Record Collection N° 014: The James Hunter Six “Minute By Minute” (Daptone Records, 2013)

James Hunter zapft fabulös seinen inneren Sam Cooke und Otis Redding an. In den 1960ern hätte man ihn bei Stax Records oder jedem anderen Soul-Label zwischen Memphis und Detroit unter Vertrag genommen.

Der bald 60-jährige englische Rhythm & Blues-Musiker James Hunter ist oft Gast in Musikmagazinen für ältere Semester, Mojo und Record Collector etwa, oder der feinen BBC-Musik-TV-Show Later with Jools Holland. Bekannt wurde er auch durch seine Zusammenarbeit mit Van Morrison, mit dem er Mitte der 1990er Jahre auf einigen seiner Alben zusammenarbeitete, und Morrison dafür auf James Hunters 1996er Solodebüt …Believe What I Say bei zwei Songs als Gastsänger vor dem Mikrophon stand. Hunters Album People Gonna Talk wurde 2006 für einen Grammy als „Bestes traditionelles Bluesalbum“ nominiert.

Nach vier Alben in den 1980ern mit Howlin‘ Wilf & The Veejays ist Minute By Minute bereits Hunters fünftes Soloalbum, das aber unter dem Namen seiner aktuellen Band The James Hunter Six firmiert. Es ist ist beim New Yorker Independent-Label Daptone Records erschienen, das sich auf Soul und Funk alter Schule spezialisiert hat, und auch die Heimat von Sharon Jones & The Dap-Kings oder Charles Bradley war. Der traditionelle, man darf ruhig sagen altmodische Rhythm & Blues der James Hunter Six passt wohl nirgendwo sonst so gut hin wie zu Daptone, das in Brooklyn situiert ist und auch maßgeblich mit den Dap-Kings am brillanten Sixties-Sound von Amy Winehouses Hitalbum Back To Black beteiligt war. Als Produzent fungiert hier Gabriel Roth alias Bosco Mann, der mit Dap-Kings-Saxofonist Neal Sugarman auch Gründer und Eigentümer von Daptone Records ist, und zudem Bandleader, Hauptsongschreiber und Bassist der Dap-Kings.

Nicht nur der Sound der in Mono gemischten LP – ein MP3-Downloadcode lag der Platte auch bei – ist stimmig. Das Albumcover ist wie früher mal aus extradickem Karton gestanzt, den man zur Selbstverteidigung nehmen könnte. Und das nicht halb so schöne Cover der CD wurde fürs LP-Cover noch mehr in Richtung Sixties-Soul-Soul gestylt. Das passt perfekt für James Hunters vielleicht bestes Album. Er selbst, seine Band und praktisch alle Songs sind in prächtiger Form. Gereifter, beseelter tönte er noch nie, man höre nur einmal, wie er Heartbreak oder den Titelsong intoniert. So wie Hunter seinen inneren Sam Cooke und Otis Redding anzapft, hätte man ihn in den 1960ern bei Stax Records oder jedem anderen Soul-Label zwischen Memphis und Detroit unter Vertrag genommen. Auch an der Stromgitarre spielt er mit knappen, scharfen Licks groß auf. Die legendäre Stax-Hauscombo Booker T. & The MG‘s lässt grüßen. Minute By Minute ist bis zum Schlussakkord natürlich ein nostalgisches Artefakt, aber es ist gut so wie es ist.

The James Hunter Six Minute By Minute Daptone Records, 2013

© Minute By Minute Pics shot by Klaus Winninger

Re-vo-lu-tion: 25 LPs, die 2016 auf dem Plattenspieler rotierten

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Vinyl keeps on keeping on. 2016 habe ich erneut mehr Musik auf Vinyl gehört als im Jahr davor. Es gingen sich nicht alle interessanten Novitäten auf LP aus, die meisten allerliebsten Lieblingsplatten 2016 aber schon. Popincourt und Dexys, French Boutik, Jane Birkin & Serge Gainsbourg und die Rolling Stones, Jochen Distelmeyer, Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen, Ben Watt und Bob Dylan, sie alle drehten sich 2016 oft auf meinem Plattenspieler.

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  1. Popincourt A New Dimension to Modern Love (2016)
  2. French Boutik Front Pop (2016)
  3. Jane Birkin & Serge Gainsbourg Jane Birkin & Serge Gainsbourg (1969)
  4. Jochen Distelmeyer Songs From The Bottom Vol.1 (2016)
  5. Dexys Let the Record Show: Dexys Do Irish and Country Soul (2016)
  6. Udo Lindenberg Stärker als die Zeit (2016)
  7. The Rolling Stones Blue & Lonesome (2016)
  8. Ben Watt Fever Dream (2016)
  9. Marius Müller-Westernhagen MTV Unplugged (2016)
  10. Marius Müller-Westernhagen Hottentottenmusik (2011)
  11. David Bowie Changesbowie (1990)
  12. ABC Labour of Love II (2016)
  13. The Last Shadow Puppets Everything You’ve Come To Expect (2016)
  14. Otis Redding Lonely & Blue (2013)
  15. Bob Dylan Fallen Angels (2016)
  16. Neil Young Harvest Moon (1992)
  17. Karl Blau Introducing (2016)
  18. Norah Jones Come Away With Me (2004)
  19. Ray LaMontagne Supernova (2014)
  20. Nada Surf You Know Who You Are (2016)
  21. Pet Shop Boys Super (2016)
  22. Charles Bradley Changes (2016)
  23. Aretha Franklin Aretha’s Gold (1969)
  24. Various Artists Guardians Of The Galaxy Awesome Mix Vol.1 (Original Soundtrack, 2014)
  25. Various Artists Trojan Beatles Reggae (2015)

My records of the year: Meine 44 Lieblingsplatten 2016

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Also, jetzt mal doch wieder eine richtige Alben des Jahres-Liste, mache ich gern in diesem Seuchen-Jahr, in dem die Musik aber richtig gut war. Ausnahmsweise mal wieder mit – höchst subjektiver! – Reihung. Meine fünf Lieblingsplatten 2016 sind diese dreizehn. Die weiteren einunddreißig Nennungen sind alphabetisch gelistet.

  1. PopincourtA New Dimension to Modern Love

From Paris with Love: Keine Platte vermochte mich 2016 mehr zu berühren, mehr zu begeistern als das Debütalbum der Pariser Pop-Combo Popincourt mit einem unglaublich bezaubernden Mix aus Blue Note Jazz, Sixties Beat und britischem 1980er Indie-Pop. Mastermind, Sänger, Songschreiber und Multiinstrumentalist Olivier Popincourt  singt seine beseelten, wohltuenden, wunderhübsch melodiösen Songs wie „The First Flower of Spring“, „The Things That Last“ oder das funkelnde Titellied mit einem wunderbaren Schmelz in der Stimme, und seine Lyrics in Englisch, mit einem leichten, sehr charmanten französischen Akzent, dass einem das Herz  übergeht.

  1. French BoutikFront Pop

The new French Beat from Paris: Wer Ja zu Popincourt sagt, sollte auch nicht Nein zu French Boutik sagen. Eine hinreißende Combo, die nicht nur dem Beat, Soul und Mod-Feeling  der 1960er huldigt, sondern auch dem Spirit des Punk und der New Wave der 1970er und 1980er.  Wie Popincourt zelebrieren auch French Boutik eine sympathische, an Paul Wellers 1980er Band The Style Council erinnernde, pro-europäische Internationalität. Sie singen meist in Französisch und covern erfrischend fetzig Françoise Hardys „Je Ne Suis La Pour Personne“, haben aber auch famose eigene Songs wie „Le Mac“ oder „Costard Italien“ oder die englisch gesungenen „Hitch A Ride“ und „The Rent“. Sängerin Gabriela Giacoman gastiert bei Popincourt, Olivier Popincourt bei French Boutik an der Hammond Orgel. Absolutely French!

  1. Jochen DistelmeyerSongs From The Bottom Vol. 1

Der frühere Sänger und Songschreiber der Hamburger Indierock-Combo Blumfeld singt auf „Songs From The Bottom Vol. 1“ statt Deutsch nun alles in Englisch, mit seiner irgendwie immer stoisch ungerührten, aber dann doch anrührenden Stimme, allein zur Gitarrenbegleitung und ein wenig Orgel und Klavier. Ein höchst obskurer, aber doch wunderbar stimmiger Coverversionen-Cocktail. Mit grandios interpretierten Songs von Lana Del Rey, Britney Spears, Nick Lowe, The Verve, The Byrds, Joni Mitchell oder Al Green. Eine so überraschende wie beglückende Offenbarung.

  1. DexysLet the Record Show: Dexys Do Irish and Country Soul

Kevin Rowland arbeitet weiter an seiner Vision der Dexys. Top gestylt, mit trefflich ausgewählten, top instrumentierten, von Rowland fantastisch gut gesungenen Coverversionen wunderbar melodiöser und hochemotionaler älterer Songs, die nicht immer irisch oder Country sind, sondern einfach Pop. Zu einigen gibt es brillante, durchgestylte Videos, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat.

  1. Udo LindenbergStärker als die Zeit

Drei in einer Reihe: Nach den supersupernen Alben Stark Wie Zwei (2008) und MTV Unplugged (2013) setzt Dr. Feeel Good die allerbeste Zeit seiner Karriere ungebremst fort, stärker und besser denn je. Was für eine coole Socke!

  1. The Rolling StonesBlue & Lonesome

Reif fürs Altersheim? In Würde altern? Wiederbelebt? Ihr bestes Album seit Jahren? Geschenkt. Die Rolling Stones spielen doch seit Jahren in prächtiger Kondition kraftvolle Konzerte mit ihren größten Hits. Diese zwölf hochoktanigen Coverversionen alter Bluessongs, die sie in drei Tagen in einem Londoner Studio aufgenommen haben, sind so elektrisierend, scharf und relevant wie nur was.

  1. Michael KiwanukaLove and Hate

Beyoncè? Kanye West? Rihanna? Drake? Alle nicht meine Tasse Tee. Meine liebsten Rhythm & Blues- und Soul-Longplayer des Jahres sind zum einen die strictly old school Scheiben der viel zu früh verstorbenen Sharon Jones und von Charles Bradley. Zum anderen Michael Kiwanukas zweites Album, das noch mal um Klassen besser ist als sein über Gebühr gelobtes 2012er Debütalbum Home Again. Kiwanuka mixt Otis Redding, Jimi Hendrix, Marvin Gaye und auch Pink Floyd zu seinem eigenständigen, zeitgemäßen, modernen Soul.

  1. Leonard CohenYou Want it Darker

Zu viele Tote in diesem Musikjahr, aber sind es das nicht immer, und werden es leider nicht immer mehr? Anders als im Fall von David Bowies Blackstar, das ich 2016 kaum mal hören wollte bzw. einfach nicht hören konnte, geht es mir mit Leonard Cohens finalem Album besser, ich höre es gern und oft, als Feier seiner Poesie und seines erfüllten Lebens.

  1. Ben WattFever Dream

Auf seinem dritten Soloalbum, dem zweiten kurz aufeinanderfolgenden, verzaubert der Ex-Everything But The Girl-Musiker erneut mit seinen tief berührenden, empfindsamen Folkrock-Songs, die das Wunder bewirken, sich in durchgeknallten, horriblen Zeiten wie den unseren, Momente lang wieder wie ein richtiger Mensch zu fühlen. Eine guttuende Atempause in der allgegenwärtigen zerstörerischen Beschleunigung.

  1. Mathilde Santing Both Sides Now: Matilde Santing Sings Joni Mitchell

Ehrlich, ohne Twitter hätte ich wohl das superbe neue Album dieser wunderbaren holländischen Sängerin verpasst, die ich seit ihrer 1982er Debüt-EP Introducing überaus schätze. Zuletzt von meinem persönlichen Radar verschwunden, zelebriert Mathilde Santing hier zwölf der größten Songs von Joni Mitchell, live aufgenommen im North Sea Jazz Club in Amsterdam. Unwiderstehlich schön. Und zurzeit nur via Mathilde Santings Website https://mathildesanting.com erhältlich.

  1. Marius Müller-WesternhagenMTV Unplugged

Wie bei Udo Lindenberg bin ich auch zu Marius Müller-Westernhagen wieder zurückgekehrt durch die neuen faszinanten Schriften von Benjamin von Stuckrad-Barre. MTV Unplugged ist auf vier LPs eine piekfein inszenierte, instrumentierte und gesungene Best-of-Werkschau von hoher Qualität, mit viel Emotion, Seele und großer Wirkung.

  1. The BeatlesLive at the Hollywood Bowl

Schon die Erstauflage dieser hinreißenden Konzertplatte, die 1964 und 1965 bei zwei Konzerten in der legendären Hollywood Bowl in Los Angeles mitgeschnitten wurde, überraschte mit ihrem Mix, der die super Performance der Fab Four vom Beatlemania-Gekreische befreite. Die Neuauflage mit vier Bonustracks setzt noch einmal einen drauf.

  1. Bruce Springsteen and the E Street BandLive at the TD Garden, Boston, MA, February 4th 2016 / Bruce Springsteen – Chapter and Verse

Nie hatten die Songs von Bruce Springsteens grandiosem Doppelalbum The River mehr Wirkung, nie machten sie als Ganzes mehr Sinn, nie klangen sie besser als bei den US-Konzerten der The River-Tournee. In Boston etwa, Anfang Februar 2016, sind der Boss und die E Street Band auf dem Gipfel ihrer Mission angekommen, dokumentiert auf drei unverzichtbaren CDs. Und Chapter and Verse, die erste wirklich geglückte Compilation von Springsteens Schaffen, begleitet seine großartige Autobiografie Born to Run.

 

Nennungen ehrenhalber:

 ABCLexicon of Love II

AirTwentyears

Karl BlauIntroducing Karl Blau

Bon Iver22, A Million

David BowieBlackstar

Charles BradleyChanges

Billy Bragg & Joe HenryShine a Light: Field Recordings from the Great American Railroad

Eric ClaptonI Still Do

David CrosbyLighthouse

Betty DavisThe Columbia Years 1968-1969

DionNew York Is My Home

Bob DylanFallen Angels

The Last Shadow PuppetsEverything You’ve Come to Expect

Mayer HawthorneMan About Town

Norah JonesDay Breaks

Sharon JonesOriginal Motion Picture Soundtrack: Miss Sharon Jones!

The MonkeesGood Times!

Van MorrisonKeep Me Singing

NenaOld School

The PretendersAlone

Nada SurfYou Know Who You Are

Pet Shop BoysSuper

SantanaSantana IV

Paul SimonStranger to Stranger

Kandace SpringsSoul Eyes

Sting57th & 9th

Teenage FanclubHere

WaldeckGran Paradiso

WilcoSchmilco

YelloToy