Record Collection N° 150: Fleetwood Mac „Rumours” (Warner Bros. Records, 1977)

Das erfolgreichste Album von Fleetwood Mac wurde zum Inbegriff des in den USA so genannten Adult Orientated Rock, AOR, also Rockmusik für Erwachsene.

Affären, nichts als Affären. Kalifornien im Sommer 1976. Mick Fleetwoods Ehe war am Zerbrechen. John und Christine McVie hatten sich nach acht Jahren scheiden lassen und sprachen kaum noch miteinander. Stevie Nicks und Lindsey Buckingham hassten sich nach mehrjähriger Liebesbeziehung inbrünstig. Stevie schlief nach einer kurzen Liason mit Don Henley von den Eagles jetzt mit Mick, dem Boss der Band, in der die Fünf spielen: Fleetwood Mac. Die Sängerin und der Schlagzeuger konnten ihre Affäre irgendwie geheim halten, obwohl sie mit den anderen ständig zusammen waren.

Fleetwood Mac arbeiteten gerade am Nachfolger ihres letzten gleichnamigen Albums, das sich 1975 millionenfach verkaufte und der britischen Bluesrock-Combo eine zweite, weit größere Karriere bescherte. Nachdem die Band in den späten 1960ern mit dem Gitarristen und Sänger Peter Green immens erfolgreich war, schien sie im Frühjahr 1974 am Ende, die Musiker emigrierten nach Los Angeles. In arger Personalnot rekrutierte Mick Fleetwood dort 1975 das kalifornische Folkrock-Duo Buckingham Nicks.

Nachdem sich die Aufnahmen über ganze Jahr 1976 und drei Studios hinzogen, wurde das Rumours betitelte Album im Februar 1977 veröffentlicht: 25 Millionen Platten verkauften Fleetwood Mac davon, Rumours machte die mehrheitlich immer noch britische Band zu amerikanischen Superstars. Sie genossen den Höhenflug und lebten den kalifornischen Rock’n’Roll-Lifestyle voll aus, Sex- und Drogen-Exzesse inklusive.

Verpackt ist alles in brillante, vielschichtige Musik: In anrührend wehmütige Melodien, wunderhübsche mehrstimmige Gesangsharmonien, elektrisierende Gitarrenriffs und starke Rhythmen. Fleetwood Mac spielen auf Rumours grandios produzierten Westcoast Rock, der auf den Spuren der Beach Boys, Crosby, Stills, Nash & Young und den Eagles die kalifornischen Küstenstraßen entlang braust. Rumours wurde zum Inbegriff des in den USA so genannten Adult Orientated Rock, also Rockmusik für Erwachsene. Da Rumours quasi eine Gruppentherapie war, die ihre zerbrochenen und neuen Liebesaffären zu verarbeiten suchte, entbehrt das Prädikat AOR nicht einer gewissen Doppeldeutigkeit.  Ein warnender Sticker auf dem Plattencover wäre vielleicht angebracht gewesen.

Das Album: Rumours. Aufgenommen 1976 in Sausalito, Los Angeles und Miami. Veröffentlicht: Februar 1977. Chartsplazierung: 1 (United Kingdom), 1 (USA).  Band: Mick Fleetwood (Schlagzeug, Percussion), John McVie (Bass), Christine McVie (Keyboards, Synthesizer, Gesang), Stevie Nicks (Gesang), Lindsey Buckingham (Gitarre, Gesang). Produzenten: Fleetwood Mac, Richard Dashut, Ken Caillat (der Vater von Colbie Caillat) und Cris Morris.

Fleetwood Mac Rumours, Warner Bros. Records, 1977

© Rumours Pics shot by Klaus Winninger

Record Collection N° 19: Prefab Sprout “Steve McQueen“ (Kitchenware Records, 1985)

Paddy McAloons 1985er Meisterwerk „Steve McQueen“ ist der ideale Soundtrack für alle,  um sich im Wirrwarr romantischer Gefühle treiben zu lassen.

Der Pop-Lyriker und Melodienschmied Paddy McAloon hat in der englischen Popszene eine Ausnahmestellung, und nicht nur dort. Sein unerreichtes Meisterwerk von 1985, das Album Steve McQueen, ist pure Magie – und ein idealer Soundtrack, um sich im Wirrwarr romantischer Gefühle treiben zu lassen: Man kann sich dazu nach Liebe sehnen. Sich neu verlieben oder sich über das Zerbrechen einer Liebe hinwegtrösten.

Auf Steve McQueen ist es irgendwie immer September – ein, warmer, süßer, wohltuender Regen prasselt nieder, man kann nach der Sommerhitze erst mal gar nicht genug davon kriegen. Die elf Songs auf Steve McQueen könnten zauberhafter, feinsinniger zartbesaiteter nicht sein. Sie sind wunderbar emotional und gescheit ausgetüftelt und berühren sie Herz und Hirn gleichermaßen. Die kristallklaren Melodien schweben über jazzigen Gitarrenakkorden, sanft ätherischen Electropop-Klängen und durchaus muskulösen Grooves.

Paddy McAloons poetische Textzeilen lassen sich ebenso gut rezitieren wie Goethe, Cole Porter oder Smokey Robinson. So heißt es im himmelhochjauchzenden Goodbye Lucille # 1: „Life’s not complete / Till your heart’s missed a beat“. Im leidvollen When Love Breaks Down: „When love breaks down / The lies we tell / They only serve to fool ourselves / When love breaks down / The things you do / To stop the truth from hurting you“. Im bitteren Desire As: „I’ve got six things on my mind / You’re no longer one of them“. Im glühenden Appetite: „So if you take / Then put back good / If you steal – be Robin Hood / If your eyes are wanting all you see / Then I think I’ll name you after me / I think I’ll call you appetite”. Und im scharfsinnigen Horsin’ Around: „You surely are a truly gifted kid / But you’re only as good as / The last great thing you did”.

Paddy McAloon singt seine fein gedrechselten Reime mal zart hauchend, mal leidenschaftlich aufbrausend. Sängerin Wendy Smith doppelt vieles mit ihrer elfenhaften Stimme – ein traumhafter, betörender Effekt. Mit Steve McQueen haben die im nordenglischen Newcastle beheimateten Prefab Sprout nicht nur eines der besten Alben des generell guten 1985er Pop-Jahrgangs produziert – für mich ist Steve McQueen eine der allerfeinsten Pop-Langspielplatten überhaupt.

Anders als auf dem noch unausgegorenen, etwas ungelenken Debüt Swoon (1984), gelang es Paddy McAloon auf Steve McQueen mit Hilfe von Produzent Thomas Dolby, seine mannigfaltigen Ideen auf einen Nenner und damit optimal zur Wirkung zu bringen. „Ich bin nicht wirklich daran interessiert, die Grenzen der Popmusik zu erweitern“, meinte er damals mit dem für ihn typischen Understatement: „Ich freue mich mehr darüber, wenn jemand die Melodie eines meiner Songs vor sich hin pfeift.“

Beeinflusst, angetrieben wird Paddy McAloon in seinem Schaffen von ähnlich eigensinnigen, genialen Songschreibern und Komponisten wie George Gershwin, Burt Bacharach, Jimmy Webb, Steely Dan, Prince oder Beach Boy Brian Wilson. Mit Steve McQueen schuf er eine musikalische Welt, die von einer unvergleichlichen Schönheit ist. Bis heute bewegt sich McAloon, wenn auch immer seltener, auf diesem, seinem ureigenen Terrain – unbeirrt von allen Moden, Trends und Zeitläufen. Und das ist gut so.

Prefab Sprout Steve McQueen, Kitchenware Records, 1985

(Erstveröffentlicht in: now! N° 18, Mai 2003, komplett überarbeitet im Juni 2022)

Record Collection N° 222: Fleet Foxes “Helplessness Blues” (Bella Union, 2011)

Die Fleet Foxes singen auf Helplessness Blues Lieder über die ökonomische und ökologische Krise der modernen Welt, zugleich auch  von der Sinn- und Lebenskrise des modernen Menschen. Eine Suche nach dem Paradies in unwirtlichen Zeiten.

Der große Erfolg des 2008er Debütalbums der Fleet Foxes dürfte nicht zuletzt den Bandleader, Sänger und Songschreiber Robin Pecknold überrascht haben. Nicht nur, dass der 25-Jährige und seine (damals vier, jetzt fünf) Musikerkollegen aus Seattle aussahen wie eine eingerauchte Hippie-Rock-Band und schon optisch mit abgeschleckten Social-Media-tauglichen Popstars rein gar nichts zu tun hatten. Auch der zart filigrane, folkige Sound der Band hat wie ihre klaren, hymnischen Gesangsharmonien zwischen späten Beach Boys und Crosby, Stills, Nash & Young herzlich wenig mit allem zu tun, was sich sonst so im 21. Jahrhundert in den Hit-Radios tummelt. Und doch führte das schlicht nach der Band selbst benannte Debüt Ende 2008 nicht nur rund um den Globus die wichtigsten Jahresbestenlisten der Musikbranche an, es entpuppte sich auch als veritabler Verkaufserfolg. Allein in Großbritannien fand sich über eine halbe Million Käufer für Robin Pecknolds spröde, aber ungemein schöne und tief berührende Lieder. Seit sich Bob Dylan und The Band Ende der 1960er Rauschebärte sprießen ließen und auch mit ihrer Musik aufs Land zogen, hat es Vergleichbares nicht mehr gegeben.

Der Erfolg warf Robin Pecknold, der dazu neigte, in endloses Grübeln und brennende Selbstzweifel zu verfallen, jedoch nicht vollends aus der Bahn, er machte ihm die Arbeit am zweiten Longplayer der Fleet Foxes aber auch nicht leichter. Den größten Teil der drei Jahre zwischen den beiden Platten verbrachte die Band damit, Pecknolds musikalische Visionen im Studio mit sechs- und zwölfsaitigen Gitarren, Flöten, Geigen, Dulcimer, Zither und Free-Jazz-Tröten zu echter Musik werden zu lassen. Der Erscheinungstermin der Platte musste mehrfach geändert werden, weil einzelne Songs immer wieder neu arrangiert und neu aufgenommen werden mussten. „Es war unglaublich schwer, diese Platte zu machen. Sie hat von meinem ganzen Leben Besitz ergriffen und kostete mich meine Beziehung und meine Gesundheit“, resümierte ihr Urheber damals dramatisch.

Das Schöne an den zwölf Songs hier ist, dass man ihnen all die Mühe nicht anhört. Helplessness Blues scheint noch anmutiger, bezaubernder,  herzerwärmender zu sein als das Debüt. Die einzelnen Songs wirken zunächst aber spröde und sind nicht gerade leicht zu erschließen. Das vielschichtig symphonische The Plain/Bitter Dancer oder die einsam verwehte Akustikgitarrenballade Blue Spotted Tail brauchen volle Aufmerksamkeit und ausreichend Zeit, um sie zu erkunden. Im unverwechselbaren Klanguniversum der Fleet Foxes wird vor allem im prachtvollen Titelsong ihre heimliche Vorliebe für den Folkrock von Simon and Garfunkel deutlich. Zugleich geistert durch die Arrangements von Sim Sala Bim oder Bedouin Dress der psychedelische britische Folkrock von Fairport Convention, Pentangle oder Roy Harper aus den späten 1960ern und frühen 1970ern. Auch wenn sie nur selten direkt darauf reflektieren, künden diese so weltabgewandt wirkenden Lieder von der ökonomischen und ökologischen Krise der modernen Welt. Und zugleich von der Sinn- und Lebenskrise des modernen Menschen, vom Wahnwitz des totalen Kapitalismus und des verabsolutierten Konsumerismus. Die Fleet Foxes suchten auf Helplessness Blues das Paradies in unwirtlichen Zeiten.

Fleet Foxes Helplessness Blues, Bella Union, 2011

(Erstveröffentlicht als Album des Monats in now! N° 96, Mai 2011. Komplett überarbeitet im Februar 2022)

© Fleet Foxes Pics by Klaus Winninger

Record Collection N° 221: Fleet Foxes “Fleet Foxes” (Bella Union, 2008)

Filigrane Folkmusik und himmlische Gesangsharmonien, die viel älter zu sein scheinen als die jungen Menschen, die sie singen.

Das kommt davon, wenn junge Menschen in der Plattensammlung ihrer Eltern herumstöbern und sich die alten schwarzen Scheiben anhören. Der Sänger und Gitarrist Robin Pecknold (dessen ältere Schwester nach einem Album von Steely Dan auf den Namen Aja getauft wurde) war gerade 22 Jahre alt, als das gleichnamige Debütalbum der Fleet Foxes erschienen ist. Seine Mitmusiker und Mitsänger Skyler Skjelset (Gitarre), Christian Wargo (Bass), Casey Wescott (Keyboards) und Josh Tilman (Schlagzeug) waren ähnlich jung. Aber die betörende Musik auf ihrem Debütalbum scheint definitiv von älteren Semestern gemacht. Die fünf jungen Folkrock-Musiker sahen nicht nur aus wie wiedergeborene Hippies, ihre Musik klingt auch so.

Dabei kommen die Fleet Foxes aus dem amerikanischen Seattle, wo Ende der 1980er der rüde Sound des Grunge Rock entstand, und das mehr für Kaffee, Computer und viel Regen bekannt ist, denn für die sonnendurchflutete Pop- und Rockmusik, die in den 1960ern und 1970ern weiter südlich an der Westküste entstanden ist. Pecknold und seine Freunde aber singen sehnsüchtige, scheinbar weltentrückte Songs mit überirdisch schönen Gesangsharmonien im Sog der Beach Boys, der Byrds, den Zombies oder Simon & Garfunkel. Prägende Einflüsse waren auch Bob Dylan, Joni Mitchell und Crosby, Stills, Nash & Young. Neil Young und David Crosby auch als Solokünstler. Crosbys ohne gängige Songstrukturen frei dahin fließendes 1971 Soloalbum  If I Could Only Remember My Name, das er unter anderem mit Musikern der psychedelischen Hippie-Rock-Band The Grateful Dead aufgenommen hat, nannte Robin Pecknold als eines seiner wichtigsten musikalischen Erlebnisse. Wichtig auch für die Fleet Foxes uralte englische und amerikanische Folkmusik. Zeitgenössische Bands, mit denen die Fleet Foxes damals etwas anfangen konnten, waren wohl Midlake und My Morning Jacket, aber auch nur in deren zartesten Momenten.

Allein schon Sun It Rises, White Winter Hymnal und Ragged Wood, die ersten drei Songs des nicht eigens betitelten Debütalbums, heben mit ihren atemberaubenden Gesangsharmonien und fragilen folkigen Arrangements (unter den vielen Instrumenten, die die Fleet Foxes spielen, sind auch Banjo, Mandoline oder Autoharp, eine Art Zither) die Musik der Fleet Foxes völlig von ihren Zeitgenossen ab. Zugleich aber auch von ihren Vorbildern – denn es ist Robin Pecknold, der schon seit seinen frühen Teenagerjahren Songs mit seinem besten Freund Skyler Skjelset schreibt, gemeinsam mit seinen Bandkollegen gelungen, einen eigenen, eigenständigen Stil zu entwickeln. Die Fleet Foxes machen eine unglaublich wunderbare, abenteuerliche, seelenvolle Musik. Das Gemälde am Albumcover wurde 1559 vom niederländischen Maler Pieter Bruegel dem Älteren gepinselt, das passt. Sowohl die LP- als auch die CD-Edition enthalten auf einer zweiten Scheibe die EP Sun Giant vom April 2008 mit fünf weiteren zauberhaften Songs.

Fleet Foxes Fleet Foxes, Bella Union, 2008

(Erstveröffentlicht als Album des Monats in now! N° 70, Juli/August 2008. Komplett überarbeitet im Februar 2022)

© Fleet Foxes Pics by Klaus Winninger

The Style Council: á Paris

Notes for a reprise: The Style Council. What I thought would be a special single TSC-day is a TSC-Week by now. I’ve been listening also to some Beach Boys, from Pet Sounds to Sunflower, some Paul Weller, On Sunset, Fat Pop, and lots of Olivier Popincourt, complete works up to now.

The Style Council. á Paris. August 1983. Long Hot Summer (Extended Version). This is the one that started it all for me, my life-long solid bond with The Style Council. The debut single Speak Like A Child I missed somehow, the groovy Money-Go-Round twelve inch I bought subito afterwards, the rousing single A Solid Bond In Your Heart too.

Record Collection N° 174: Bee Gees “Greatest Hits – The Record” (Polydor Records, 2001)

Anders als die Beatles oder Rolling Stones wurde die Bee Gees lange geringeschätzt. Diese Sammlung ihrer größten Hits ist der ultimative Beweis ihrer Größe.

Es waren nicht nur die Beatles, die Rolling Stones, Who, Kinks oder Beach Boys, die den Soundtrack der Roaring Sixties gemacht haben. Genauso viel Respekt muss man den Bee Gees zollen für ihre wundervollen Songs, ihre engelsgleichen Gesangsharmonien und ihren meisterhaft arrangierten barocken Kammermusik-Pop der 1960er, ebenso für ihren super funky Soul- und Disco-Sound der 1970er Jahre. Aber es stimmt schon, wären die Bee Gees Ende der 1970er in Frührente gegangen, hätte die Welt auf keinen ihrer ganz großen Songs verzichten müssen. Doch ist das bei den Rolling Stones und den weiteren genannten Bands anders? Und hätten die Beatles wirklich ihr Level halten können, wenn sie sich nicht getrennt hätten?

In den 1980ern und 1990ern verdingten sich Barry, Robin und Maurice Gibb primär als Songschreiber, Produzenten und Chorsänger für prominente Kundschaft wie Barbra Streisand, Diana Ross, Dionne Warwick, Celine Dion oder Dolly Parton & Kenny Rogers, verwalteten den in den ersten beiden Dekaden ihrer Karriere geschaffenen, brillanten Songkatalog und lieferten alle paar Jahre bei ihrer Plattenfirma ein einmal mehr, einmal weniger gelungenes Album ab. Daran gibt es nichts zu beschönigen, es sei denn, man heißt Thomas Gottschalk und war glücklich, die Bee Gees als Stargäste in Wetten, dass … zu haben. Allein ihre Konzerte waren nach wie vor top.

Ich habe das am 5. September 1998 selbst erlebt. Im ausverkauften alten Londoner Wembley Stadion bei ihrem One Night Only Konzert, wo ich mit Tränen in den Augen die Hits der Bee Gees mitgesungen habe. Auch dort konzentrierte sich die Songauswahl auf vor 1980 gefertigte Songs, die wenigen Stücke neueren Datums waren dieselben, die sich auch im letzten Viertel dieser Doppel-CD tummeln: You Win Again, 1987 ihr erster Nummer 1 Hit nach achtjähriger Pause, oder Alonev om 1997er Album Still Waters

In den 1960ern und 1970ern zählten die Gibb Brothers zu den besten Songschreibern und Sängern überhaupt. Einer wie Prince wäre herzlich gern mit so einem herrlichen Falsett gesegnet gewesen wie Barry Gibb. Und wenn Robin Gibb seine Stimmbänder vibrieren ließ, ging das ganz voll ans Herz und sorgte für wohlige Schauer. Wem ein berührender, wunderhübscher Song wie Massachusetts nicht nahe geht, der ist wahrscheinlich nicht mehr wiederzubeleben. To Love Somebody, How Can You Mend A Broken Heart und How Deep Is Your Love zählen zu den schönsten Liebesliedern weit und breit. Gefühlskitsch? Banale Texte? Geschenkt. Mit solch wundervollen Melodien und Gesangsharmonien in den Karten darf man schon mal Zeilen wie “And now I found that the world is round and of cause it rains everday” ausspielen, oder? Im Übrigen stimmt das ja.

Mit dem unglaublichen Melodienreichtum ihrer Platten, den üppig orchestralen, fast barocken, immer wieder mit neuen Instrumenten und Sounds aufwartenden Arrangements und dem funkelnden mehrstimmigen Harmoniegesang machten die Bee Gees, die von Australien nach London übersiedelt waren, den Beatles in den 1960ern  ernsthaft Konkurrenz. Sie waren eine künstlerisch nicht minder ambitionierte, nicht weniger innovative und experimentierfreudige Band wie ihre Kollegen aus Liverpool. Daher gelang es den jetzt nach Miami, Florida umgezogenen Gibb-Brüdern auch nach einer mehrjährigen kreativen Flaute sich Mitte der 1970er noch einmal neu zu erfinden – mit den unwiderstehlich souligen, super funky Grooves von Tanzbodenfüllern wie Jive Talkin‘, Nights On Broadway, You Should Be Dancing, Night Fever oder Stayin’ Alive, die nicht nur John Travolta zum Discokönig werden ließen.

Von den vier auf Greatest Hits enthaltenen Neuaufnahmen ursprünglich für andere fabrizierter Songs – Emotion, Islands In The Stream, Immortality – ist Dionne Warwicks Heartbreaker am besten geworden. 

Bee Gees Greatest Hits – The Record, Polydor Records, 2001

© Greatest Hits Pics shot by Klaus Winninger

Record Collection N° 113: Phoenix „United” (Source/Virgin Records, 2000)

Dem Charme dieser vier popverrückten Franzosen konnte man sich im Sommer 2000 nicht entziehen.

Im Sommer 2000 war das famose Debütalbum der Pariser Popband Phoenix der ideale Soundtrack. Man hätte glatt zum Cabrio-Fahrer werden können wegen dieser vier pop-verrückten, charmanten Franzosen in ihren (damals) Mittzwanzigern, im Autoradio die vergnüglich-eingängigen Lieder von Phoenix. Ihre Musik imaginierte Palmen, weite Küstenstraßen, endlosen Strand, goldene Sonnenstrahlen, das Los Angeles der 1970er Jahre. „Every Sunday I go to Hollywood“, jauchzte Sänger Thomas Mars in Honeymoon.

Die erste Single von Phoenix hieß Heatwave, und war noch ein elektronischer Disco-Track. Phoenix fühlten sich zwar weiter verbunden mit den französischen Electro-Pop-Bands Daft Punk, Cassius und Air, deren Tour-Band sie anfangs waren, und der 2019 viel zu früh verstorbene Pariser Electro-Dance-Pop-Zauberer Philippe Zdar (Motorbass, Cassius) mischte den superknackigen Sound der meisten Tracks ihres Debütalbums. Phoenix spielten nun aber modernisierten 1970er Jahre Rock im funky Westcoast-Sound. So was wie Yacht Rock, bevor der Begriff überhaupt erfunden war. Beeinflusst von den Eagles, den Doobie Brothers, Toto, der Steve Miller Band, Steely Dan. Von Soul, Country Music, Jazz, Ennio Morricone, den Gesangsharmonien der Beach Boys und dem französischen Pop-Exzentriker Serge Gainsbourg. Aber originell und eigenständig.

Der überbordende Mix auf United funktioniert voll. Das über neun Minuten lange Funky Squaredance zuckt total aus. So charmant und frisch wie in Too Young, Honeymoon, If I Ever Feel Better, On Fire oder Summer Days klingt Rockmusik selten. Weil bei Phoenix ausgelassene Begeisterung, poptastische Spielfreude und, äh, Brüderlichkeit regieren. Alles United halt.

Phoenix United, Source/Virgin Records, 2000

© United Pics shot by Klaus Winninger.