Leslie Feist verbindet, für die knappe Interviewzeit von zwanzig Minuten, aber mehr wäre an einem Marathon-Interview-Tag wie heute einfach nicht möglich. Als ich Feist eingangs frage, worüber wir in der wenigen Zeit wohl am besten reden sollten, gluckst sie vor Lachen. Erst recht, als ich ihr ein paar grundlegende Themen vorschlage und frage, warum sie denn überhaupt Musik mache und Songs schreibe? Und was sie mit diesen eigentlich erforschen und kommunizieren wolle? „Wow! Weil wir nicht allzu viel Zeit haben, sollen wir also über die größten Fragen reden, die sich überhaupt stellen? Das gefällt mir“, prustet sie heraus und meint, sie hätte schon als Kind am allerliebsten bei jeder Gelegenheit in ihrem Elternhaus gesungen. „Ich habe mich immer besonders zur Musik hingezogen gefühlt, aus welchen Gründen auch immer. Nichts hat mich mehr interessiert, und es kommt mir vor, als hätte ich immer schon Musik gemacht. Sie ist für mich eine Art Muskel geworden oder ein Instinkt, mit dem ich auf alles reagiere. Eine Möglichkeit, meine Erfahrungen und die Art, wie ich die Welt sehe, praktisch einrahmen zu können.“
Ungeachtet des Dauerstresses, dem Feist ausgesetzt ist, wirkt sie erfrischend positiv gestimmt und gut gelaunt. Sie lacht oft während des Interviews, scheint mit viel Humor und einer guten Portion Selbstironie gesegnet. Sie wirkt, obwohl nur via Ferngespräch verbunden, nahe und persönlich, voll auf unser Gespräch konzentriert. „Es war also immer schon klar für Sie, dass nur die Musik Ihr Leben bestimmen wird?“, frage ich nach. „So klar war das nicht“, meint Feist. „Das Leben verläuft doch selten in so geraden Bahnen. Normalerweise verunfallt man sich doch von einer Entscheidung zur nächsten“, amüsiert sie sich. „Viele Jahre war ich mir gar nicht so sicher, ob es wirklich die Musik sein muss. Ich lavierte herum, hatte viele verschiedene Jobs um zu überleben und spielte und sang eher nebenbei in verschiedenen Bands oder bei anderen Leuten in der zweiten Reihe mit. Ich habe immer noch das Gefühl, dass es eigentlich noch gar nicht so lange her ist, dass ich realisiert habe, dass die Musik tatsächlich mein Leben werden könnte. In dem Sinne, dass sie mich unterstützt, wenn ich sie unterstütze. Andererseits hatte ich aber auch nie einen Plan B, auf den ich hätte ausweichen können. Obwohl ich ehrlich nie voll überzeugt war, dass es mit der Musik für mich wirklich klappen könnte.“
Als Teenager in der kanadischen Olympiastadt Calgary war Leslie Feist ein Punk, gründete mit 15 ihre erste Punkband, die sogar einmal vor den legendären Ramones auftrat, und sang zugleich noch im Schulchor. Ein Jahr später schmiss sie die Schule, ging erstmals auf Tournee und übersiedelte nach Toronto, wo sie in verschiedenen Punk- und Indierockbands mitmachte. Sie befreundete sich mit der Electropunk-Sängerin Peaches, auf deren ersten Platten sie mitsang, und später auch mit den musikalischen Freigeistern Mocky und Chilly Gonzales, die heute noch ihre beiden wichtigsten kreativen Partner und engsten Vertrauten sind.
Nach der Jahrtausendwende arbeitete Feist neben Kollaborationen mit Gonzales, den norwegischen Neo-Folkies von Kings Of Convenience und der kanadischen Indierockcombo Broken Social Scene an ihrem zweiten Langspieler Let It Die, den sie in Paris einspielte, wohin sie vorübergehend gezogen war. 2007 folgte das erneut in Frankreich entstandene dritte Album The Reminder und damit der große Durchbruch, der aber seinen Preis forderte.
„Wenn die Dinge an der Außenseite größer werden, fühlen sie sich an der Innenseite für mich so an, als würden sie schrumpfen“, versucht Feist die Veränderungen zu beschreiben, die der Erfolg der letzten Jahre mit sich brachte. „Der Kreis an Leuten, die ich respektiere und denen ich vertrauen kann, ist immer kleiner geworden. Man beginnt noch genauer zu fühlen, wer für einen wichtig ist. Und was für einen wirklich wichtig ist. Alles was sich außen änderte, ließ mich innerlich nur noch konzentrierter werden.“ Nachdem sie über sieben Jahre beinah nonstop auf Tournee gewesen war oder an Platten arbeitete, brauchte die Musikerin dringend eine Pause und zog 2008 die Notbremse. Sie beschloss, mindestens ein Jahr lang eine Auszeit zu nehmen und währenddessen weder Songs zu schreiben noch live aufzutreten. Der Erfolg und damit verbundene gestiegene finanzielle Wohlstand machten es leichter, meint Feist, ihr Vorhaben auch realisieren zu können. „Das ganze Geld erlaubte mir, nachdem ich auch mit The Reminder wieder so lange auf Tour unterwegs war, tatsächlich aufzuhören und alles zu stoppen und trotzdem nicht gleich wieder ins Restaurant arbeiten gehen zu müssen wie früher“, lacht sie. „Aber auf meine Arbeit als Künstlerin hatte der Erfolg keinerlei Einfluss. Wenn ich solche Äußerlichkeiten nach innen lassen würde, an den Ort, wo ich meine Lieder schreibe, wäre das ein völliges Desaster!“
Um sich zu erholen und neue Energie zu tanken und auch, um das verletzte Herz nach in die Brüche gegangenen Beziehungen zu heilen, ging Feist zurück in ihr Haus nach Toronto, wo sie sich nach der Fertigstellung des Dokumentarfilms Look At What The Light Did Now (über die Aufnahmen von The Reminder und die folgende Konzerttournee) ganz auf den Anbau von Tomaten und Kräutern und ihre beiden Hunde konzentrierte
Als es ihr nach Jahresfrist wieder besser ging, richtete Leslie Feist sich in einem Schuppen hinter dem Haus einen eigenen Raum zum Songschreiben und Musikmachen ein, strich dessen Boden und Wände in purem Weiß und platzierte darin ein brüchiges Klavier, einen alten Gitarrenverstärker und ihre Gitarre. Als sie mit den neuen Songs weit genug vorangekommen war, holte sie die beiden Multiinstrumentalisten Mocky und Chilly Gonzales zu sich, um gemeinsam an den Arrangements zu arbeiten und die Aufnahmen für Metals vorzubereiten. Besonderen Druck, ob es ihr überhaupt noch einmal gelingen werde, wieder so gute Songs wie für die vorangegangenen Platten zu schreiben, hätte sie nicht verspürt, behauptet sie: „Ich weiß eigentlich nie, warum ich schreibe oder was ich schreibe. Ich kann auch nicht schon im Vorhinein darüber nachdenken. Es ist wirklich nur ein Instinkt. Letztlich endete ich damit, für Metals auf eine Art zu schreiben, wie ich noch nie zuvor Songs geschrieben hatte. Aber das geschah nicht absichtlich. Ich fühlte mich zu einem ganz bestimmten Sound hingezogen und folgte einfach meiner Nase nach.“
Feist kann auch nicht erklären, wo so unglaublich Schönes wie ihre neuen Songs Bittersweet Melodies oder The Circle Married The Line eigentlich herkommt. Und sie will es auch gar nicht wissen, wie ihre Songs zu leben beginnen. Sie lacht einmal mehr herzerfrischend auf: „Lustig, dass Sie mich das gerade jetzt fragen. Ich versuchte mich erst gestern daran zu erinnern, wie ich dieses oder jenes Lied geschrieben habe. Aber ich weiß nur mehr, dass das alles über einen Zeitraum von drei Monaten passierte und in welchem Raum ich die Songs geschrieben habe. Es war dieses Mal eine Art Ritual, weil ich einen eigenen Raum dafür kreierte, der keinen anderen Zweck hatte als das Schreiben von Songs. Und ich verbrachte dort ganz allein viele Stunden, in denen ich mich fühlte, als wäre ich blind. Ab und zu gab es dann glücklicherweise einen Moment, in dem die Sonne durch die Wolken brach.“
Sie hätte sich gefühlt wie ein Archäologe, skizziert Feist noch ein Bild für ihren kreativen Prozess beim Songschreiben, der endlos im Sand gräbt, um einige wenige Tonscherben zu finden, aus denen er schließlich eine ganze Zivilisation und darum herum auch noch eine Mythologie aufbauen kann. Als die Songs schließlich fertig waren, übersiedelte Feist mit Mocky und Gonzales sowie Beck-Keyboarder Brian LeBarton, Schlagzeuger Dean Stone und Björk-Produzent Valgeir Sigurosson in ein Haus nach Big Sur, an der wild romantisch zerklüfteten Küste Kaliforniens. Dort lebte man gemeinsam mit Freunden und Haustieren und richtete sich ein Studio ein, wo von Mitte Februar bis Mitte März 2011 in einem Schwung sämtliche Songs für Metals eingespielt und gleich auch fertig abgemischt wurden.
Wenngleich ins Internet gestellte kurze Videoclips vom Leben in Big Sur und den dortigen Aufnahmesessions eine ausgelassene, fröhliche Stimmung und ein fast schon idyllisches Ambiente inmitten der Natur vermitteln, wirkt die Musik auf Metals oft rauer, wilder und intensiver als auf Feists früheren Alben. Deren charmante Leichtigkeit scheint der Künstlerin unterwegs verlorengegangen zu sein, zum Teil jedenfalls. Kann sie diesem Befund zustimmen? „Bis zu einem gewissen Grad schon. Wenn man mit zugekniffenen Augen The Reminder als ein bestimmtes Ganzes sieht, dann gab es dort definitiv mehr Süße und auch mehr Leichtigkeit. Und wenn man auch Metals mit zugekniffenen Augen als kompakte Einheit sehen will, erscheint es einem möglicherweise mehr als Sturm am Rand des Horizonts. Aber die Wahrheit ist, dass in den beiden Alben eine größere Vielfalt und Vielschichtigkeit existiert. The Reminder hatte auch Songs, wie Sea Lion Woman und Past In Present, und es gab auch viel Bombast darauf. Metals wiederum hat auch so zarte Sachen wie Bittersweet Melodies, Caught A Long Wind oder Cicadas And Gulls. Es gibt hier auch schöne Pausen und ruhigere Momente im Sturm.“
Wir einigen uns darauf, dass man gerade ein Album als Ganzheit mit einer bestimmten Grundstimmung betrachten kann und wohl auch so erlebt. „Metals hat sicher tiefere Wurzeln als alle anderen Platten von mir“, meint Feist: „Ich vermute, es spielt auch zu einer anderen Tageszeit. Es existiert in der Dämmerung oder in jenem besonderen Moment, in dem sich am Himmel die düsteren Wolken zusammenbrauen, kurz bevor der Sturm losbricht.“
Feist Metals, Polydor, 2011
(Veröffentlicht in: now! N° 99, Oktober 2011, komplett überarbeitet im Juni 2020)